Hirnjogging im Alter
Nur geringe Wirkung aufs Gedächtnis
Mit einem intensiven kognitiven Training lassen sich Arbeitsgedächtnis, Denkfähigkeit und Gedächtnis verbessern. Allerdings ist der Nutzen des Trainings bei älteren Menschen sehr begrenzt.
Veröffentlicht:DRESDEN. Wer ständig Goethes Erlkönig rezitiert, kann das Gedicht irgendwann auswendig. Doch hilft ihm das auch, Schillers Glocke besser im Kopf zu behalten? Oder sich daran zu erinnern, wo er den Hausschlüssel hingelegt hat?
Falls ja, hätte das Gehirn die Fähigkeit verbessert, sich Dinge zu merken. Falls nein, dann hätte es nur die Fertigkeit erworben, Gedichte, oder vielleicht sogar nur ein bestimmtes Gedicht, zu behalten.
Die Frage, ob ein bestimmtes kognitives Training bei älteren Menschen also nur Fertigkeiten oder Fähigkeiten verbessert, ist von großer Bedeutung: Ist Ersteres der Fall, sollte sich das Training auf konkrete Alltagssituationen beziehen, da kein Transfer auf andere Aufgaben zu erwarten ist.
Es macht dann mehr Sinn, Namen und Telefonnummer von Bekannten und Verwandten auswendig zu lernen als Goethes Gedichte. Auch Kreuzworträtsel und Sudoku würden dann wohl eher nichts für die Hirnleistung bringen.
Lassen sich im Alter jedoch auch noch kognitive Fähigkeiten steigern, könnte ein spezielles Training die Alltagsfunktion in vielen Bereichen verbessern.
Intensives Training an 100 Tagen
Weitere Berichte vom DGN-Kongress lesen Sie im Dossier Neurologie der "Ärzte Zeitung" ...
Wie gut sich Fähigkeiten und Fertigkeiten im Alter noch trainieren lassen, hat nun eine Arbeitsgruppe um Professor Ulman Lindenberger vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin untersucht.
Auf dem DGN-Kongress in Dresden stellte der Psychologe Daten der Studie COGITO vor. An ihr hatten 101 Personen im Alter von 20 bis 31 Jahren und 103 Personen im Alter von 65 bis 80 Jahren teilgenommen.
Die Probanden mussten hundert Tage lang täglich zwölf verschiedene Aufgaben lösen, mit denen die Wahrnehmungsgeschwindigkeit, die Merkfähigkeit und das Arbeitsgedächtnis getestet wurden.
Eine Sitzung dauerte jeweils 90 Minuten - das Training war also sehr intensiv. Allerdings, so Lindenberger, machte es den meisten Teilnehmern richtig Spaß - viele seien auch nach dem Ende der Studie noch gekommen, um ihr Hirn zu trainieren.
Bei der Wahrnehmungsgeschwindigkeit sollten die Teilnehmer bei kurz eingeblendeten Zahlenpaaren, Wortpaaren oder Abbildungen entscheiden, ob diese identisch oder verschieden sind.
Beim Gedächtnistest ging es etwa darum, lange Wortlisten in der richtigen Reihenfolge zu wiederholen oder sich Positionen von Objekten in einem Gitter zu merken. Tests zum Arbeitsgedächtnis bestanden etwa aus mehrstufigen Rechenaufgaben.
Die Aufgaben waren so anspruchsvoll, dass praktisch niemand die volle Punktzahl erreichen konnte. Damit wollten die Forscher feststellen, ob auch noch nach langer Zeit Verbesserungen möglich sind oder sich das Leistungsniveau auf einem gewissen Wert einpendelt.
Alle Teilnehmer wurden vor und nach der Studie mit einer umfassenden kognitiven Testbatterie untersucht. 44 jüngere und 39 ältere Erwachsene ohne Training dienten als Kontrollgruppe.
Kein Nutzen bei der Wahrnehmung
Wie erwartet schnitten sowohl die jüngeren als auch die älteren Teilnehmer bei den immer gleichen Testverfahren mit der Zeit immer besser ab, wenngleich der Leistungszuwachs am Anfang wesentlich stärker war als zum Schluss.
In einem nächsten Schritt prüfte das Team um Lindenberger, ob die Teilnehmer nun auch in anderen Testverfahren besser abschnitten als die untrainierten Personen oder als vor dem Training.
Wurden nun andere Aufgaben zur Wahrnehmungsgeschwindigkeit gestellt, so war dies nicht der Fall: Hier schnitten sowohl die jüngeren als auch die älteren Teilnehmer nicht besser ab, ein Transfer hatte also nicht stattgefunden.
Offenbar lässt sich die Wahrnehmungsgeschwindigkeit, die mit dem Alter kontinuierlich sinkt, nicht generell trainieren.
Arbeitsgedächtnis profitiert
Deutlich anders sah das Bild in den anderen beiden Domänen aus. So konnten Jung wie Alt ihr Arbeitsgedächtnis signifikant verbessern: Die Effektstärke war mit jeweils 0,36 und 0,31 sogar ähnlich groß.
Bei der Denkfähigkeit und dem episodischen Gedächtnis gelang jedoch nur den jüngeren Teilnehmern ein Transfer: Mit Effektstärken von 0,19 und 0,52 schnitten sie deutlich besser ab als untrainierte Personen, bei den älteren Teilnehmern gab es hier insgesamt keine signifikanten Unterschiede.
Bemerkenswert war auch, dass bei Tests zwei Jahre nach dem Training die Denkfähigkeit und das episodische Gedächtnis bei den jüngeren Trainierten noch nachweislich besser waren als vor dem Training - der Nutzen hielt also langfristig an.
Welche Schlüsse lassen sich nun daraus ziehen? Wer das Gedächtnis und die Denkfähigkeit langfristig erhalten und stärken will, sollte sein Gehirn also schon in jungen Jahren auf Trab halten, erst im Alter damit zu beginnen, bringt wohl nicht mehr allzu viel.
Lindenberger will einen Nutzen des kognitiven Trainings auf solche Funktionen aber auch im Alter nicht ausschließen. Bei einzelnen Aufgaben hätten sich durchaus Vorteile ergeben, möglicherweise sei bei älteren Menschen eben ein noch intensiveres und längeres Training nötig, um auch hier die Fähigkeiten und nicht nur die Fertigkeiten beim episodischen Gedächtnis zu verbessern.
Möglicherweise fehlte den älteren Studienteilnehmern auch einfach etwas mehr Bewegung. Andere Untersuchungen hatten darauf gedeutet, dass vor allem die Kombination von Sport und geistiger Aktivität das Hirn im Alter fit hält.
Dagegen sind positive Effekte auf das Arbeitsgedächtnis auch im Alter offenbar noch mit ausschließlichem Hirntraining möglich.
Interessant sind zudem Daten aus der DTI-Bildgebung: So stellten die Forscher um Lindenberger bei den trainierten Personen Veränderungen hippocampaler Fasern fest: Die fraktionale Anisotropie - ein Maß für die Integrität von Fasern - erhöhte sich im Laufe der Studie, und zwar vor allem bei den älteren Teilnehmern.
Bei untrainierten Älteren nahm sie hingegen ab, was auf eine Zunahme mikrostruktureller Schäden deutet.