Wenn Sex zur Nervensache wird

Patienten mit neurologischen Erkrankungen haben viel häufiger sexuelle Störungen als andere Menschen. Wie Schlaganfall, Epilepsie oder Multiple Sklerose das Sexualleben beeinflussen, beschreibt ein Neurologe.

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Frust im Bett: Häufig sind Erkrankungen des Nervensystems Schuld.

Frust im Bett: Häufig sind Erkrankungen des Nervensystems Schuld.

© Yuri Arcurs / shutterstock.com

LJUBLJANA (rb). Geht es um die Frage, welches die wichtigsten Sexualorgane des Menschen sind, kommt nicht jeder sofort auf Insula, Cingulum oder Hypothalamus.

Doch aus neurologischer Sicht bleibt ohne diese zentralnervösen Strukturen jeder Lustquell trocken, mögen auch andere Facharztgruppen die organischen Prioritäten abweichend setzen.

Tatsächlich ziehen Erkrankungen des Nervensystems besonders oft ein beeinträchtigtes Sexualleben nach sich.

"Bei neurologischen Patienten ist die Prävalenz sexueller Störungen größer als in der Allgemeinbevölkerung und für die meisten Störungen auch größer als bei anderen chronischen Krankheiten", schreibt Professor David Vodušek (Ljubljana) in der Zeitschrift "Der Nervenarzt" (2011; 82: 787).

Dennoch gebe es nur wenige aussagekräftige Studien. In seinem Beitrag gibt Vodušek einen Überblick über häufige neurologische Erkrankungen und ihre Folgen für die Sexualität der Betroffenen.

Schlaganfall: Wie stark neurologische Krankheiten die Sexualität beeinträchtigen, zeigt allein schon das Beispiel Schlaganfall - eine Erkrankung, die in Deutschland laut Zahlen der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft jährlich rund 250.000 Menschen erstmals oder erneut trifft.

Drei von vier Patienten, die vorher sexuell aktiv waren, berichten nach dem Insult von einer Beeinträchtigung ihrer Sexualität. Die Libido kann sich vermindern, Erektion, Lubrikation und Ejakulation können gestört sein. Die Prävalenz solcher Probleme liegt bei Läsionen der rechten Hemisphäre signifikant höher.

Epilepsie: Bei vielen Patienten mit Temporallappenepilepsie, auch hier vor allem bei rechtsseitigem Fokus, ist eine Hyposexualität zu beobachten, selbst bei solchen, die keine antikonvulsive Therapie bekommen haben. Reduziertes Interesse, verminderte Erregbarkeit und Erektionsstörungen dominieren.

Die Therapie tut ein Übriges, denn viele Antiepileptika reduzieren den Spiegel freien Testosterons im Blut. Manche Präparate wie Gabapentin oder Topiramat können zu (reversibler) Anorgasmie führen.

Morbus Parkinson: Betroffene berichten über geschwundenes sexuelles Verlangen. Oft empfinden sie ihre Sexualität als unbefriedigend. 60 Prozent der erkrankten Männer leiden an Erektionsstörungen, zudem treten Ejakulations- und Orgasmusstörungen auf. Bei Frauen geht während des Koitus nicht selten unwillkürlich Urin ab.

Multiple Sklerose: Sexuelle Dysfunktion wird von knapp 6 Prozent der MS-Patienten als eines der Erstsymptome angegeben, bei weiteren rund 4 Prozent treten sexuelle Störungen zusammen mit anderen Beschwerden auf.

Das häufigste Symptom von Frauen ist die verminderte Orgasmusfähigkeit. 80 Prozent der Männer mit MS haben nach zehnjährigem Krankheitsverlauf mit Erektionsstörungen zu kämpfen.

Polyneuropathie: Viele Polyneuropathien gehen mit einer Dysfunktion des autonomen Nervensystems einher. So ist unter Diabetikern mit dem Fortschreiten der Erkrankung eine immer höhere Prävalenz von Erektionsstörungen zu verzeichnen - nach zehn Jahren leidet jeder zweite Mann daran. Von den Frauen mit Typ-2-Diabetes klagen 40 Prozent über eine sexuelle Dysfunktion.

Nervenläsionen - Gefahr im Fahrradsattel: Auf eine Verletzung oder Kompression des Nervus pudendus können Genitalhypästhesie, Parästhesien und Dysästhesien folgen. Die Ejakulation kann - durch eine Lähmung der Musculi ischiocavernosi bedingt - geschwächt sein.

Dafür genügt schon längeres Radfahren. In einer Studie wiesen 22 Prozent der Langstreckenradler pudendal-sensorische Symptome auf, 13 Prozent hatten eine ED. Die Beschwerden hielten bis zu acht Monate an.

Anamnese und körperlicher Befund: Um die sexuellen Probleme von neurologischen Patienten aufzudecken, genügen in der Praxis Anamnese und klinische Untersuchung. Zunächst sollte der Arzt die verschiedenen Aspekte der Sexualität, wie Libido, Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit, gezielt abfragen. Es kann nützlich sein, mit der Partnerin bzw. dem Partner der Betroffenen zu sprechen.

Wichtig ist es zu erfahren, ob die Beschwerden primär (als direkte Folge der Krankheit oder der Therapie), sekundär (infolge sensorischer, motorischer, kognitiver Defizite oder wegen gestörter Blasen- und Darmfunktion) oder tertiär (verursacht durch die psychosozialen Veränderungen) aufgetreten sind.

Die Informationen aus der Anamnese geben Hinweise für die körperliche Untersuchung . Die motorische Funktion der unteren sakralen Segmente (S3-S4/5) lässt sich durch die Funktion des Analsphinkters beurteilen. Hierzu wird der laterale Sphinkterrand beidseits wiederholt gepikt, etwa mit einem scharf abgebrochenen Holzstäbchen. Im Normalfall sind Kontraktionen des äußeren Schließmuskels zu beobachten.

Getestet werden sollte auch der Bulbospongiosusreflex (S2-S4/5) durch Drücken der Glanspenis bzw. durch Berühren der Vulva, wobei sich Kontraktionen der perinealen Muskulatur beobachten und palpieren lassen. Bei Männern gibt die Auslösbarkeit des Kremasterreflexes (L1) weitere Auskünfte über die Motorik. Zu prüfen ist im genitalen Bereich auch die Sensibilität in den einzelnen Dermatomen.

Therapie bei erektiler Dysfunktion: In der Behandlung bei ED dominieren die Phosphodiesterase-5-Inhibitoren (PDI). Sildenafil, Vardenafil und Tadalafil verbessern die physiologischen Reaktionen auf sexuelle Stimulation, indem sie die NO-vermittelte Relaxation der glatten Muskulatur in den Corpora cavernosa induzieren.

"Obwohl die meisten Studien zur Therapie von Erektionsstörungen bei neurologischen Patienten Sildenafil erprobten, sind in der Praxis andere PDI etwa gleich wirksam (bei gleichen Kontraindikationen)", so Vodušek.

Die Effektivität von Sildenafil bei organisch bedingter Erektionsstörung wird mit 68 Prozent angegeben. Bei Diabetikern liegt sie niedriger (59 Prozent), bei nicht selektionierten Prostatektomie-Patienten ebenfalls (43 Prozent).

Erektionen lassen sich auch mithilfe der Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT) erreichen. Prostaglandin E1 (Alprostadil) wird an der Peniswurzel in den Schwellkörper injiziert, die glatte Muskulatur erschlafft, die Arterien weiten sich und Blut strömt in den Penis ein.

Die intraurethrale Applikation von Alprostadil firmiert unter dem Kürzel MUSE (Medikamentöses Urethrales System zur Erektion). Eine weitere Alternative stellen Vakuumpumpen in Kombination mit einem Konstriktionsring dar.

Wenig Hilfen für Frauen: Während für Männer, bei denen häufig die ED im Vordergrund steht, eine Reihe von Präparaten verfügbar ist, sind Hilfen für Frauen mit Sexualstörungen rar. Viel mehr als die Vibrationsstimulation mithilfe eines Dildos oder die Verwendung von Gleitmitteln hat ihnen auch Vodušek nicht anzubieten.

Der Einsatz von Sildenafil sei versucht worden, schreibt er, habe sich aber in der Praxis nicht durchgesetzt.

Einen Rat immerhin hat Vodušek anzubieten: Neurologische Patientinnen leiden während des Koitus häufig an Urininkontinenz - die Blase sollte deshalb vorher entleert werden.

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Kommentare
Dr. Ralf Hettich 09.02.201209:54 Uhr

Geschädigte Nervenverbindungen machen impotent

Woody Allen sagte schon, dass das Gehirn das größte Sexualorgan des Menschen ist.

Das Gehirn ist tatsächlich ein sehr hochempfindliches Sexualorgan. Tatsächlich beginnt eine Erektion zuerst im Kopf. So kann eine körperliche und/oder mentale Stimulation veranlassen, dass vom Gehirn aus hin zu den Nerven im Penis eine chemische Botschaft geschickt wird. Wenn die Nervenverbindungen zum Penis hin allerdings geschädigt sind, kommen sexuelle Impulse nicht an und Erektionsschwierigkeiten können auftreten.

Dies kann zum Beispiel durch Verletzungen oder Krankheiten geschehen, wodurch die Nerven empfindlich gestört oder gar zerstört werden. Nervenschädigungen können bei einer ganzen Reihe von Erkrankungen auftreten wie Diabetes, Morbus Parkinson, Epilepsie oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma.

Auch bei einer Erkrankung an Multipler Sklerose leiden fast 90 Prozent der Männer unter Erektionsstörungen. Sogar einen Bandscheibenvorfall, Beckenfrakturen oder einer Querschnittslähmung können die Nervenschädigungen zu Impotenz führen. Der Penis erhält dann kein Signal mehr für die Ausbildung einer Erektion.

Mit den besten Wünschen für eine erfüllte Sexualität

Dr. Ralf Hettich

Mailkontakt: info@ralfhettich.de

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