Macht Boxen krank?
Hirntrauma begünstigt wohl Parkinson
Ein Hirntrauma mit Bewusstseinsverlust erhöht das Parkinsonrisiko, legt eine Analyse von drei Studien nahe. Und wie sieht es mit dem Demenzrisiko aus?
Veröffentlicht:SEATTLE/USA. Der Anfang Juni verstorbene Boxchampion Muhammad Ali machte keinen Hehl aus den Gründen für seinen Morbus Parkinson: "Wenn Ihr 3000 Schläge an die Birne bekommen hättet, so wie ich, wie würde es euch dann gehen?", soll er einmal gesagt haben, als er mit 42 Jahren schon so zitterte wie ein Parkinsonkranker sonst mit 80.
Doch einmal abgesehen von Untersuchungen bei Sportlern, deren Job es ist, sich gegenseitig die Birne weichzuklopfen, ist wenig bekannt über die langfristigen Auswirkungen eines Schädel-Hirn-Traumas (SHT) auf neurodegenerative Erkrankungen.
Eine Auswertung von drei prospektiven Kohortenstudien gibt nun teilweise Entwarnung: Das Risiko für kognitive Beeinträchtigungen und eine Alzheimerdemenz ist danach auch bei einem schweren SHT mit Bewusstlosigkeit nicht signifikant erhöht, allerdings müssen Traumapatienten im Alter vermehrt mit einer Parkinsonerkrankung rechnen.
Zu diesem Schluss kommen Forscher um Dr. Paul Crane von der Universität in Seattle, nachdem sie drei große prospektive Kohortenstudien ausgewertet haben (JAMA Neurol 2016, online 11. Juli). Zuvor hatten Studien immer mal wieder angedeutet, dass auch das Alzheimerrisiko nach einem SHT erhöht sein könnte.
Erhöhtes Risiko für Parkinson
Die US-Wissenschaftler entschieden sich für drei Untersuchungen, die Mitte der 1990er-Jahre begannen: Die Adult Changes in Thought study (ACT), die Religious Orders Study (ROS) sowie das Memory and Aging Project (MAP). An diesen Studien nahmen ältere, in der Regel demenz- und parkinsonfreie Personen teil; bei mehr als 7100 konnten auch Angaben zu einem SHT in der Vorgeschichte erhoben werden.
Im Mittel lag das Alter zu Studienbeginn bei 80 Jahren, 60 Prozent der Teilnehmer waren Frauen. 12 Prozent berichteten zu Beginn, dass sie schon einmal ein SHT mit Bewusstlosigkeit erlitten hatten, rund 2 Prozent waren aufgrund eines SHT länger als eine Stunde ohne Bewusstsein.
In der ACT-Studie traten im Laufe von 28.600 Personenjahren 921 Demenz- und 759 Alzheimererkrankungen auf, die Rate war jedoch weder für eine Demenz allgemein noch für eine Alzheimererkrankung erhöht, wenn die Teilnehmer in der Vergangenheit ein SHT mit Bewusstlosigkeit erlitten hatten.
Demenzrisiko nicht relevant verändert
Zwar fanden die Forscher um Crane eine um rund 18 Prozent erhöhte Demenzrate bei einer SHT-bedingten Bewusstlosigkeit von mehr als einer Stunde, allerdings war der Unterschied im Vergleich zu Personen ohne SHT nicht signifikant.
Aufgrund der Ähnlichkeit beim Studiendesign konnten die Forscher die Angaben der ROS- und MAP-Studien zusammen auswerten. Dabei kamen sie auf etwas mehr als 16.500 Personenjahre und 616 Demenz- sowie 563 Alzheimer-Neuerkrankungen. Auch hier war die Demenzrate bei Teilnehmern mit SHT nicht erhöht, sondern tendenziell sogar noch niedriger: um 13 Prozent bei einem SHT mit weniger als einer Stunde Bewusstlosigkeit sowie um 16 Prozent bei mehr als einer Stunde Bewusstlosigkeit.
Ein ähnliches Bild ergab sich, wenn die Forscher nach leichten kognitiven Einschränkungen schauten – solche traten bei Teilnehmern mit einem ernsten SHT nicht häufiger auf als bei den übrigen.
Studie nicht aussagekräftig?
Parkinsonerkrankungen wurden erwartungsgemäß etwas seltener beobachtet: 83 in ACT sowie 34 in ROS und MAP. In ACT war die Parkinsoninzidenz bei einem SHT 3,5-fach erhöht, jedoch nur dann, wenn die Bewusstlosigkeit länger als eine Stunde angehalten hatte.
Allerdings dürfte es kaum mehr als ein halbes Dutzend Teilnehmer mit einer Parkinson-Neuerkrankung und einem derart schweren SHT gegeben haben – ob solche Berechnungen dann überhaupt noch ernst zu nehmen sind, sei dahingestellt.
In ROS und MAP sah es noch lausiger aus: Nur drei Patienten mit einer Parkinson-Neuerkrankung hatten zuvor ein SHT mit Bewusstlosigkeit, bei allen dauerte diese weniger als eine Stunde.
Etwas Honig lässt sich allenfalls aus den Werten der motorischen UPDRS-Skala saugen, die in den beiden Studien routinemäßig erhoben wurden. Danach kam es bei den immer noch parkinsonfreien Teilnehmer mit SHT rund doppelt so oft zu einer bedeutsamen Verschlechterung der Werte im Laufe der Studie als bei denen ohne SHT.
Ausgeprägter Survival-Bias
Bestätigt werden die Resultate tendenziell durch rund 1600 Hirnautopsien. Darunter befanden sich 213 Gestorbene mit SHT und Bewusstlosigkeit. Bei den Teilnehmern mit SHT entdeckten die Forscher etwas häufiger Lewy-Körperchen, nicht aber Amyloidplaques und Neurofibrillen.
Allerdings waren die wenigsten der Unterschiede signifikant, was auch daran liegen könnte, dass die Fallzahlen ebenfalls zu klein waren: So ließen sich nur bei etwa jedem fünften Teilnehmer Lewy-Körperchen nachweisen.
Eine weiteres großes Manko ist das hohe Alter bei Studieneintritt – das deutet auf einen ausgeprägten Survival-Bias: Parkinson und Demenz beginnen oft schon vor dem 80. Lebensjahr, ein Muhammad Ali wäre bei einer solchen Analyse folglich gar nicht erst berücksichtigt worden.
Das könnte auch vielen anderen mit einer frühen, SHT-bedingten neurodegenerativen Erkrankung so ergangen sein. Auf den Survival-Bias deuten auch die reduzierten Demenzraten von Teilnehmern mit SHT in ROS und MAP. Dass ein SHT vor Demenz schützt, wäre vermutlich die weniger plausible alternative Erklärung.
Die Studie scheint ein etwas erhöhtes Parkinsonrisiko bei einer schweren SHT anzudeuten. Ob das Demenzrisiko erhöht ist oder nicht, lässt sich aufgrund der gravierenden Studienmängel jedoch nicht einschätzen. Es bedarf also weiterer Analysen.