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Seltene Erkrankungen

Was auch Patienten tun können

Nur für fünf Prozent der rund 8000 seltenen Erkrankungen stehen derzeit geeignete Medikamente zur Verfügung. Neben einem hohen Bedarf an Forschung und Entwicklung sehen Ärzte und Patienten aber ebenso große Herausforderungen, die Infrastruktur für die Versorgung zu verbessern, systematisch Shared-Decision-Modelle zu implementieren und Selbsthilfe zu professionalisieren.

Von Helmut Laschet Veröffentlicht:
Shared Decision Making ist gerade bei der Diagnostik und Therapie seltener Erkrankungen ein wichtiges Versorgungsprinzip. (Symbolbild mit Fotomodellen)

Shared Decision Making ist gerade bei der Diagnostik und Therapie seltener Erkrankungen ein wichtiges Versorgungsprinzip. (Symbolbild mit Fotomodellen)

© Pixel-Shot / stock.adobe.com

Schon der Weg der Patienten und ihrer Angehörigen zur Diagnose gleicht oft einer Odyssee: im Schnitt Jahre, in denen viele, oft ratlose Ärzte konsultiert werden.

Die größte Herausforderung für Ärzte, darin besteht Konsens mit Patientenvertretern wie Mirjam Mann von ACHSE, ist der Umgang mit Nichtwissen: Angesichts der Fülle von 8000 bis jetzt definierten seltenen Erkrankungen „müssen sich Ärzte darauf einlassen, dass sie nicht alles wissen können“, mahnt der Arzt und Unternehmer Dr. Tobias Gantner. Der Gründer von Health Care Futures hat sich dem Thema Unwissenheit und Unsicherheit in der Medizin verschrieben und rät seinen Kollegen, Patienten ernst zu nehmen und ihre Kompetenz und Erfahrung anzuerkennen. Oftmals verfügten diese etwa bei der Suche nach Informationen über mehr Technologiekompetenz als Ärzte.

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Längst sind Haus- und Fachärzte in der ambulanten Versorgung dabei nicht mehr auf sich allein gestellt – durch die vom Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen initiierte und vorangetriebene Zentrenbildung an den meisten Unikliniken speziell für seltene Krankheiten sind Netzwerke entstanden, die entscheidend zur Diagnosefindung beitragen können.

Shared-Decision-Modelle in der Versorgungspraxis

Dass dabei Fortschritte möglich sind, zeigt die wachsende Integration von Shared-Decision-Modellen in die Versorgungspraxis. Der Onkologe und Unternehmer Dr. Jens-Ulrich Rüffer verweist dabei auf webbasierte Informationspakete, die am Uniklinikum Schleswig-Holstein in Kiel entwickelt worden sind. Danach wird an dieser Uniklinik das Prinzip von Shared-Decision-Making (SDM) konsequent praktiziert. Jeder Arzt und mindestens eine Pflegekraft je Behandlungseinheit müssen ein SDM-Training absolvieren, zu dem auch webbasierte Entscheidungshilfen und strukturierte Fragen für das Arzt-Patienten-Gespräch gehören. Das Modell, so Rüffer, sei reif für die (ambulante) Regelversorgung.

Jenseits der Individualebene wollen und können Patienten auch an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden und ihre Expertise einbringen. Das betrifft beispielsweise die Entscheidung und Gestaltung von Forschungsprojekten, die Mitwirkung am Design klinischer Studien und ihrer Fragestellungen oder auch die Bewertungsprozesse im Health Technology Assessment wie die Nutzenbewertungsentscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Digitale Techniken bei der Patientenbeteiligung

So hat Claas Röhl, dessen Tochter an Neurofibromatose (NF) erkrankt ist, seine Erfahrung als Betroffener und Organisator der Selbsthilfegruppe NF Kinder in Österreich bei der europäischen Innovation Medicine Initiative (IMI) als Mitglied des Scientific Committee eingebracht. Im Rahmen dieser Forschungsinitiative, die als Public Private Partnership von der EU-Kommission und der Industrie finanziert wird, hat er Empfehlungen für Forschungsschwerpunkte mit erarbeitet: Das betrifft etwa die Förderung und den Einsatz digitaler Techniken bei der Patientenbeteiligung und die Entwicklung innovativer Technologien, etwa die Nutzung von DNA-Sequenzierungen oder von neuen Gentherapien.

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Nach seiner Erfahrung ist es derzeit immer noch eher Zufall, in welche Richtung geforscht wird. Und abhängig davon, ob ein akademisches Netzwerk existiert, das sich mit einer bestimmten seltenen Krankheit nachhaltig beschäftigt hat. Dringend notwendig seien daher mehr öffentliche Fördermittel, aber auch PPP-Institutionen wie IMI und ihre Nachfolgeinstitution, die Innovation Health Initiative.

IMI-Projekt EU PEARL schafft Infrastruktur für Plattform-Trials in Europa

Ein Beispiel dafür sei das IMI-Projekt EU PEARL, bei dem eine Infrastruktur für Plattform-Trials in Europa geschaffen wird, damit innovative klinische Studien für unterschiedliche Erkrankungen durchgeführt werden können. Auf der Basis von Umfragen unter NF-Patienten seien dabei auch wesentliche Symptome priorisiert worden. Auf europäischer (Zulassungs-)Ebene ist man schon weiter als in nationalen HTA-Organisationen wie dem G-BA, der solche (Basket-)Studien-Designs nicht akzeptieren mag. Nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Patientenbeteiligung sieht er in der europäischen Nutzenbewertung (EUnetHTA) Chance für Verbesserungen.

Auf die Frage, wie man angesichts der Fülle noch nicht therapierbarer seltener Erkrankungen Forschung priorisieren könnte, schlägt Röhl vor:

mehr Grundlagenforschung für seltene Krankheiten, die noch nicht verstanden sind,

bessere internationale Koordination klinischer Studien und systematische Einbeziehung der Patienten sowie

Entwicklung weiterer Arzneimittel für Krankheiten, die noch nicht befriedigend behandelt werden können.

Nicht nur medizinisch, sondern vor allem auch gesundheitsökonomisch sind seltene Erkrankungen noch „terra incognita“. Die meisten dieser Krankheiten haben eine genetische Ursache und sind multisystemisch. Röhl hält daher einen einen holistischen Zugang bei der Versorgung für nötig. Aufgabe der Gesundheitsökonomie sei es, komplexe Versorgungsstrukturen zu entwickeln, aber auch die Folgekosten, auch nicht-monetärer Art, von Unterversorgung bei seltenen Erkrankungen zu identifizieren.

Als Betroffener stellt er fest: „Eine Unterversorgung führt rasch zu einer Überlastung bei den Familien, sowohl psychisch als auch finanziell.“

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