US-Studie zeigt

Viele Parkinson-Frühdiagnosen sind falsch

Auf die klinische Diagnose von Morbus Parkinson im Frühstadium ist wenig Verlass. Eine Untersuchung von US-Forschern offenbart eine geringe Trefferquote.

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Bradykinesie gilt als klinisches Kardinalsymptom der Parkinson-Krankheit. Eine Studie zeigt, wie unsicher diese Bewertung ist.

Bradykinesie gilt als klinisches Kardinalsymptom der Parkinson-Krankheit. Eine Studie zeigt, wie unsicher diese Bewertung ist.

© Getty Images / Huntstock

SCOTTSDALE. Ruhetremor, Zahnradphänomen, Bradykinesie: Wer sich auf diese Trias von Kardinalsymptomen des Morbus Parkinson verlässt, geht diagnostisch häufig in die Irre.

Das lassen die Ergebnisse einer Studie vermuten, die ein Forscherteam um Charles Adler von der Mayo Clinic in Scottsdale vorgelegt hat.

Verglichen mit den abschließenden neuropathologischen Resultaten sind vor allem bei einer Krankheitsdauer von weniger als fünf Jahren viele Parkinson-Diagnosen falsch (Neurology, online 27. Juni 2014).

Die Forscher hatten für ihre Analyse auf die Daten der Arizona Study of Aging and Neurodegenerative Disorders zurückgegriffen. Zum Zeitpunkt des Erstkontakts wurden von Spezialisten für Bewegungsstörungen 232 Patienten mit Parkinsonismus identifiziert.

97 von ihnen wurden der Gruppe "Morbus Parkinson wahrscheinlich" (MPW) zugeordnet. Diese Patienten wiesen mindestens zwei der drei Kardinalsymptome auf und reagierten auf dopaminerge Medikation, symptomatischer Parkinsonismus war ausgeschlossen.

"möglich" oder "wahrscheinlich"

34 Patienten erhielten die Bezeichnung "Morbus Parkinson möglich" (MPM). Bei ihnen waren ebenfalls zwei von drei Hauptsymptomen vorhanden, Beschwerden und Zeichen bestanden aber erst seit höchstens fünf Jahren, ein Ansprechen auf dopaminerge Medikamente war noch nicht bzw. nicht in ausreichendem Maß untersucht worden. Symptomatische Formen waren auch hier ausgeschlossen worden.

Nur bei 26 Prozent der Patienten mit MPM konnte die Diagnose "Morbus Parkinson" später neuropathologisch bestätigt werden. Bei den Patienten mit MPW erreichte die klinische Trefferquote zwar immerhin 82 Prozent im Vergleich zur Pathologie.

Nur bei den MPW-Fällen, die eine Krankheitsdauer von weniger als fünf Jahren aufwiesen, sank die Quote aber auf 53 Prozent. Erst bei längerer Dauer stieg die Rate auf mehr als 85 Prozent.

"Bei der Interpretation klinischer Studien zum Morbus Parkinson ist Vorsicht geboten", resümieren die Wissenschaftler angesichts der geringen Trefferquoten. Das gelte speziell bei Untersuchungen zu frühen Stadien, bei denen keine autoptische Bestätigung erfolgt.

Der positive prädiktive Vorhersagewert lasse sich verbessern, wenn die Patienten mit Hilfe von Geruchstests auf eine Hyposmie geprüft werden. (rb)

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 08.08.201420:50 Uhr

Neue Erkenntnisse der Früh-Detektion des M. Parkinson?

Es ist ein grundsätzliches klinisches Axiom, dass F r ü h e r k e n n u n g bzw. Spezifität und Sensitivität von F r ü h d i a g n o s e n ohne manifeste klassische (Spät-)Symptome eindeutiger Krankheits-Entitäten immer einen g e r i n g e r e n Evidenzgrad haben. Dies ist nicht nur bei neurologischen Erkrankungen wie unspezifischen Neuropathien oder Missempfindungen als präexistente Manifestationen von Zoster bzw. Encephalomyelitis disseminata (MS) der Fall, sondern auch bei vielen exanthematischen Erkrankungen in der Pädiatrie, um nur drei Beispiele zu nennen.

Dieser Leitsatz gilt im Übrigen auch bei den sogenannten Vorsorge-Untersuchungen, die in Wahrheit eigentlich ein "Screening" zur Frühdetektion prädisponierender, präexistenter, präformierter bzw. prämanifester Krankheitsfaktoren sind. Wie hoch grundsätzlich der Anteil klinischer Fehldiagnosen liegen könnte, lässt sich nur ex-post und nicht mit randomisierten kontrollierten (RCT-)Studien prospektiv erfassen.

In der von ÄZ-Autor Dr. Robert Bublak hervorragend referierten Studie von Charles Adler et al. kann man an den Schlussfolgerungen unschwer erkennen, dass das o. g. Axiom bestätigt wurde: "Conclusions: Using neuropathologic findings of PD [Parkinson disease] as the gold standard, this study establishes the novel findings of only 26% accuracy for a clinical diagnosis of PD in untreated or not clearly responsive subjects, 53% accuracy in early PD responsive to medication (<5 years'' duration), and >85% diagnostic accuracy of longer duration, medication-responsive PD. Caution is needed when interpreting clinical studies of PD, especially studies of early disease that do not have autopsy confirmation..."

Die Studienautoren der Mayo Clinic in Scottsdale, Arizona/USA, raten zu Recht, Studien o h n e Autopsie-Bestätigungen bzw. ausschließlichen Parkinson-Frühdiagnosen o h n e PD-spezifischer Therapie zu misstrauen. Doch da muss ich aus Sicht der hausärztlichen Versorgungsforschung nachhaken. Wie kann man den Patienten z. B. in den USA weiterhelfen, die klinisch-ambulant gar nicht erreicht werden können und sich selbst in fortgeschrittenen Stadien medizinische Behandlungen gar nicht mehr leisten können? Was nützt da eine verbesserte Frühdiagnose, flankiert durch Weiterentwicklung diagnostischer Biomarker?

Bei meiner Reise durch Alaska traf ich am "Moose(Alaska-Elch)-Pass" auf eine 69-jährige Patientin mit dem klinischen Vollbild der Parkinson-Krankheit (PD) - Tremor, Rigor, klassisches Zahnradphänomen und "Risus sardonicus", die ihren kleinen, heruntergekommenen Coffee-Shop gar nicht mehr bewirtschaften und bedienen kann, aber kein Geld für Arzt oder Medikamente hat. Ihr wäre auch mit einer verbesserten Frühdiagnose nicht geholfen.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z. Zt. Valdez/Alaska)

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