START-Studie
Single Pill: Mehr Leitlinie in der Hypertonie wagen!
Wer bei der arteriellen Hypertonie kardiovaskuläre Ereignisse verhindern will, setzt oftmals mehrere Substanzen ein. Die START-Studie zeigte, eine Vereinfachung dieser Therapie in Form einer Single Pill ist auf mehreren Ebenen sinnvoll: höhere Therapietreue, weniger Komplikationen und geringere Kosten. Das kann nicht nur prognostisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch geboten sein.
Veröffentlicht:In Deutschland haben rund 30 Prozent der Erwachsenen und fast zwei von drei Menschen über 65 Jahre einen erhöhten Blutdruck.[1] Ein erheblicher Anteil dieser Patienten ist suboptimal behandelt. Wird die „strenge“ Hypertonie-Definition mit einem Grenzwert von 130/80 mmHg zugrunde gelegt, erreicht in Industrienationen nur etwa ein Drittel aller Hypertoniepatienten beziehungsweise rund die Hälfte der medikamentös behandelten Hypertoniepatienten den Zielblutdruck.[2]
Bei den hypertoniebezogenen Todesursachen stehen kardiovaskuläre Komplikationen klar im Vordergrund, sagte Professor Dr. Michael Böhm, Homburg/Saar, beim virtuellen Experten-Workshop „Bluthochdruck – Evidenz trifft Versorgungsrealität – Zeit zu handeln?“, der von Springer Medizin und APONTIS PHARMA veranstaltet wurde.
Das betreffe vor allem die ischämische Herzerkrankung sowie ischämische und hämorrhagische Schlaganfälle. Eine gute Einstellung des Blutdrucks kann das Risiko senken.
Böhm berichtete über eine große Metaanalyse, die über 600.000 Patienten aus 123 Studien ausgewertet hat. Pro 10 mmHg systolische Blutdrucksenkung ging das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) demnach um 20 Prozent zurück, und die Sterblichkeit reduzierte sich um 13 Prozent.[3]
Adhärenz Schlüssel zum Erfolg
Besonders groß war der Effekt, wenn ein Zielblutdruck < 130 mmHg erreicht wurde. In dieser Subgruppe sank das MACE-Risiko pro 10 mmHg systolischer Blutdrucksenkung um 37 Prozent und das Sterberisiko um 47 Prozent.[3]
Die absolute Risikoreduktion ist für Schlaganfälle und Herzinsuffizienz am höchsten – und zwar schon in frühen Hypertoniestadien. So können 17 Schlaganfälle und 14 Herzinsuffizienz-Neudiagnosen verhindert werden, wenn tausend Hypertonie-Patienten im Stadium 1 mit geringem oder mittlerem Risiko fünf Jahre lang so therapiert werden, dass der Zielblutdruck erreicht wird.[4] Verbessern lasse sich die Rate an optimal therapierten Patienten in erster Linie durch höhere Therapieadhärenz, betonte Böhm.[5]
Eine hohe Tablettenlast, ein komplexes Therapieschema und Therapie-Eskalationen mit häufigen Anpassungen der Dosis sind eine Belastung für Patienten. So konnte in einer retrospektiven Analyse einer Hypertoniekohorte gezeigt werden, dass die Adhärenz mit jeder zusätzlich eingenommenen Tablette sinkt.[6] Eine multizentrische, prospektive Studie, in der die Adhärenz mit Urin- und Serumanalysen objektiviert wurde, bestätigte dies erneut.[7] Gleichzeitig gibt es aus mittlerweile zahlreichen Studien Daten, die zeigen, dass Single Pill gegenüber freien Kombinationen die Adhärenz verbessern, im Mittel um etwa 30 Prozent.[8]
Single Pill von Anfang an?
Die nationalen und internationalen Leitlinien positionierten sich vor dem Hintergrund dieser Daten deutlich, betonte Böhm. Einfache Therapieregimes und Single Pills werden empfohlen. So gibt die ESC/ESH Leitlinie aus 2018 eine starke Ib-Empfehlung, dass bei neu diagnostizierter Hypertonie mit einer Kombination aus zwei Wirkstoffen begonnen werden sollte. Diese sollte vorzugsweise als Single Pill gegeben werden.[9]
In der Behandlungswirklichkeit angekommen sei diese Empfehlung nur teilweise, so Böhm. Er schätzt, dass etwa ein Viertel der Hypertoniepatienten mit Zweierkombination eine Single Pill erhält.
Die Ergebnisse der START-Studie zeigen, dass die international empfohlene Single Pill-Therapie bei mehr als zwei Drittel der Patienten, mit Fokus auf ältere und komorbide Patienten, die für eine derartige Therapie aufgrund der verordneten Wirkstoffkombination in Frage kommen, nicht umgesetzt wird. Über die Studie berichtete Professor Dr. Burkhard Weisser von der Universität zu Kiel. START war eine groß angelegte Analyse von Real-World Versorgungsdaten der AOK PLUS von Juli 2013 bis Juni 2017. [10] [11] [12] [13] [14]
„Auch wenn die Leitlinien seit einigen Jahren Single Pill-Regimes empfehlen, gab es bisher keine harte Evidenz, was kardiovaskuläre Endpunkte angeht“, so Weisser. Die START-Studie schließe diese Lücke. Für die Studie wurden acht häufige Kombinationen definiert, etwa Candesartan/Amlodipin oder Valsartan/Amlodipin/ HCT. Es wurden dann im Gesamtdatensatz von 1,37 Millionen Patienten 29.668 Patienten identifiziert, die eine der Kombinationen als Single Pill einnahmen.
Diesen Patienten wurden jeweils ebenso viele Vergleichspatienten zugeordnet, die die jeweiligen Substanzen als lose Kombination erhielten. Die Zuordnung erfolgte mit Hilfe eines Propensity Score Matching (PSM) unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Komorbiditäten, Medikation, Klinikeinweisungen und vielen anderen Faktoren. „Insgesamt wurden für das Matching 28 Parameter genutzt, sodass letztlich fast identische ‚Zwillinge‘ geschaffen wurden, die optimal vergleichbar sind“, so Weisser.
Mehr Adhärenz, geringere Kosten
Die START-Studie hat zum einen die Adhärenz, gemessen über eingelöste Rezepte, evaluiert, zum anderen eine Reihe klinischer Endpunkte. „Bei der Adhärenz zeigte sich, dass die Therapietreue bei der Single Pill signifikant besser ist als bei losen Kombinationen“, so Weisser. Dies gelte für alle Kombinationen, insbesondere aber für Dreifachkombinationen. Das zeige, dass chronisch kranke Patienten mit der schieren Anzahl an einzunehmenden Pillen überfordert sind.
Neu und deutlich war ein weiterer untersuchter Parameter: Unter Einnahme der Single Pill sei im Vergleich zu losen substanzgleichen Kombinationen mit niedrigerer Mortalität und Morbidität zu rechnen. Das betraf in der START-Studie u.a. KHK, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Krankenhauseinweisungen. Auch hier werde der Effekt stärker, je mehr Substanzen eingenommen würden, so Weisser.
Untersucht wurden in der START-Studie auch die Gesamtkosten pro Patientenjahr. Diese lagen bei allen Kombinationen für Single Pill-Patienten niedriger als für Patienten mit losen Kombinationen. „Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir bei der Hypertonie von sehr vielen Patienten reden, dann ist das in Summe eine deutliche Kostenersparnis“, so Weisser.
Durch eine höhere Therapietreue und dadurch bessere Einnahme antihypertensiv wirksamer Substanzen könnten Folgerisiken eines Bluthochdrucks vermieden werden. Dieses werde durch die Ergebnisse der START-Studie unterstützt, resümierte der Blutdruckexperte. Die Umsetzung des Single Pill-Konzepts bedeute auch weniger Gesamtbehandlungskosten aufgrund einer Reduktion von Folgeerkrankungen.
Round Table zur Hypertonietherapie
- Titel: Bluthochdruck – Evidenz trifft Versorgungsrealität – Zeit zu handeln?
- Veranstalter: Springer Medizin und APONTIS PHARMA
- Teilnehmer: Professor Michael Böhm, Kardiologe, Universitätsklinikum des Saarlands, Pressesprecher Deutsche Gesellschaft für Kardiologie, Johann Fischaleck, Fachapotheker für klinische Pharmazie und langjähriger Referent Vertragspolitik und Arzneimittel der KV Bayerns, Dr. Georg Lübben, Arzt und Vorstandsvorsitzender der AAC Praxisberatung, Professor Burkhard Weisser, Sportmediziner, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Professor Ulrich Wenzel, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Hochdruckliga
Verordnung bei Hypertonie
Single Pills – leitliniengemäß und wirtschaftlich
Zeit zu handeln
Appell für eine bessere Hypertonie-Versorgung
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Single Pill bessert die Prognose bei Herz-Kreislauf-Patienten
REFERENZEN
[1] Neuhauser H et al. J Health Monit 2017; 2(1); doi: 10.17886/RKI-GBE-2017-007 [2] Mills et al. Nat Rev Nephrol 2020; 16:223-37 [3] Ettehad D et al. Lancet 2016; 387(10022):957-67
[4] Thomopoulos et al. J Hypertens 2014; 32:2285-95 [5] Naderi SH et al. Am J Med 2012; 125(9):882 [6] Chapman RH et al. Arch Intern Med 2005; 165:1147-52 [7] Pankaj G et al. Hypertension 2017; 69:1113 [8] Gupta AK et al. Hypertension 2010; 55(2):399-407 [9] Williams B et al. EurHeart J 2018; 39:3021-104 [10] Blettenberg J et al. 43. Wiss. Kongress der DHL. Berlin 2019.Poster P10. [11] Gillessen A et al. 43. Wiss. Kongress der DHL. Berlin 2019. Poster P08. [12] Predel HG et al. 43. Wiss. Kongress der DHL. Berlin 2019. Poster P09. [13] Weisser B et al. 43. Wiss. Kongress der DHL. Berlin 2019. Poster P62. [14] Wilke T et al. 43. Wiss. Kongress der DHL. Berlin 2019. Poster P11.
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