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Interview

Pille ade?

Immer mehr Frauen lehnen hormonelle Verhütungsmethoden ab. Das ergaben eine AOK-Analyse der GKV-Verordnungsdaten und eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sara Scharmanski, BZgA-Studienleiterin, über die Gründe, den Einfluss von Influencerinnen und das Sexualverhalten Jugendlicher.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Vor allem junge Frauen bis 25 sehen die Gesundheitsverträglichkeit der Pille skeptisch.

Vor allem junge Frauen bis 25 sehen die Gesundheitsverträglichkeit der Pille skeptisch.

© Pormezz / stock.adobe.com

Frau Dr. Scharmanski, nach einer Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist die Pillennutzung weiter rückläufig. Eine AOK-Analyse der GKV-Verordnungsdaten kommt zum selben Ergebnis. Woraus resultiert dieser Trend?

Wir stellen fest, dass für viele Menschen hierzulande ein gesundheitsbewusster Lebensstil immer wichtiger wird. Das zeigt sich in vielen Bereichen, unter anderem beim Thema Verhütung. Die Studienergebnisse der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen, dass die Kriterien „Verträglichkeit“ und „explizite Ablehnung von Hormonen“ bei Verhütungsentscheidungen für immer mehr Menschen wichtig sind. 2011 waren diese Aspekte für 17 Prozent der Befragten relevant; 2023 waren es 33 Prozent.

Der BZgA-Studie zufolge bewerten vor allem Frauen zwischen 18 und 29 Jahren die Pille kritisch. Wie interpretieren Sie das Ergebnis?

Das Thema Gesundheit beschäftigt vor allem die jüngere Bevölkerung. Das zeigt sich schon seit einigen Jahren. In der repräsentativen BZgA-Studie „Jugendsexualität 9. Welle“ bewerten Frauen bis 25 die Gesundheitsverträglichkeit der Pille deutlich schlechter als in der Erhebung aus dem Jahre 2015. Diese hormonkritische Einstellung übernehmen zunehmend auch ältere Jahrgänge – alleine schon wegen der demografischen Entwicklung.

Wie beurteilen die Befragten andere hormonelle Verhütungsformen? Hormonpflaster beispielsweise?

Verhütungsmittel wie Hormonstäbchen oder Hormonpflaster werden von maximal zwei Prozent der Bevölkerung eingesetzt. Kondom und die Pille sind nach wie vor die zentralen Verhütungsmittel in Deutschland. 38 Prozent nutzen die Pille, 53 Prozent Kondome. An Bedeutung gewonnen hat außerdem die Spirale, besonders bei Frauen unter 30 Jahren. Während bei unserer vorletzten Befragung nur drei Prozent angaben, auf diese Methode zurückzugreifen, waren es aktuell 14 Prozent aller Befragten.

Ist die gestiegene Bedeutung von Kondomen ein Indiz dafür, dass sich die Geschlechter gleichermaßen um das Thema Verhütung kümmern?

Der Anteil von Paaren, bei denen sich beide dafür verantwortlich fühlen, steigt. Allerdings sagt ein großer Anteil der jungen Frauen noch immer: Ich muss mich alleine darum kümmern.

2023 erreichte die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche mit 106.218 den höchsten Stand seit 2012. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der sinkenden Beliebtheit hormoneller Verhütung und der steigenden Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen?

Nein, eine Kausalität zwischen beiden Phänomenen können wir nicht feststellen.

Wir untersuchen seit vielen Jahren zusammen mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut für Geschlechterfragen in Freiburg das Thema ungewollte Schwangerschaften. Deshalb können wir sehr klar sagen, dass Frauen vor allem aufgrund schwieriger Lebensumstände kein Kind bekommen möchten. Dazu zählen Probleme mit der Partnerschaft, beengte Wohnverhältnisse, finanzielle Sorgen oder Gewalt in der Partnerschaft.

Ein weiteres Ergebnis der BZgA-Untersuchung ist, dass sich 47 Prozent der Frauen im Internet über Verhütung informieren. Im Vergleich zu 2018 ein Plus von 18 Prozent. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die unumkehrbar ist. Problematisch ist, dass im Internet auch jede Menge Falschinformationen kursieren, nicht zuletzt beim Thema Verhütung. Wir haben zusammen mit der TU Ilmenau die Qualität von verhütungsbezogenen Gesundheitsinformationen auf Social Media analysiert – sie ist auf TikTok und Instagram schlecht, auf YouTube etwas besser.

Besonders junge Frauen folgen Influencerinnen, die eine hohe Glaubwürdigkeit genießen. Sehen Sie in deren individuellen Schilderungen von Verhütungserfahrungen die Gefahr, dass Verhütungsentscheidungen auf Wahrnehmungen Dritter statt auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen?

Richtig ist, dass manche Influencerinnen über hohe Reichweiten verfügen und deshalb zu Rollenmodellen ihrer Zielgruppe avancieren können. Übrigens orientieren sich zunehmend auch Erwachsene an solchen Vorbildern. Tatsächlich präsentieren manche Influencerinnen persönliche Verhütungserfahrungen als Wahrheiten. Dagegen helfen verständliche und evidenzbasierte Veröffentlichungen wie das BZgA-Onlineangebot familienplanung.de und unsere Social-Medial-Kanäle.

Unsere Studien ergaben aber auch, dass Jugendliche das Internet durchaus differenziert nutzen. Sie folgen zwar Influencerinnen, sehen deren Videos, hören deren Botschaften, reflektieren aber die Glaubwürdigkeit von Internetquellen und Urhebern. In Befragungen von Jugendlichen stellten wir fest, dass offizielle Aufklärungs- und Beratungsseiten mit die höchste Reputation genießen.

Befragungen wie die Shell-Jugendstudie ergaben, dass die Themen Partnerschaft und Treue für heutige Jugendliche einen höheren Stellenwert besitzen als in früheren Generationen. Beobachten auch Sie diesen Wandel?

Ja, die Surveys der BZgA kommen zu ähnlichen Resultaten: Die heutige junge Generation agiert sexuell zurückhaltender. Die Anzahl der Jugendlichen, die mit 16 ihr erstes Mal erlebt haben, ist in den vergangenen 15 Jahren sehr deutlich zurückgegangen.

Warum ist das so?

Oft fehlt der richtige Partner, die richtige Partnerin. Vielen Jugendlichen ist es nach eigenen Angaben wichtig, erst eine vertrauensvolle Beziehung einzugehen, bevor sie ins Sexualleben einsteigen.

Wertvorstellungen wie Stabilität und Geborgenheit haben an Bedeutung gewonnen.

Obwohl der Zugang zu Sexualität durch das Internet viel einfacher ist als vor 20 Jahren?

Das ist kein Widerspruch. Wie schon beim Thema Verhütung und Influencer gilt auch hier: Wir sollten der jungen Generation mehr zutrauen. Nur weil sie im Internet bestimmte Rollen und Modelle konsumieren, heißt das nicht, dass sie diese unreflektiert übernehmen.

Die bislang letzte BZgARepräsentativstudie zur Jugendsexualität stammt aus dem Jahr 2019. Ist eine Neuauflage geplant?

Ja. Wir starten gerade mit der zehnten Welle und befragen bundesweit und repräsentativ zwei Gruppen: 14- bis 17-Jährige und 18- bis 25-Jährige. Wir führen einerseits persönliche Interviews durch, andererseits können die jungen Menschen intimere Fragen am Laptop beantworten. Ergänzend werden wir auch wieder die Eltern der Jugendlichen befragen.

Frau Dr. Scharmanski, vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Sara Scharmanski ist wissenschaftliche Referentin in der Abteilung Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

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