HINTERGRUND
Optimierte Ernährung hilft, Komplikationen bei Leberzirrhose-Patienten zu vermeiden
Patienten mit Leberzirrhose sind häufig mangel- oder unterernährt. Vor allem die Energie- und Proteinaufnahme ist oft unzureichend. Im fortgeschrittenen Zirrhosestadium haben 80 Prozent der Patienten einen Proteinmangel. Entgegen der weit verbreiteten Annahme ist eine proteinarme Kost nicht indiziert. Um den erhöhten Aminosäureumsatz auszugleichen, muss vielmehr - außer einer ausreichenden Gesamtkalorienzufuhr - auch eine angemessene Eiweißaufnahme sicher gestellt werden. Eine zusätzliche Substitution von Vitaminen oder Spurenelementen, vor allem bei hepatischer Osteopathie, ist bei Vorliegen von Mangelsymptomen indiziert.
Schlechter Appetit trägt zu Mangelernährung bei
Die Gründe für den reduzierten Ernährungszustand bei Leberzirrhose sind vielfältig. Oft beruht die Mangelernährung auf einer unausgewogenen und unzureichenden Nahrungszufuhr, zum Beispiel bei einer Alkoholkrankheit. Ein verminderter Appetit und ein gestörtes Geschmacksempfinden tragen ebenfalls zu einer geringeren Nahrungsaufnahme bei. Ein weiteres Problem: Da sich der Magen bei Patienten mit Aszites nach einer Mahlzeit nicht mehr so weit ausdehnen kann, tritt das Sättigungsgefühl rasch ein. Der verminderten Nahrungszufuhr steht ein durch die Krankheit bedingter erhöhter Energie- und Proteinverbrauch gegenüber.
Für den Krankheitsverlauf und für die Prognose nach einer Lebertransplantation ist der Ernährungszustand ein wesentliches Kriterium. Das machen Dr. Felix Gundling und Dr. Wolfgang Schepp vom Städtischen Klinikum München GmbH in einer Übersicht deutlich (Dtsch med Wochenschr 133, 2008, 846).
Mangelernährte Zirrhose-Patienten, die täglich weniger als 1000 Kilokalorien zu sich nehmen, haben eine schlechtere Lebensqualität sowie eine erhöhte Sterbewahrscheinlichkeit mit einer Sechs-Monats-Sterberate von bis zu 80 Prozent. Durch enterale Ernährungstherapie bessern sich Leberfunktion, Ernährungszustand und Überlebensrate, wie kontrollierte Interventionsstudien ergeben haben. Ein Proteinmangel führt zu einer deutlich erhöhten Rate von Komplikationen und erhöht das Risiko für Aszites, hepatische Enzephalopathie oder hepatorenales Syndrom.
Um typische Komplikationen der Leberzirrhose zu verhindern, sollte daher der Ernährungszustand von Patienten auf der Grundlage der individuellen Situation optimiert werden. Primäres Ziel jeder Ernährungsberatung ist, eine ausreichende Gesamtkalorienzufuhr sowie eine eher hohe Eiweißaufnahme sicher zu stellen. Nur in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium der hepatischen Enzephalopathie oder mit therapierefraktärer chronischer hepatischer Enzephalopathie, darf eine Proteinrestriktion verordnet werden. Die empfohlene tägliche Gesamtkalorienzufuhr bei Zirrhose-Patienten liegt mit 35 bis 40 kcal/kg KG deutlich über der für Menschen ohne chronische Lebererkrankung. Sie sollte sich auch an der individuellen körperlichen Aktivität orientieren.
Kohlenhydratreiche Spätmahlzeiten empfohlen
Die Nahrung sollte auf fünf bis sechs Mahlzeiten über den Tag verteilt werden. Günstig sind kohlenhydratreiche Spätmahlzeiten, da aufgrund der eingeschränkten Glukoneogenese und der oft reduzierten Glykogenspeicher nächtliche Hypoglykämien vorkommen. Zur Erhaltung der Körperzellmasse sollte eine tägliche Proteinzufuhr von 1,2 bis 1,5 g/kg KG gewährleistet sein. Eine Ergänzung mit verzweigtkettigen Aminosäuren kann bei Patienten mit hepatischer Enzephalopathie vorteilhaft sein.
Primäres Ziel ist eine ausreichende Kalorienzufuhr.
Wenn die empfohlene Gesamtkalorienzufuhr nicht gewährleistet ist, sollte zusätzlich eine hochmolekulare Sonden- oder Trinknahrung erwogen werden, in Einzelfällen kann auch stationär eine parenterale Ernährung erforderlich sein. Wegen der Flüssigkeitsbilanz muss besonders bei Patienten mit Aszites auf eine möglichst hohe Energiedichte geachtet werden.
Aszites kann eine salzarme Trinkmengen-Beschränkung erfordern. Eine zusätzliche Substitution von Vitaminen und Spurenelementen ist bei Mangelsymptomen indiziert. Die Indikation zur Osteoporose-Prophylaxe sollte bei Zirrhose-Patienten sehr großzügig gestellt werden.
Im klinischen Alltag wird ein reduzierter Ernährungszustand bei Zirrhose-Patienten oft nicht rechtzeitig erfasst und es wird nicht angemessen behandelt, wie die Autoren in einer Umfrage bei gastroenterologisch tätigen Ärzten festgestellt haben. Nur 20 Prozent der befragten Mitglieder der Gesellschaft für Gastroenterologie in Bayern machten korrekte Angaben zur Häufigkeit von Mangelzuständen bei fortgeschrittener Leberzirrhose.
STICHWORT
Diagnose von Mangelernährung
Das rechtzeitige Erkennen einer Mangelernährung ist nicht ganz einfach. Der Body Mass Index (BMI) eignet sich nur bedingt, da Aszites und periphere Ödeme das Gewicht erhöhen. Empfehlenswert sind Messungen der Hautfaltendicke an standardisierten Referenzpunkten des Körpers sowie das Subjective Global Assessment. Dieser Index berücksichtigt Kriterien wie Gewichtsverlust über sechs Monate, Nahrungsaufnahme, gastrointestinale Symptome und physische Zeichen einer Mangelernährung wie Ödeme und Verlust an subkutanem Fettgewebe. Hinweise für eine Mangelernährung sind Änderung von Ernährungsgewohnheiten, Appetit und Körpergewicht sowie allgemeine Krankheitssymptome wie Leistungsminderung oder Adynamie. Muskelschwäche, Wundheilungsstörungen oder Alopezie sind Zeichen eines Proteinmangels.
Laborparameter des Proteinhaushaltes sind zur Beurteilung des Ernährungszustandes und zum Nachweis eines Proteinmangels bei Zirrhose-Patienten nur bedingt verlässlich. Das Gleiche gilt für die biochemische Erfassung von Vitaminen und Spurenelementen. Zeichen für einen gestörten Mikronährstoffwechsel sind eine mikro- oder makrozytäre Anämie, eine erniedrigte Transferrinsättigung oder ein niedriger Ferritin-Serumspiegel. (nke)