Interview zum WIdO-Monitor
GKV-Solidarprinzip schneidet gut ab
Gleicher Versicherungsbeitrag unabhängig vom Gesundheitszustand? Das wünschen sich selbst 80 Prozent der Privatversicherten, so das Ergebnis des aktuellen WIdO-Monitors. Professor Klaus Jacobs erläutert, warum das Solidarprinzip auch Privatversicherte anspricht.
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Einheitsversicherung statt duales System? 76 Prozent der GKV-Versicherten plädieren im WIdO-Monitor dafür, die gesamte Bevölkerung in die GKV aufzunehmen. Nahezu jeder Zweite unter den PKV-Versicherten schließt sich dieser Meinung an.
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Herr Professor Jacobs, für den aktuellen WIdO-Monitor haben Sie PKV- und GKV-Versicherte zu ihren Einstellungen befragt. Gibt es etwas, was Sie dabei überrascht hat?
Unsere Befragung zeigt, dass das Solidarprinzip der GKV insgesamt auf große Zustimmung stößt – auch bei erstaunlich vielen Privatversicherten. Mich irritiert jedoch schon lange, dass die Strukturen und die Effizienz der PKV in der Gesundheitspolitik Tabuthemen sind. Es wird darüber nur äußerst selten gesprochen.
Wie meinen Sie das?
Es ist beispielsweise nicht geplant, dass Versorgungsforschende Zugang zu den Abrechnungsdaten der PKV oder der Beihilfe erhalten. Entsprechende Analysen zur Versorgungsqualität und -effizienz können nur mit Daten des GKV-Systems erstellt werden und betreffen somit nur die Versorgung von etwa 90 Prozent der Bevölkerung. Trotz des enormen Reformdrucks zur Finanzierung der Krankenversicherung gibt es zu der Frage, was die Dualität im Kassensystem bedeutet, keine ausreichenden Zahlen und keine Transparenz.

Prof. Klaus Jacobs war bis Ende Februar Geschäftsführer des WIdO. Mehr als 35 Jahre hat der Volkswirt das Gesundheitssystem und die Versorgungsstrukturen erforscht und analysiert.
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Sie würden gerne mehr Daten zur PKV haben?
Als Wissenschaftler möchte ich das ganze Gesundheitssystem beschreiben und nicht einen wichtigen Ausschnitt weglassen. Das sollte aber auch für die verantwortliche Politik gelten. Mehr als die Hälfte der Privatversicherten ist beihilfeberechtigt. Bei Beamten und Pensionären deckt die Beihilfe im Krankheitsfall die Hälfte der Gesundheitskosten und mehr. Das sind Steuermittel, und trotzdem gibt es dazu keine Zahlen zu Umfang und Verwendung. Es wird auch gar nicht danach gefragt, auch nicht zum Beispiel vom Bundesrechnungshof.
Was würde sich mit den Zahlen der PKV besser erschließen lassen?
Zum Beispiel eine bedarfsgerechte Versorgungssteuerung. Die Anreize im PKV-System sorgen unter anderem auch für eine ungleiche Verteilung der Ärzteschaft. Im Berliner Bezirk Neukölln beispielsweise gibt es viele Kinder, aber relativ wenig Kinderärztinnen und -ärzte, in Zehlendorf hingegen gibt es weniger Kinder, aber viele Ärzte. In vielen Städten zeigt sich das Problem, dass in sozial schwierigen Quartieren auch die medizinische Versorgung lückenhaft ist. Es gibt eine hohe Korrelation zwischen Ärztedichte und dem Anteil an PKV-Versicherten in der Wohnbevölkerung, insbesondere in bestimmten Facharztgruppen. Auf der Systemebene wird die bedarfsgerechte Steuerung der Versorgung dadurch erheblich erschwert.
Sie sagten vorhin, dass erstaunlich viele PKV-Versicherte das Solidarsystem der GKV befürworten würden. Wie haben Sie das herausgefunden?
Die Befragten waren eingeladen, Reformvorschläge zu bewerten. Dazu haben wir drei Positionen vorgegeben: GKV-Versicherung für alle, Status quo behalten oder PKV-Versicherung für alle. 76 Prozent der GKV-Versicherten plädieren aktuell dafür, die gesamte Bevölkerung in die GKV aufzunehmen. Nahezu jeder Zweite unter den PKV-Versicherten schließt sich dieser Meinung an. Nur noch ein Drittel der Privatversicherten will am dualen System festhalten; 2012 waren das noch 46 Prozent.
Das Konzept einer einheitlichen solidarischen Finanzierung trifft demnach über alle Bevölkerungsgruppen hinweg auf eine breite Zustimmung. Insbesondere bei Beamten – einer Berufsgruppe, die aufgrund geltender Beihilferegelungen keine freie Systemwahl hat im Vergleich zu Selbstständigen und besserverdienenden Arbeitnehmern – ist die Nähe zu solidarischen Finanzierungselementen besonders groß.
Woran machen Sie die gestiegene Zustimmung zum GKV-Solidarprinzip fest?
Die PKV-Versicherten sind zum Beispiel zu 80 Prozent dafür, dass der Versicherungsbeitrag für alle gleich hoch sein sollte – unabhängig vom jeweiligen Gesundheitszustand. Auch die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Jugendlichen ist in beiden Gruppen mit Werten von 93 Prozent bei GKV-Versicherten und 83 Prozent bei PKV-Versicherten unumstritten. 68 Prozent der Privat-Versicherten stimmt der Idee zu, dass Besserverdienende mehr bezahlen als Geringverdienende – obwohl es einen solchen Solidarausgleich im PKV-System gar nicht gibt.
Ist die Zustimmung zum Solidarprinzip gewachsen?
Der Vergleich mit den Ergebnissen unserer Befragung von 2012 legt das nahe. Es fällt auf, dass heute einzelne Reformoptionen des GKV-Systems positiver eingestuft werden. 75 Prozent der GKV-Versicherten und 46 Prozent der PKV-Versicherten wollen beispielsweise, dass sich auch Beamte, Selbstständige und Besserverdienende an der solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung beteiligen. Nur ein Drittel der PKV-Versicherten – 32 Prozent – lehnt dies aktuell ab. 2012 waren die Zahlen anders verteilt: 35 Prozent waren dafür und 42 Prozent dagegen. Unterm Strich plädieren die weitaus meisten Befragten für ein einheitlich organisiertes Versicherungssystem mit ausgeprägten Elementen der solidarischen Finanzierung. Bei der Pflegeversicherung fällt die entsprechende Zustimmung sogar noch größer aus. Das duale System wird in großen Teilen der Bevölkerung inzwischen deutlich kritisch gesehen.
Wie erklären Sie sich diese Veränderung?
Die PKV-Versicherten sind längst nicht mehr eine homogene Gruppe von Gutverdienenden. Es gibt die wachsende Gruppe der Solo-Selbstständigen, die oftmals über Einkommen am unteren Level verfügen. Darauf ist das PKV-System nicht eingestellt. Die Betroffenen selbst haben nur wenig Chancen, ihre Lage grundsätzlich zu verändern. Wenn die Kosten individuell nicht mehr gestemmt werden können, müssen die Steuerzahler für etwaige Lücken in der Absicherung eintreten. Gleichzeitig sind Selbstständige mit hohen und höchsten Einkommen nicht an der solidarischen Finanzierung beteiligt. Zusammenhalt in der Gesellschaft sieht anders aus.
WIdO-Monitor zum Downloaden: https://www.wido.de/publikationen-produkte/widomonitor/widomonitor-1-2023/