Wie es dem Kind wirklich geht, sieht der Arzt besser als der Mitarbeiter vom Amt
Wann sind die Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung gewichtig? Kinder- und Jugendärzte fordern vom Gesetzgeber eine genauere Definition.
Veröffentlicht:WEIMAR (ras). Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat den Gesetzgeber aufgefordert, Vertragsärzte auch bei vagen Verdachtsfällen von der Schweigepflicht zu entbinden. Nur so könnten häufig noch rechtzeitig die notwendigen Schritte bei vermuteten Kindeswohlgefährdungen eingeleitet werden.
Diese Forderung hat BVKJ-Präsident, Dr. Wolfram Hartmann beim 17. Deutschen Kongress für Jugendmedizin in Weimar erhoben. Zwar wies Hartmann vor den 500 Kongressteilnehmern darauf hin, dass die Ärzte schon heute verpflichtet seien, bei "gewichtigen Anhaltspunkten" für eine Kindeswohlgefährdung das Jugendamt oder gar die Polizeibehörden einzuschalten.
Nirgendwo sei allerdings genau definiert, was der Gesetzgeber unter gewichtigen Anhaltspunkten verstehe. Zudem kämen in der Praxis vage Verdachtsfälle weit häufiger vor als Fälle mit konkretem und gewichtigem Anhalt für eine grobe Vernachlässigung oder gar einen Kindesmissbrauch.
Deshalb sollte es für Kinderärzte möglich sein, bei bestimmten Risikokonstellationen auch ohne konkrete Anhaltpunkte für eine Kindeswohlgefährdung auch ohne Zustimmung der Eltern Jugendämter oder die Polizei zu informieren.
Häufig genüge es schon, sich mit anderen Fachgruppen auszutauschen, um gemeinsam den besten Weg zum Wohle des Kindes zu suchen. Der Arbeit der Jugendämter stellte Hartmann in Weimar kein gutes Zeugnis aus. Diese hätten zu Recht keinen besonders guten Ruf, da sie häufig "kalt und rein behördenmäßig" agierten. Deshalb hält es der BVKJ künftig für unverzichtbar, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes grundsätzlich von einem Arzt aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) begleitet werden, wenn Risikofamilien aufgesucht werden. Kinder- und Jugendärzte seien dabei besonders gut in der Lage, motorische, sprachliche oder psychosoziale Defizite eines gefährdeten Kindes zu deuten, auch wenn offensichtlich keine körperliche Misshandlung vorliege.
Die Tätigkeiten der Familienhebammen sollten schließlich ebenfalls viel enger als bislang an den ÖGD angebunden werden. Auch der Einsatz von Familien-Kinderkrankenschwestern sei unabdingbar, da diese -stärker als die Hebammen - das Kind im Blick hätten.