Darum ist der EHEC-Erreger so gefährlich

EHEC hat wochenlang die Schlagzeilen beherrscht. Doch was steckt eigentlich hinter diesem Keim? Drei renommierte Mikrobiologen stellen den Erreger vor.

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Von Sebastian Suerbaum, Jochen Bockemühl und Helge Karch

Enterohämorrhagische E. colis bilden Pedestals auf einer Darmepithelzelle: Teile des Stützskeletts der Darmzelle werden zu "Sockeln" unterhalb der sich anheftenden Keime umgebaut.

Enterohämorrhagische E. colis bilden Pedestals auf einer Darmepithelzelle: Teile des Stützskeletts der Darmzelle werden zu "Sockeln" unterhalb der sich anheftenden Keime umgebaut.

© Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Braunschweig

Enterohämorrhagische E. coli-Stämme (EHEC) verursachen je nach Schweregrad der Erkrankung wässrige oder blutige Durchfälle (hämorrhagische Kolitis). Als schwere Komplikation kann ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) auftreten, verbunden mit hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und Nierenversagen.

Ein Charakteristikum der EHEC ist ihre Sekretion von Toxinen, die nach ihrem Entdecker (Kiyoshi Shiga) als Shiga-Toxine (Stx) bezeichnet werden. EHEC werden daher auch als STEC (Shiga-Toxin-produzierende E. coli) bezeichnet.

EHEC sind die bisher einzigen Erreger der Spezies E. coli, für die eine Übertragung vom Tier auf den Menschen sicher nachgewiesen wurde (Zoonosen). Auf Grund ihrer Säureresistenz ist die Infektionsdosis für den Menschen sehr niedrig und liegt bei unter 100 EHEC-Bakterien.

EHEC tritt sogar in Insekten auf

Die Erreger sind typische Bewohner des Darms von Wiederkäuern, bei denen sie jedoch keine Erkrankungen verursachen. Neueste Untersuchungen belegen, dass sie auch bei Wildtieren und sogar in Insekten auftreten. EHEC stellen ernährungsbedingt ein Problem insbesondere in den Industriestaaten dar.

Durch Kontamination von Fleischwaren während der Tierschlachtung oder der Gewinnung von Tierprodukten (Rohmilch) mit EHEC-haltigen Tierfaeces gelangen die Erreger in die Nahrungskette. Nicht pasteurisierte Milch und Fruchtsäfte sowie unzureichend gegartes Fleisch und Rohwurst sind die Verursacher von EHEC-bedingten Lebensmittelvergiftungen.

Weitere Infektionsrisiken stellen Tierkontakte dar (Streichelzoos) sowie die direkte Mensch-zu-Mensch-Übertragung. Verunreinigtes Trinkwasser sowie mit Fäkalien gedüngte Pflanzen (Spinat, Sprossen), die als Rohkost verzehrt wurden, haben ebenfalls zu EHEC-Erkrankungen geführt.

Die Adhärenz der EHEC an das Darmepithel wird durch das Protein Intimin vermittelt, welches von der Pathogenitätsinsel LEE kodiert wird. Dieses Element enthält auch die genetische Information für ein Typ-III-Sekretionssystem, über das Effektorproteine in die Epithelzellen eingeschleust werden.

Neben den am intensivsten untersuchten Shiga-Toxinen gibt es weitere potenzielle Pathogenitätsfaktoren. Sie gehören zu den Familien der Zytolysine (EHEC-Hämolysin), Serinproteasen (EspP), Lymphotoxine (Efa-1) und Cyclomoduline (cytolethal distending toxin). Deren kodierende Gene liegen auf Pathogenitätsinseln (eae, efa-1) oder sind in Phagen (stx, cdt) und Plasmiden (EHEC-hlyA, espP) inseriert.

Dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) geht eine durch Shiga-Toxine verursachte Schädigung des mikrovaskulären Nierenendothels voraus. Stx gehören zu den AB5-Toxinen, wobei die pentamere B-Untereinheit hochspezifisch an das Glykosphingolipid-Globotriaosylceramid (Gb3Cer) bindet.

Nach Aufnahme des Toxins durch rezeptorvermittelte Endozytose und proteolytischer Spaltung der A-Untereinheit durch Furin spaltet das A1-Fragment (N-Glykosidase) einen Adeninrest der rRNA ab. Dies führt zur Inhibition der Proteinbiosynthese und damit zum Zelltod.

Krampfartige Schmerzen begleiten den Durchfall

Nach einer Inkubationszeit von 2 bis 5 Tagen tritt ein wässriger, dann wässrig-blutiger Durchfall auf, begleitet von krampfartigen Bauchschmerzen mit oder ohne Fieber und Erbrechen. Bei 50 Prozent der Patienten geht der Durchfall in eine profuse hämorrhagische Diarrhoe über, die ein Risikofaktor für anschließende Komplikationen ist.

In Abhängigkeit von der Virulenz des Erregers tritt in 5 bis 15 Prozent der Fälle etwa 1 Woche nach dem Beginn der Durchfallerkrankung ein HUS auf, einhergehend mit akutem Nierenversagen, Thrombozytopenie und intravasaler Hämolyse mit Nachweis fragmentierter Erythrozyten (Fragmentozyten).

Die EHEC-Diagnostik beruht entweder auf dem Nachweis der zytotoxischen Aktivität der Stx in der Zellkultur oder auf dem immunologischen Nachweis der Stx mittels ELISA oder Latexagglutinationstest. Alternativ erfolgt der stx- und eae-Gennachweis mittels PCR. Bei positivem Befund werden die EHEC-Bakterien aus Stuhlproben isoliert und weiter serotypisch charakterisiert.

Bei circa einem Drittel der HUS-Patienten ist der Erreger im Stuhl nicht mehr nachweisbar. In diesen Fällen kann der Nachweis von O-Antigen-spezifischen Antikörpern der wichtigsten EHEC-Serogruppen (O157, O26, u. a.) retrospektiv zur Sicherung der Ursache beitragen.

Bisher gibt es weder eine kausale Therapie der durch EHEC verursachten Krankheitsbilder noch einen Impfstoff. Trotz Empfindlichkeit des Erregers gilt eine antibiotische Therapie zumindest während der akuten Krankheitsphase als kontraindiziert. Der Grund dafür ist, dass die Produktion und Freisetzung von Stx durch Antibiotikagaben verstärkt und damit die Gefahr des akuten Nierenversagens gesteigert wird.

Antibiotika verursachen in den Bakterien eine Stressantwort, die zur Induktion von Bakteriophagen führt. Da die stx-Gene im Genom der Phagen inseriert sind, kommt es zu einer verstärkten Transkription und Produktion der Stx. Durch die phageninduzierte Bakterienlyse erfolgt eine exponentielle Freisetzung der Stx.

Die Behandlung beschränkt sich daher auf einen Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten sowie bei renaler Beteiligung auf Dialyse und Korrektur von Blutelektrolyten.

Mögliche Folgen von HUS: neurologische Ausfälle

Durch Langzeitbeobachtungen von HUS-Patienten wurde deutlich, dass bis zu 50 Prozent der Patienten Langzeitschäden in Form von Proteinurie, arteriellem Bluthochdruck und/oder neurologischen Ausfällen haben. Etwa 3 Prozent der akuten Komplikationen führen zum Tode.

EHEC-Infektionen sind in erster Linie auf mangelhafte Hygiene bei der Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs zurückzuführen. Weiterhin werden EHEC durch Schmierinfektionen übertragen, was durch strikte Händehygiene vermieden werden kann.

Wesentlich ist die Hygiene bei der Herstellung von Lebensmitteln und Speisen tierischer Herkunft, insbesondere vom Rind sowie von anderen landwirtschaftlichen Produkten, die fäkal kontaminiert sein können (zum Beispiel Gemüse von fäkal gedüngten Anbauflächen).

Vor dem Verzehr von Rohmilch und unzureichend gegartem oder rohem Rindfleisch (Tatar!) muss gewarnt werden. Der Kontakt mit Patienten sowie mit Wiederkäuern (Rinder, Schafe, Ziegen) in der Landwirtschaft oder in Streichelzoos kann zur direkten Übertragung führen. Strikte Händehygiene ist in diesen Fällen notwendig.

Verdacht auf HUS ist namentlich zu melden

Der Verdacht auf und die Erkrankung an einer mikrobiell bedingten Lebensmittelvergiftung oder an einer akuten infektiösen Gastroenteritis ist namentlich zu melden, wenn

  • eine Person spezielle Tätigkeiten (Lebensmittel-, Gaststätten- und Küchenbereich sowie Einrichtungen mit/zur Gemeinschaftsverpflegung) ausübt oder
  • zwei oder mehr gleichartige Erkrankungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird (§ 6 IfSG).

Der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an enteropathischem hämolytisch-urämischem Syndrom (HUS) ist ebenfalls namentlich zu melden (§ 6 IfSG). Darüber hinaus ist der direkte oder indirekte Nachweis von EHEC (STEC)-Stämmen und anderen darmpathogenen E. coli namentlich meldepflichtig, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen.

Buchtipp: Mikrobiologie und Infektiologie

Die Autoren des Kapitels "Enterobakterien" im Lehrbuch "Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie":

Professor Sebastian Suerbaum leitet an der MHH die Abteilung Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene.

Professor Jochen Bockemühl hat unter anderem am Hygiene-Institut Hamburg die Abteilung Mikrobiologischer Verbraucherschutz geleitet.

Professor Helge Karch ist Direktor des Hygiene-Instituts des Universitätsklinikums Münster.

Hahn, H.; Kaufmann, S.H.E.; Schulz, Th.; Suerbaum, S. (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie; 6. Aufl., 2009, 890 S., 498 Abb. in Farbe, 44,95 Euro, ISBN 978-3-540-46359-7

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