Suchttherapie
GBA prüft Heroin-Abgabe
Die Erwartungen sind hoch. Vier Jahre nach dem Ja des Bundestages zur Behandlung Süchtiger mit Heroin kommt Bewegung in die Angelegenheit.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Behandlung Opiatabhängiger mit künstlichem Heroin stagniert. Obwohl der Bundestag im Mai 2009 den Weg für Diamorphin-Ambulanzen freigemacht hat, sind zu den vor dem Beschluss als Modellversuche betriebenen sieben Ambulanzen in Deutschland seither keine weiteren dazu gekommen.
Und dies, obwohl die schwarz-gelbe Regierung nichts gegen weitere Standorte zur Behandlung schwerstabhängiger Heroinsüchtiger einzuwenden hätte.
Am kommenden Donnerstag berät der Gemeinsame Bundesausschuss über die Vorgaben für die Behandlung Heroinabhängiger mit Diamorphin.
Im Vorfeld haben Ärzte, Wissenschaftler und Politiker dafür plädiert, die bislang geltenden, auch von Suchtmedizinern als restriktiv empfundenen Vorschriften zu lockern.
So hat sich der Hamburger Suchtforscher Uwe Verthein für einen früheren Einsatz von Heroin bei Abhängigen als heute rechtlich möglich ausgesprochen. "Es gibt Bedarf an einer Neuregelung", sagte der Geschäftsführer des Hamburger Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung der Nachrichtenagentur dpa in Berlin.
Verthein hatte zuvor die Modellversuche mit der Diamorphin-Substitution in sieben Ambulanzen in Deutschland ausgewertet.
Mehr als 400 Patienten seien derzeit in der Diamorphin-Behandlung, sagte Verthein. Für etwa 1500 bis 3000 Patienten komme eine solche Behandlung in Frage.
GBA-Regeln gelten als übertrieben
Auch bei der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) gelten die vom Gemeinsamen Bundesausschuss Anfang 2010 gesetzten Regeln als übertrieben.
Für eine Behandlung mit Diamorphin auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen kommen demnach nur Patienten in Frage, die mindestens fünf Jahre abhängig sind, zwei erfolglos beendete oder abgebrochene Entzugsversuche hinter sich haben und bereits 23 Jahre alt sind.
Für den DGS-Vorsitzenden Dr. Markus Backmund sind diese Einschränkungen "medizinisch nicht sinnvoll".
Suchtforscher Verthein hält sie sogar für kontraproduktiv. "Könnte eine Diamorphin-Substitution früher einsetzen, müssten die Abhängigen nicht erst so tief abrutschen", sagte er.
Zu eng gefasst seien die Vorschriften des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), bemängeln die Befürworter dieser Form der Suchttherapie.
Die baden-württembergische Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) forderte bereits im vergangenen September vom GBA, die Anforderungen an die personelle Ausstattung der Diamorphin-Praxen "auf ein vernünftiges Maß" zu senken.
Drei Vollzeitarztstellen und drei voneinander getrennte Behandlungsräume muss eine solche Praxis nach den bislang geltenden Regeln zwingend vorhalten. Ein Hindernis für den Aufbau neuer Standorte, wie die Ministerin findet.
Nicht nur diese Regel erschwert die Versorgung. Vorgeschrieben ist auch, dass das Diamorphin nur intravenös gegeben werden darf. Dies ist für Altpeter nicht nachvollziehbar.
"Langzeitabhängige verfügen über kein intaktes Venensystem mehr. Eine venöse Verabreichung des Diamorphins ist deshalb oft nicht möglich", konstatiert Altpeter und plädiert dafür, Heroin auch oral zu substituieren. Sonst würden ausgerechnet diejenigen von der Behandlung ausgeschlossen, die sie am nötigsten bräuchten.
"Erleichterungen bei den Therapieanforderungen und bei der räumlichen und personellen Ausstattung sind medizinisch sinnvoll", sagte DGS-Vorstand Backmund.
Die Einschränkungen und organisatorischen Anforderungen an Ärzte, die mit Diamorphin arbeiten wollen, sind der Regierung bekannt.
Ihr lägen Informationen aus den Kommunen vor, die darauf hindeuteten, dass die Richtlinien zur diamorphingestützten Behandlung in der derzeitigen Fassung die Einrichtung von Diamorphin-Ambulanzen nicht begünstigt hätten, antwortete die Regierung bereits im August 2011 auf eine Anfrage der Grünen.
Behandlungskosten 18.000 Euro
Im Klartext: Für Ärzte rechnet sich die für eine bestimmte Gruppe von Süchtigen als besser geltende Therapievariante nicht. Für den drogenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, den Arzt Dr. Harald Terpe, ist dies keine gute Situation.
"Die Diamorphinbehandlung hat sich als gutes Instrument erwiesen, Gesundheit und soziale Lebensumstände Opiatabhängiger wirksam zu verbessern. Auch Beschaffungskriminalität wird vermieden", sagte er der "Ärzte Zeitung".
Davon profitierten insgesamt auch die gesetzlichen Krankenkassen, die diese Behandlungsform bislang behindert hätten.
Einen Patienten mit Diamorphin zu behandeln koste auch wegen der GBA-Vorschriften rund 18.000 Euro im Jahr, sagte der Leiter der Karlsruher Diamorphin-Ambulanz, Joachim Holzapfel. Zuviel, findet Harald Terpe. "Die Kosten für neue Einrichtungen werden völlig unnötig in die Höhe getrieben."
Würde der Ausschuss am Donnerstag Erleichterungen beschließen, profitierten zunächst die Initiatoren geplanter neuer Ambulanzen in Berlin und Stuttgart davon. Bislang gibt es die Diamorphin-Behandlung nur in Karlsruhe, Bonn, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover, München und Köln.
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