AOK-Projekt

Entschlossen gegen Depressionen

Rund vier Millionen Menschen mit Depressionen gibt es in Deutschland - oft aber wird die Krankheit gar nicht oder erst spät erkannt. Damit Betroffene schnellere Hilfe bekommen, geht die AOK neue Wege - auch zusammen mit Hausärzten.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Trübe Aussichten? Bei Depressionen im Frühstadium sind viele Patienten auf sich allein gestellt. Die AOK NORDWEST will mit niederschwelligen Angeboten gegensteuern.

Trübe Aussichten? Bei Depressionen im Frühstadium sind viele Patienten auf sich allein gestellt. Die AOK NORDWEST will mit niederschwelligen Angeboten gegensteuern.

© evgenyatamanenko / iStock / Thinkstock

BERLIN. Für Patienten mit Depressionen ist die Hausarztpraxis in der Regel die erste Anlaufstelle. Und oft werden Betroffene mit dieser Diagnose sogar langfristig von ihrem Hausarzt betreut.

Beispielsweise entscheidet er als wichtiger Berater gemeinsam mit dem Patienten, ob und in welcher Form Fachärzte oder Psychotherapeuten in die Behandlung eingebunden werden sollen.

Wie das funktionieren kann, testen seit Sommer vorigen Jahres die AOK NORDWEST, die Gesundheitsnetz östliches Holstein Management GmbH und die Ärztegenossenschaft Nord mit dem gemeinsamen Pilotprojekt "Psychosoziale Interventionen durch ambulante Netzwerke vor Ort", kurz PIANO.

Dabei steht die ambulante Betreuung von Patienten mit leichter oder mittelgradiger Depression im Alter von 18 bis 64 Jahren im Mittelpunkt.

Basierend auf einer strukturierten Eingangs- und Verlaufsdiagnostik bekommen die Betroffenen konkrete Versorgungsangebote an die Hand.

So werden im Rahmen von PIANO Patienten mit leichter Depression regionale Angebote von Selbsthilfegruppen oder Patientenschulungen vermittelt.

Die Betroffenen erhalten für sie nützliche Informationen zu ihrer Erkrankung und lernen, den Heilungsverlauf positiv zu beeinflussen, um Rückfälle zu vermeiden.

Dazu gehören auch Bewegungsangebote, die etwa von einer Bewegungsberaterin der Kasse vermittelt werden können.

Definierter Standard

Stichwort Depression

Zur Verbesserung der ambulanten Versorgung depressiver Patientenhat die AOK verschiedene Projekte am Start:

Partner des Pilotversuchs PIANO („Psychosoziale Interventionen durch ambulante Netzwerke vor Ort“) sind die AOK NORDWEST, das Gesundheitsnetz östliches Holstein und die Ärztegenossenschaft Nord.

Zusammen mit dem Institut für Allgemeinmedizin der Uniklinik Jena wurde ein modulares Konzept zur hausärztlichen Versorgung leichter und mittelgradiger Depressionen entwickelt.

„Depressionen managen“ heißt ein Pilotprojekt der AOK Bayern mit mehreren Arztnetzen, bei dem unter anderem hausärztliche MFA regelmäßig das Befinden der Patienten telefonisch kontrollieren.

"Depressionen sind oft nur schwer zu erkennen", sagt Ursel Kemper aus dem Bereich Besondere Versorgungsformen der AOK NORDWEST in Kiel.

"Deshalb haben wir neben einer standardisierten Diagnosestellung besonderen Wert darauf gelegt, Schnittstellen zu definieren und konkrete Abläufe zu vereinbaren."

Kemper: "Im ambulanten Bereich gab es bisher nur wenige niedrigschwellige Angebote für Menschen mit einer leichten Depression. Mithilfe der Psychoedukation lernen unsere Versicherten, sich selbst besser einzuschätzen. Das erhöht auch die Compliance."

Für den Allgemeinmediziner Dr. Gotthard Bernegger ist das Projekt ein Schritt in die richtige Richtung.

"In unserer Gegend bekommen die Menschen wegen oft zu langer Wartezeiten nur schwer Zugang zu Psychotherapie", sagt der Arzt, der die Räume seiner Praxis in Eutin für die in dem Projekt vorgesehenen Treffen zur Psychoedukation zur Verfügung stellt.

"Und die Patienten, die sich für die Psychoedukation entschieden haben, haben einen wirklichen Benefit. Denn die Arbeit in der Gruppe trägt dazu bei, dass ein Patient die Zusammenhänge zwischen Psyche und immer wiederkehrenden körperlichen Problemen erkennt und entsprechend handeln kann. Das kann ich als Arzt, der die Patienten ganzheitlich sieht und behandelt, nur unterstützen."

Patienten mit mittelgradiger Depression hingegen benötigen meist psychotherapeutische Hilfe.

Das neue Versorgungskonzept sorgt dafür, dass diese kurzfristig innerhalb von zwei Wochen nach der Diagnose bereitsteht und sich Betroffene nicht allein auf die Suche nach einem Experten machen müssen.

Diese Form der Kurzintervention kann nach Worten Kempers in Staffeln von jeweils zehn Einheiten von den Patienten in Anspruch genommen werden.

Initiiert durch den Hausarzt werden Gruppen- oder Einzelsitzungen bei Psychotherapeuten vermittelt, die an dem Projekt teilnehmen. Dabei liegt der Fokus auf Gruppenbehandlungen.

Für Berufstätige gibt es das Angebot auch am späten Nachmittag oder in den Abendstunden. Eine Casemanagerin behält die Abläufe im Behandlungskonzept im Auge und kann bei Bedarf unterstützen.

Dafür sorgt die Dokumentation aller Ergebnisse, die elektronisch abgebildet wird und im Gesundheitsnetz östliches Holstein zusammenläuft.

Werkzeugkasten für Hausärzte

PIANO ist aber nur ein Beispiel dafür, wie Betroffene frühzeitig Unterstützung bekommen können. Denn auch andernorts wird erprobt, wie depressiven Patienten schnell geholfen werden kann.

So hat die AOK unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der Stiftung Allgemeinmedizin (Jena/Frankfurt a.M.), Professor Jochen Gensichen, ein modular aufgebautes Konzept für die ambulante Versorgung leichter und mittelgradiger Depressionen entwickelt.

 Mit diesem "Werkzeugkoffer" will die Kasse Hausärzten geeignete diagnostische und therapeutische Optionen an die Hand geben. Darin enthalten sind zum Beispiel Leitfäden, die die wichtigsten Symptome und geeignete Tests beschreiben.

Ergänzt wird diese Ausstattung durch Schulungen und Manuale, die Hausärzte und Praxispersonal bei einem hausarztbasierten Monitoring via Telefon unterstützen sollen.

Enthalten sind auch Empfehlungen, wann ein Facharzt hinzugezogen werden sollte, sowie ein Konzept zur fachärztlichen Kurzzeit- und Krisenintervention. Die Patienten erhalten Informationen zum Krankheitsbild und zu Hilfsangeboten in der jeweiligen Region und im Internet.

Derzeit testen vier Arztnetze und die AOK Bayern in einem Pilotprojekt mit dem Titel "Depressionen managen" Strategien, wie Hausärzte bei einer beginnenden Depression frühzeitig helfen können.

Ein regelmäßiges telefonisches Monitoring durch Medizinische Fachangestellte ergänzt dabei die ärztliche Beratung. Der behandelnde Arzt kann anhand dieses Monitorings auf Veränderungen im Verlauf der Erkrankung schnell reagieren und die Behandlung anpassen.

Selbstilfe aus Down Under

Ab kommendem Jahr sollen sich Patienten mit Depressionen auch online Unterstützung holen können. Dann soll die deutsche Version des in Australien entwickelten Programms MoodGym bundesweit kostenfrei zur Verfügung stehen und die ärztliche Behandlung ergänzen.

 MoodGym ist ein Programm zur Psychoedukation und Selbsthilfe für Menschen mit depressiven Symptomen, das ergänzend zur ärztlichen Behandlung eingesetzt werden kann und seit 2013 von Wissenschaftlern um Prof. Steffi Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozial-/Arbeitsmedizin und Public Health der Uni Leipzig, erprobt wird.

Das Programm besteht aus fünf Modulen, die die Patienten in ihrem eigenen Tempo bearbeiten können. In Australien wird MoodGym schon seit 2001 angeboten und zahlreiche Studien belegen dort seine Wirksamkeit.

Ganz gleich, welches Konzept Patienten nutzen können: Für Hausarzt Dr. Gotthard Bernegger jedenfalls liegen die Vorteile einer Zusammenarbeit von Hausarzt, Psychiater und Psychotherapeut auf der Hand. Bernegger kennt die Vorteile einer auf den Patienten ausgerichteten Zusammenarbeit aus der Palliativmedizin.

"Im ambulanten Bereich haben nicht alle Akteure den gleichen Kenntnisstand. Dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Aber das Projekt macht es möglich, dass sich alle untereinander abstimmen und die Patienten koordinierter behandeln können."

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