Perspektiven der Selbsthilfe auf das AMNOG
Herausforderung chronische Krankheiten
Die frühe Nutzenbewertung hat eine neue Qualität der Transparenz geschaffen und Einsparpotenziale erschlossen. Die Berücksichtigung von Lebensqualität hat sich verbessert, ist aber noch entwicklungsfähig. Aus Sicht der BAG Selbsthilfe könnte auch die Euro-HTA ein Zukunftsmodell sein.
Veröffentlicht:Wesentliche Ziele hat das AMNOG mit der frühen Nutzenbewertung nach zehn Jahren erreicht: Mit der Ermittlung des Zusatznutzens im Vergleich zum Therapiestandard ist eine neue Qualität der Markttransparenz entstanden, mit dem auf der Nutzenbewertung basierenden Preisfindungsmechanismus sind die erwünschten Einsparziele erschlossen worden, so Dr. Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, eine der Patientenorganisationen, die im Gemeinsamen Bundesausschuss mitberatende Funktion haben.
Schwächen im System
Danner benennt aber auch drei Schwachstellen, an denen gearbeitet werden muss:
- Es gebe Brüche zwischen den Verfahren der Zulassung und der frühen Nutzenbewertung. Dies sei etwa dann der Fall, wenn etwa bei einem hohen medizinischen Bedarf Zulassungen schon nach Phase-2-Studien erteilt werden und keine Vergleichsstudien vorliegen. Dann sei es schwierig, einen Zusatznutzen zu quantifizieren.
- Verlässlichkeit und Berechenbarkeit des Verfahrens einerseits und medizinische Dynamik andererseits. Zwischen der Beratung der Unternehmen zur Zulassung und auch zur frühen Nutzenbewertung, die für das Studiendesign und die Wahl der Vergleichstherapie von Bedeutung ist, und der Nutzenbewertung nach der Zulassung liegen mitunter fünf Jahre – Zeit, in der sich die Medizin fortentwickelt und der einmal gewählte Vergleichsmaßstab nicht mehr aktuell ist.
- Primär diene die Nutzenbewertung der Preisfindung, in neuerer Zeit auch, um über das elektronische Arzt-Informationssystem Einfluss auf die Verordnungspraxis zu nehmen. Ein sehr rigides regulatorisches Raster, so Danner, könne den Handlungsspielraum von Ärzten möglicherweise einschränken.
- Als grundsätzliches Problem habe sich die Nutzenbewertung von Arzneimitteln zur Behandlung chronischer, langsam progredient verlaufender Krankheiten erwiesen. Es sei schwierig, bei beschränkter Zeit der Studiendauer einen Zusatznutzen für Parameter zu zeigen, die nur langfristig beeinflusst werden können. Registerstudien seien eine Möglichkeit, bessere Informationen auf die Dauer für solche Therapien zu bekommen und damit Behandlungen zu optimieren – für die Bildung des Erstattungsbetrages, der ein Jahr nach der Zulassung gefunden sein muss, nützten Registerstudien jedoch nicht.
Eine deutliche Verbesserung in den vergangenen zehn Jahren habe bei der Berücksichtigung der Lebensqualität – neben Mortalität und Morbidität ein entscheidendes Kriterium für die Bewertung des Zusatznutzens – stattgefunden. Von vornherein sei dies ein zentrales Anliegen der Patientenvertretung gewesen, das allerdings anfänglich zurückhaltend behandelt wurde. Aufgrund der verbesserten Datenlage und Methodik entwickele sich der Aspekt der Lebensqualität zu einem Kriterium, das eine gleichgewichtige Rolle spiele. Fortschritte seien durch ein IQWiG-Methodenpapier zu erwarten.
EU-HTA wird langfristig kommen
Als langfristiges Reformprojekt sieht Danner die europäische Nutzenbewertung. Aufgrund des sehr heterogenen Verständnisses dürfe das Projekt der Euro-HTA nicht überhastet vorangetrieben werden. Eine Beteiligung von Patientenorganisationen am EU-HTA-Verfahren sei möglich. Man dürfe aber nicht vergessen, dass Deutschland mit seiner Qualität und Kompetenz der Patientenbeteiligung sehr weit sei und in anderen Ländern noch Nachholbedarf existiere.