Organmangel
Notlösung krebskranke Spender
In Deutschland sind Organspenden ein rares Gut - nicht erst seit den Skandalen aus dem letzten Jahr. Zunehmend greifen die Transplanteure auch zu Organen von Spendern mit Tumoren. Ob das wirklich sinnvoll ist, sollen neue Daten zeigen.
Veröffentlicht:BERLIN. Organmangel macht erfinderisch: Weil die Nachfrage das Angebot von Spenderorganen deutlich übersteigt und allein in Deutschland jeden Tag drei Patienten der Warteliste sterben, greifen Transplanteure zunehmend auch zu "schlechten" Organen.
Doch das muss gar nicht schlecht sein, wie neueste Zahlen der Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zeigen, die bei der 5. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) in Berlin vorgestellt wurden.
Früher sei es "undenkbar" gewesen, etwa Organe von Spendern mit einem Malignom zu akzeptieren, sagte Kerstin Mönch, DSO-Koordination in Mainz. "Heute sieht das anders aus, wir akzeptieren 'Extended Criteria Donors‘."
Dazu zählen im Fall der Nierentransplantation nicht nur Patienten über 60, mit Bluthochdruck oder erhöhtem Serumkreatinin, sondern mittlerweile auch solche mit bösartigen Tumoren.
Mit Organen kranker Spender gibt es nur wenige Erfahrungen
Das Problem für die behandelnden Ärzte: Mit solchen Organen gibt es nur wenig Erfahrung, kaum valide Daten und wenn überhaupt nur mit einem begrenzten Evidenzgrad.
Laut Mönch liegt das Transmissionsrisiko in den publizierten Studien zwischen 0, 0,02 und 0,2 Prozent. "Da sind mir zu viele Zehnerpotenzen drin."
Sie hofft deswegen auf das geplante deutsche Transplantationsregister, um künftig eine validere Datengrundlage zu haben.
Auch randomisiert-kontrollierte Studien wird es in Zukunft wohl kaum geben. Sie sind ethisch in diesem Fall nicht vertretbar und würden etwa in Deutschland ohnehin mit den geltenden Allokationsregeln kollidieren.
Ein weiteres Problem, erinnerte Mönch, ist die Tatsache, dass viele Krebserkrankungen in Spenderorganen erst nach der Transplantation festgestellt werden. Diese Tumoren waren entweder im Spender übersehen worden oder zuvor einfach nicht auffällig.
Zur Erinnerung: Wegen der Immunsuppression passiert es nicht selten, dass zuvor okkulte Krebserkrankungen erst im Empfänger zu gefährlichen Tumoren anwachsen und womöglich metastasieren.
248 von 7483 Spendern mit Tumoren
Die DSO hat mittlerweile Daten von 7483 Spendern aus den Jahren 2006 bis 2011 ausgewertet. Seit September 2010 läuft eine Follow-up-Analyse, bei der kontinuierlich über die Transplantzentren der Zustand der Empfänger abgefragt wird.
Immerhin 248 dieser Spender hatten Malignome (3,31 Prozent). Nierenzellkarzinome (RCC) stellten mit 38 Tumoren die Hauptzahl, gefolgt von Mammakarzinomen (16).
Unter den ZNS-Tumoren stellten Grad-III- und Grad-IV-Tumoren die Mehrheit, etwa das Astrozytom oder Glioblastoma multiforme. Mönch: "Es ist wirklich alles dabei."
Von den Spendern mit Malignomen gingen insgesamt 702 Organe an 648 Empfänger (darunter 338 Nieren, 207 Lebern, je 75 Herzen und Jungen und sieben Bauchspeicheldrüsen).
Die Wartezeit der Empfänger lag im Median bei knapp über fünf Jahren, was für Deutschland ein relativ niedriger Wert ist.
Nur bei 8,7 Prozent der gespendeten Organe wurde erst nach der Transplantation erkannt, dass die Spender maligne Tumoren hatten.
Bei dem ganz überwiegenden Teil der Spenderorgane wurde bereits zuvor ein Malignom bei den Spendern diagnostiziert. Die meisten Organe sind also mit dem Wissen um die Tumoren von den Transplanteuren akzeptiert worden.
Keine Tumortransmission bekannt
Die gute Nachricht: Bislang ist der DSO keine Tumortransmission berichtet worden, zumindest bei Organen von Spendern, bei denen schon vor der Transplantation ein Krebs diagnostiziert wurde.
Das Follow-up läuft allerdings erst seit etwa eineinhalb Jahren. Mönch befürchtet außerdem nicht gemeldete Fälle, da für ein gutes Viertel der Empfänger keine Nachfolgedaten gemeldet wurden.
Bei den Organen von sieben Spendern mit okkulten Krebserkrankungen verzeichnet die DSO allerdings tatsächlich Tumorübertragungen, darunter RCC, Mamma-Ca, kolorektale Karzinome und neuroendokrine Tumoren. Zehn Empfänger sind erkrankt, acht gestorben.
Bei den drei Patienten mit dem RCC konnten die Ärzte die transplantierten Nieren wieder entfernen. Gerade bei Nierenspenden mit Malignomen ist der Vorteil, dass sie wieder entfernt und die Patienten bis zur Retransplantation an der Dialyse weiterbehandelt werden können.
Damit kann auch die Immunsuppression eingestellt werden, was dem Körper die Chance gibt, residuale Tumorzellen aus eigener Kraft zu bekämpfen.
Engmaschie Nachsorge durch Zentren wichtig
Eine generelle Empfehlung für die Verwendung von Organen von krebskranken Spendern sind diese Zahlen freilich nicht.
Dennoch: Laut Mönch sind die Transmissionsraten in der deutschen Kohorte mit 0,02 Prozent niedrig. "Wir bieten alles an, weil auch alles akzeptiert wird."
Dazu zählten mittlerweile sogar Organe von Spendern mit stark rezidivierenden Tumoren, etwa Melanom oder Mamma-Ca, bei denen die Tumoren allerdings schon Jahre zuvor entfernt wurden. Als ungeschriebene Grenze gilt ein Abstand zwischen Resektion und Spende von zehn Jahren.
Selbst Organe von Spendern, die Lymphknotenmetastasen hatten, wurden schon von einzelnen Transplantzentren akzeptiert.
Mönch: "Ich glaube nicht, dass wir bei der Organauswahl noch viel Spielraum haben." Allerdings gebe es etwa in der Nierenspende mit RCC die Möglichkeit einer Nieren-erhaltenden Operation vor der Transplantation.
Entscheidend sei in all diesen Fällen allerdings die engmaschige und sorgfältige Nachsorge durch die Zentren. Auch die Follow-ups müssten gewährleistet werden.
"Das ist wirklich wichtig", sagte Mönch und verwies darauf, dass bei einer Diagnose sofort die DSO und Eurotransplant informiert werden müssten, um womöglich weitere Empfänger desselben Spenders zu informieren.