ADHS-Therapie

Ist Neurofeedback wirklich die bessere Wahl?

Ist Neurofeedback die bessere ADHS-Therapie? Trotz aller Polemik in der Publikumspresse: Das in Langzeitstudien bewährte Methylphenidat kann durch die noch wenig untersuchte Methode nicht ersetzt werden.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:
Elektroden zur Hirnstrommessung werden platziert. „Schnelle Wellen“ im EEG sind bei ADHS oft zu gering ausgeprägt.

Elektroden zur Hirnstrommessung werden platziert. „Schnelle Wellen“ im EEG sind bei ADHS oft zu gering ausgeprägt.

© Gerhard Seybert / fotolia.com

Im September letzten Jahres fuhr die "Süddeutsche Zeitung" eine Attacke gegen das ADHS-Medikament Methylphenidat (MPH), die sich gewaschen hatte:

Das Medikament wird mit Koks verglichen, mit dem es "chemisch verwandt" sei; es könne abhängig machen, sei "im Sport als Doping verboten" und habe gravierende Nebenwirkungen.

Ebenso gut hätte man schreiben können: Was müssen das für Rabeneltern sein, die ihr Kind mit solchem Teufelszeug traktieren?

Dabei, so geht aus dem Artikel hervor, gebe es jetzt doch ein Verfahren, mit dem man ADHS nicht nur behandeln, sondern sogar heilen könne: Neurofeedback. Am Beispiel des ADHS-Patienten Tim wird dargestellt, wie gut die alternative Methode funktioniert.

Tatsächlich hat diese sanfte Form der ADHS-Therapie ihren Charme: Die Kinder können dabei spielerisch lernen, ihre Hirnaktivierung zu verbessern.

Man muss sich das so vorstellen: Der Patient sitzt vor einem Neurofeedback-Computer, mit dem er über auf dem Kopf befestigte Elektroden verbunden ist.

Auf dem Bildschirm läuft ein Filmchen oder ein Computerspiel, bei dem zum Beispiel ein Flugzeug an Höhe verliert. Wer sich gut aktiviert, schafft es, allein durch seine Vorstellungskraft das Flugzeug steigen zu lassen.

Macht man das häufig, werden Hirnfrequenzen trainiert, die einem Zustand der ruhigen Konzentration oder aktiven Aufmerksamkeit entsprechen.

Diese im EEG als "schnelle Wellen" darstellbaren Frequenzen sind bei vielen ADHS-Patienten auch dann zu gering ausgeprägt, wenn sie sich konzentrieren wollen.

Millionen von Patienten mit MPH behandelt

Tim hat es offenbar geschafft, in 25 Sitzungen seine Krankheit zu besiegen, allein durch die Kraft seiner Gedanken. "Wenn die Selbstregulierung gelingt, dann ist ADHS ganz weg, das Gehirn getunt", so die Autorin des Features.

Wozu dann überhaupt noch Pillen, wenn diese doch offenbar mehr schaden als nutzen, mag man sich jetzt als Laie fragen.

Das Problem ist vor allem die Polemik, die hier auf Kosten eines bewährten Medikaments betrieben wird: Methylphenidat schlecht - Neurofeedback gut; so bleibt es in den Köpfen hängen.

Mit Berichten wie diesen werde "eine Angst vor Stimulanzien hochkatapultiert, die völlig unangemessen ist", so der Neuropädiater und Neurofeedbacktherapeut Dr. Hans-Jürgen Kühle aus Gießen zur "Ärzte Zeitung".

Mit MPH wurden, berichtet Kühle, bereits Millionen von Patienten über Jahrzehnte behandelt; es wurde, gerade weil es die Gemüter stark bewegt, immer wieder in Studien getestet.

Mittlerweile liegen Langzeitstudien mit Laufzeiten von mehr als 30 Jahren vor, in denen die Sicherheit des Medikaments als unterstützende Therapie belegt wurde.

Voraussetzung ist immer der bestimmungsgemäße Gebrauch unter ärztlicher Kontrolle. Man muss sich bewusst sein, dass man es mit einem Medikament zu tun hat, das durchaus Nebenwirkungen haben kann.

Die richtige Dosierung ist daher ganz entscheidend, betont Kühle. Bei guter Einstellung lasse sich "die Kernsymptomatik so herunterfahren, dass der Patient ein Leben führen kann, welches seinen akademischen Fähigkeiten entspricht".

Den Vergleich mit Koks will der Pädiater so nicht stehen lassen: "Das ist, als ob Sie Cholesterin mit Kortison vergleichen." Es sieht so ähnlich aus, ist aber in seiner Wirkung ganz anders.

Auf eine MPH-Therapie sprechen etwa 95 Prozent der Patienten an - wenn auf 2,5 mg genau dosiert wird (J Atten Disord 2007; 10: 350).

Beim Neurofeedback, das zu den alternativen Therapien zählt und von den Kostenträgern derzeit nicht erstattet wird, geht man nach ersten Studien von Ansprechraten von etwa 50 bis 75 Prozent aus.

"Es schaffen eben nicht alle, die Selbststeuerung der Hirnaktivierung zu erlernen", sagt Kühle. Bei ADHS handle es sich außerdem um eine "Lifespan-Condition". Sie begleite die Patienten ihr Leben lang.

Gerade wenn Kinder in die Pubertät kommen, so der Experte, könne "vieles durcheinander geraten". Um den Erfolg einer Therapie zu beurteilen, sind Langzeitstudien also unerlässlich. Die vorliegenden Studien zur Neurofeedback-Therapie bei ADHS umfassen jedoch maximal zwei Jahre.

Neurofeedback als Ergänzung des Stimulans

Kühle setzt Neurofeedback in seiner eigenen Praxis seit etwa acht Jahren ein, meist in Ergänzung zum Stimulans. Bei vielen ADHS-Patienten erzielt er damit auch Erfolge, allerdings nur, wenn die Kinder motiviert sind und auch zu Hause weiter üben.

Dann kann bei einigen Patienten auf MPH verzichtet werden. Von Heilung zu sprechen, hält der Pädiater jedoch für verfrüht. Viel eher träfe der Begriff "Remission" zu.

Fazit: Neurofeedback kann die medikamentöse Therapie sinnvoll ergänzen, selten aber komplett ersetzen. Beide Verfahren sollen dem Patienten helfen, angemessene Problemlösungsstrategien zu erlernen, und sei es auch nur dadurch, dass er merkt, wie er im Alltag besser zurecht kommt und wieder Zuversicht entwickelt.

Kindern mit ADHS und ihren Familien ist jedenfalls nicht damit gedient, wenn man die beiden Therapieoptionen gegeneinander ausspielt.

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