Kooperation | In Kooperation mit: ALM – Akkreditierte Labore in der Medizin e.V.

Interview mit ALM-Chef

„Die Leistung der Labore wird uneingeschränkt und breit anerkannt“

Dr. Michael Müller, Vorstandsvorsitzender des fachärztlichen Berufsverbandes Akkreditierte Labore in der Medizin (ALM) rekapituliert vier Monate Corona-Pandemie und den Beitrag, den die Labore zur Eindämmung des Virus geleistet haben.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Müller, testen, testen, testen, heißt es allerorten. Selten ist den Laboren so viel Aufmerksamkeit zuteil geworden wie jetzt in der Corona-Krise. Welche Folgen hat das für deren Stellenwert im Gesundheitswesen?

Dr. Michael Müller: Die Strategie des BMG heißt ja „testen, testen, testen – aber gezielt.“ Dieser wichtige Zusatz verdeutlicht die Bedeutung der anlassbezogenen, breit verfügbaren SARS-CoV-2-PCR-Tests. Wir werden international darum beneidet, dass wir hier so schnell reagieren und flächendeckend ambulante Tests anbieten konnten. Es hat sich gezeigt, wie wichtig die gute Verfügbarkeit von Diagnostik ist, um eine Pandemie effizient zu bekämpfen, und das ist auch anerkannt worden.

Sind immer mehr Tests denn die richtige Strategie, um SARS-CoV-2 in Schach zu halten – zum Beispiel Tests für jedermann wie in Bayern?

Einfach so ohne jeden Anlass zu testen, in Gebieten mit niedriger Infektionsrate, ist tatsächlich nicht effizient und wäre auch nicht wirtschaftlich. Es könnte die Menschen dort auch in falscher Sicherheit wiegen und so die entscheidenden Maßnahmen – Abstandsregeln, Hygiene, Masken tragen – in der Priorität nach hinten rücken lassen. Nein, anlassbezogenes breites Testen, um Infektionsketten zu erkennen und zu unterbrechen, vulnerable Gruppen wie Pflege- und Altenheime und Krankenhäuser zu schützen, das ist die richtige Teststrategie.

Reichen die regionalen Kapazitäten überhaupt für PCR-Tests aus, wenn es regionale Hotspots gibt? Oder gibt es ein System der Weitergabe?

Ja, die Kapazitäten reichen, dank der Flexibilität der Labore. Wir haben das sehr gut im Überblick dank unserer Datenerhebung in mittlerweile 138 Laboren, die wir seit der 10. Kalenderwoche bundesweit wöchentlich aktualisieren. Bezogen auf den Hotspot in Gütersloh, dem größten Ausbruch in Deutschland, hat sich gezeigt, dass in NRW innerhalb von zwei Wochen die Anzahl der PCR-Tests auf SARS-CoV-2 von 70.000 auf 143.000 in der Woche gestiegen ist – mit denselben 18 Laboren. Teilweise waren das 45.000 bis 50.000 mehr Tests in einer Woche, die dann unter den Laboren verteilt wurden.

Blicken wir zurück: Ab wann war den Laborärzten eigentlich klar, dass da ein ganz großes Ding auf sie zukommt – und wie haben Sie sich vorbereitet auf die Testwelle?
Dr. Michael Müller

Dr. Michael Müller

© ALM

Das Protokoll für einen ersten PCR-Test auf SARS-CoV-2 lag in Deutschland schon Mitte Januar im nationalen Konsiliarlabor für Coronaviren an der Charité vor. Dass der Bewertungsausschuss zum 01. Februar den Beschluss traf, den Test zur Kassenleistung zu machen, war ebenfalls sehr wichtig. Wir haben uns dann intensiv untereinander ausgetauscht, auch über die Qualitätssicherung, und waren gut vorbereitet, als es im Februar losging. Die Verfügbarkeit der Reagenzien war noch ein paar Wochen lang ein Thema, aber das war Ende März gelöst. Der erste Ringversuch wurde dann durch eine deutsche Institution als internationale externe Qualitätskontrolle schon im Mai durchgeführt. Hier wurde die wirklich sehr gute Qualität der in Deutschland eingesetzten PCR-Tests belegt.

Welche Bedeutung hatte die hiesige Laborstruktur in der Pandemie?

Es hat sich gezeigt, dass die Situation in Deutschland mit vielen ambulanten, vertragsärztlich zugelassenen Laboren, kleinen, mittleren und großen, im Vergleich zu anderen Ländern von Vorteil war. Wir haben uns alle angestrengt und schnell den Aufbau der auch international sehr beachtlichen Testkapazitäten in Angriff genommen, weil wir das Gesundheitssystem und die Intensivstationen nicht überlasten wollten. Die Datenerhebung des ALM, in die bis zu 90 Prozent aller Tests in Deutschland einfließen, gibt einen guten Überblick über das Infektionsgeschehen, auch dem Gesundheitsministerium und dem RKI.

In den Laboren läuft viel automatisiert ab. Beim PCR-Test ging das zunächst noch nicht oder nur teilweise. Was hat das für die Organisation in den Laboren bedeutet?

Das war tatsächlich eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Wir haben in den Laboren meist mehrere, manchmal bis zu vier PCR-Methoden zur Verfügung, um unterschiedlich vorgehen zu können und z.B. fragliche Befunde mit einer anderen PCR zu überprüfen. Der Abstrich wird an einer Sicherheitswerkbank in ein Röhrchen überführt, das Virus-Material muss dann extrahiert werden, was zumindest teilautomatisiert möglich ist. Teilweise müssen die Tests wiederholt werden, wenn das Ergebnis etwa nur schwach positiv ist. Hier sind dann Laborärzte, Virologen oder Mikrobiologen gefragt, um Zweifelsfälle einzuordnen und medizinisch-ärztlich zu entscheiden. Diese Prozesse können nur fachärztliche Labore leisten.

Welche Belastungen hat das für die Mitarbeiter, vor allem die MTLA bedeutet?

Wir sind wirklich super-glücklich mit unseren Medizinisch-technischen Laboratoriumsassistentinnen und -assistenten, den wichtigen Fachkräften in den Laboren, die unter anstrengendsten Bedingungen jeden Tag gearbeitet, viele Überstunden, Früh- und Spätschichten, auch am Wochenende, geleistet haben. Es ist gut, dass diese wichtige Arbeit durch den staatlich anerkannten Beruf der MTLA geleistet wird. Sie müssen sich das vor Augen führen: 700 bis 1000 eventuell infektiöse Proben unterm Abzug in einer Schicht zu bearbeiten – das ist eine Riesen-Belastung. Mit dieser Arbeit dürfen wir die Mitarbeiter nicht überlasten, die brauchen auch in der Pandemie Pausen, Freizeitausgleich und Urlaub.

Kaum gab es mehr PCR-Tests in den Laboren, kam schon der Lockdown, und niemand ging mehr zum Arzt, der nicht musste. Welche Konsequenzen hatte das für die Branche?

Viele Patientinnen und Patienten sind ab Mitte März tatsächlich nicht mehr in die Praxen gekommen. Gerade chronisch Kranke haben Untersuchungen aufgeschoben, das war auch so gewollt, um Kontakte zu vermeiden. In den Laboren brachte das im März, April und teilweise auch noch im Mai einen Rückgang um 50 Prozent und mehr – bei gleichen Grundkosten. So gab es in Laboren auch Kurzarbeit.

Wie gut konnten die vielen neuen PCR-Tests die Honorarverluste aus den andern, weniger anfallenden Routinetests ausgleichen?

Nur teilweise, häufig gar nicht. Es bietet ja auch nicht jedes Labor die PCR-Tests auf SARS-CoV-2 überhaupt an. Und der Mengenrückgang war wirklich extrem. Selbst die Labore, die auf SARS-CoV-2 testen, mussten ja zunächst investieren in zusätzliche Geräte, mussten die Kosten für die neuen Reagenzien tragen und auch zusätzliche Mitarbeiter einstellen, um die Mengen an SARS-CoV-2-PCR-Testungen bewältigen zu können.

Und der KV-Rettungsschirm – hilft der Ihnen?

Die wirtschaftlichen Folgen im Einzelfall sind noch nicht absehbar, denn die Abrechnung des ersten Quartals kommt ja erst in den nächsten Wochen. Die HVM-Anpassungen haben unterschiedliche Auswirkungen. Und auch wenn die SARS-CoV-2-PCR und -Antikörper-Diagnostik extrabudgetär vergütet werden: Es gelten weiterhin die Abstaffelungsregelungen für das Speziallabor im EBM. Das trifft die Labore hart.

Wie wichtig ist der Beitrag der Labore zur Eindämmung des Virus? Wird das ausreichend gewürdigt?

Ich bin da sehr positiv gestimmt. Die Leistung der Labore wird uneingeschränkt und breit anerkannt. Wir erhalten wirklich viele positive Rückmeldungen. Die Labore sind in der Fläche präsent, wir beraten Zuweiser in der Indikationsstellung und auch bei der Interpretation der Befunde; wir führen die Diagnostik zeitnah durch, bis in den späten Abend und auch an Wochenenden, rufen die Kolleginnen und Kollegen persönlich an. Das bringt eine hohe Wertschätzung und hält die Motivation hoch, auch in den Labor-Teams selbst.

Sehen Sie sich auch von den Kassen wertgeschätzt? Stichwort Bewertung des PCR-Tests…

Die Abwertung des Tests um ein Drittel schon vier Monate nach der Einführung ist tatsächlich demotivierend. Hier ist an der Erstattungsschraube gedreht worden, ohne dass dies kalkulatorisch berechtigt gewesen wäre. Die Kassen glauben, dass sie bei den Leistungen nur die Verbrauchskosten für die Reagenzien bezahlen müssten. Aber die Kalkulationsgrundlagen für das Labor sind 20 Jahre alt, das Laborkapitel im EBM ist in 2009 erheblich abgewertet worden, und die Versandkostenpauschale 40100 und die Grundpauschale der Laborärzte ebenso. Im Laborkapital wird durch die Kostensätze die Infrastruktur nicht mehr vollständig finanziert. Vor allem der Sofortvollzug der Entscheidung zur SARS-CoV-2-Testung war nicht nachvollziehbar und in der Wirkung auf die Labore bitter. Wie sollen sich Praxen mit nur drei Wochen Vorlaufzeit auf eine solche Reduktion der Erstattung einstellen können? Dabei haben die Labore die Testkapazitäten auf Wunsch aller immer weiter erhöht und dafür auch investiert. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, dass die GKV sich in dieser Phase der Pandemie so verhält.

Welche Chancen sehen Sie für eine Rücknahme dieser Entscheidung?

Ich vertraue darauf, dass die Entscheidung zumindest teilweise revidiert wird, wenn die Fakten auf den Tisch kommen. Immerhin ist es Teil des Beschlusses, dass eine Expertengruppe die Kostensituation unter die Lupe nimmt, sie soll zum 15. August Bericht erstatten. Erste Beratungen hierzu stehen an. Es ist ja in Ordnung, Rationalisierungsreserven ausschöpfen zu wollen, aber man muss erst einmal prüfen, ob es sie überhaupt gibt. Von den aktuell beschlossenen 39,40 Euro für die SARS-CoV-2-PCR müssen wir deutlich wegkommen.

Wird es Ihrer Einschätzung nach gelingen, die Infektionsketten im Griff zu behalten?

Ob wir die Infektionszahlen auf dem aktuellen Niveau halten können, liegt an jedem einzelnen und dem persönlichen Verhalten im Hinblick auf Abstandskontrolle, das Tragen von Mund-Nase-Bedeckung sowie das Einhalten der empfohlenen Hygienemaßnahmen. Vor allem im Herbst, wenn wir uns wieder mehr in geschlossenen Räumen aufhalten, ist es wichtig, diese Grundregeln einzuhalten. Und ob wir bei Symptomen dann auch gleich zum Arzt gehen und das nicht aus Angst vor Quarantäne vermeiden. Hier spielt auch die Corona Warn-App eine wichtige Rolle. Die Labore werden weiterhin flächendeckend Tests anbieten, und die Hoffnung ist groß, dass das auch Wertschätzung findet. Wichtig ist auch die Interdisziplinarität: In der guten Zusammenarbeit unter den Ärzten liegt der Schlüssel zum Erfolg.

Dr. Michael Müller

  • Facharzt für Laboratoriumsmedizin
  • Geschäftsführer der MVZ Labor 28 GmbH
  • 1. Vorsitzender der Interessenvereinigung Akkreditierte Labore in der Medizin e.V.

Informationen zum Verband: www.alm-ev.de

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