Daten teilen konkret
Krebs als Modellerkrankung
Ein europäischer Datenraum für die Krebsforschung könnte viel Forschungsdynamik freisetzen und die Krebsversorgung voranbringen. Dafür muss das traditionelle Registerwesen aber deutlich erweitert werden.
Veröffentlicht:Für Prof. Dr. Alexander Katalinic vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität Lübeck ist Krebs eine ideale Modellerkrankung für das Teilen von Gesundheitsdaten in Europa – zum einen weil es mit 2,8 Millionen neuen Erkrankungen pro Jahr und rund 1,3 Millionen Todesfällen eine extrem relevante Erkrankungsgruppe ist, zum anderen, weil in der Krebsmedizin schon recht früh mit dem Datensammeln begonnen wurde: „Krebsregister kennen wir seit den 90er Jahren“, so Katalinic.
Teils werden die auch grenzüberschreitend ausgewertet, etwa im Rahmen des EUROCARE-Projekts, bei dem nationale Krebsregister Daten an die europäische Krebsdatenbank JRC weitergeben.
Die bisherige Registerrealität habe allerdings so ihre Probleme, so Katalinic: Flächendeckung werde oft nicht erreicht, die Datenqualität sei uneinheitlich und oft nicht gut genug, außerdem gebe es immer wieder Diskussionen um Datenschutz und Finanzierung. Katalinic plädierte deswegen für einen koordinierten Aufbau europäischer Strukturen der Krebsdatensammlung, insbesondere für standardisierte Datensätze, die verbindlich sind und niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden: „Der Aufwand für die Ärzte kann dadurch reduziert werden, dass schon in den Primärsystemen die Datensätze erhoben und nach internationalen Standards bereitgestellt werden. Der Idealzustand wäre, dass Daten aus dieser Primärdokumentation direkt in Register fließen.“
Insbesondere wenn es in Richtung molekulare Krebsdaten gehe, sei eine unmittelbare Einbindung der Primärsysteme unverzichtbar, sagte auch Prof. Dr. Thomas Berlage vom Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik. Ziel sei letztlich, aktuelle Daten eines Patienten von der Arztpraxis aus mit anderen Datensätzen abzugleichen. Dafür nötig sei eine Dateninfrastruktur mit Trägerschaft, die sich um die Technik kümmere und datenschutzrechtliche Verantwortung trage, zusätzlich Treuhandstellen, die als Datenwächter dann in Aktion träten, wenn Informationen unterschiedlicher Register oder Studien unter Kontrolle der Patienten zusammengeführt werden sollen.
Als Prototyp für ein bereits recht tief integriertes Versorgungs- und Forschungsnetz im Bereich Onkologie könne das Nationale Netzwerk Genomisch Medizin Lungenkrebs gelten, sagte Prof. Dr. Jürgen Wolf vom Universitätsklinikum Köln. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gebe es für die insgesamt 24 Zentren mittlerweile eine Finanzierung durch Krankenkassen und der Deutschen Krebshilfe. Deutschlandweit würden 15.000 Patienten pro Jahr im Netzwerk versorgt, rund die Hälfte der Zielpopulation. Entscheiden für den Erfolg derartiger Strukturen sei vor allem, dass das Netzwerk „lebe“ und jeder eingebundene Partner etwas davon habe. Und Partner auf allen Versorgungsebenen braucht es: „Wenn wir aus der Versorgung Evidenz generieren wollen, dann schaffen wir das nur, wenn wir den ganzen Versorgungsverlauf der Patienten kontinuierlich erfassen“, so Wolf.
Der Verlauf einer onkologischen Erkrankung ist bei verschiedenen Leistungserbringern in deren Systemen unterschiedlich abgelegt. Interessant wäre aber den kompletten Verlauf einsehen zu können. Wie können wir die Daten unterschiedlicher Versorger zusammenzubringen? Technisch ist das kein Problem, aber die Versorger:innen müssen sich einig werden.Dezentrale Datensätze nur verlinkbar zu machen, ist ineffizient. Der Weg über Register einen roten Faden herzustellen ist vielversprechen. Ein zentraler Datensatz, an dem Institutionen Lese- und Schreibrechte kriegen (neben ihren eigenen Datensätzen) wäre gut.