Demenz
Wenn Sprachbarrieren für zusätzliche Ängste sorgen
Demenz macht Angst - nicht nur den Betroffenen selbst, sondern auch Angehörigen und Freunden. Noch beängstigender wird die Lage, wenn sich an Demenz erkrankte Menschen und ihre Helfer aufgrund von Sprachbarrieren nicht verständigen können. Genau hier setzt ein Projekt aus NRW an.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF.Es sind nicht nur wichtige Informationen, die aufgrund von Sprachbarrieren bei Demenzkranken und ihren Angehörigen nicht ankommen. Oft wird wegen solcher Sprachhürden auch die Diagnose Demenz bei Menschen mit Migrationshintergrund zu spät gestellt.
In Nordrhein-Westfalen gehen beispielsweise die Alzheimer Gesellschaft NRW und die AOK Rheinland/Hamburg ungewöhnliche Wege, um auch diese Betroffenen über die Krankheit zu informieren.
Demenz ist oft ein Tabuthema
"Kalp unutmaz", übersetzt "Das Herz vergisst nicht", heißt ein Film, der den Alltag zweier türkischstämmiger Familien zeigt, in denen jeweils eine ältere Frau an Demenz erkrankt ist. Der Film ist Teil eines Informationsnachmittags zum Thema Demenz, zu dem der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften Nordrhein-Westfalen eingeladen hat.
In Kooperation mit der AOK Rheinland/Hamburg bietet der Verein schon seit 2014 solche Vorträge, aber auch Pflegekurse in türkischer und in russischer Sprache an - in Begegnungszentren, Kulturvereinen und Moscheen. Denn Demenz ist in vielen türkischstämmigen Familien noch immer ein Tabuthema.
"Der Zugang zu den Menschen ist eine besondere Herausforderung. Dafür brauchen wir Brückenbauer, Menschen, die Vertrauensleute sind", weiß Doris Bockermann, die beim Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW für das Projekt "Leben mit Demenz" zuständig ist.
"Bei der ersten Veranstaltung haben wir noch mit einem Dolmetscher gearbeitet", erinnert sie sich. "Aber dabei ist uns schnell klar geworden, dass eine Übersetzung nicht ausreicht."
Ein Dolmetscher könne die Gefühle, die mit einem so emotionsgeladenen Thema wie der Pflege verbunden sind, nicht immer richtig ausdrücken.
Vor allem aber sei es sehr wichtig, den kulturellen Hintergrund zu kennen und sensibel darauf einzugehen. Schnell kam die Idee auf, für diese Schulungen Fachkräfte mit Migrationshintergrund zu gewinnen.
Eine Sprache sprechen
Wie wichtig das ist, zeigt sich auch an diesem Nachmittag im Düsseldorfer Stadtteil Lierenfeld. Alev, eine Protagonistin des Films, pflegt seit rund neun Jahren aufopferungsvoll ihre Mutter Sahure. "Ich habe die Pflicht, meine Mutter zu pflegen", sagt sie. "Auch wenn meine eigene Gesundheit darunter leidet."
Als der Film zu Ende ist, wird Referentin Bedia Torun mit Fragen bestürmt: "Bekommen alle Menschen diese Krankheit? Gibt es ein Gesetz, dass ein Ehemann für die Pflege bezahlen muss, wenn er sich nicht um seine kranke Frau kümmert? Was wird aus jemandem, der keine Familie hat?"
Die Sozialpädagogin, in der Türkei geboren und aufgewachsen, hat auf viele Fragen eine Antwort. In mehr als einer Hinsicht spricht sie die Sprache ihrer Zuhörerinnen: Mühelos wechselt sie zwischen Türkisch und Deutsch hin und her. Vor allem aber kann sie sich in die Sorgen und Befürchtungen der Frauen hineinversetzen, informiert, tröstet und klärt auf.
Information statt Hörensagen
"In der Türkei denken immer noch viele Menschen, dass Demenz eine Strafe Gottes ist", weiß Bedia Torun. "Viele Familienangehörige von Betroffenen sprechen nicht über die Krankheit, aus Angst, dass man sie kritisiert", bestätigt eine der Zuschauerinnen. Viel zu wenig sei darum in vielen türkischstämmigen Familien über die Erkrankung bekannt.
Das zeigt sich im Film - anfangs, so erinnert sich dort Alev, habe sich die Familie geschämt: "Wir wussten nicht, dass das eine Krankheit ist. Es gibt nicht viele türkische Fachbücher, und ich verstehe nicht viel Deutsch."
Nicht zuletzt aufgrund sprachlicher Hürden wird eine Demenzdiagnose bei Menschen mit Migrationshintergrund oft erst spät gestellt, weiß Bedia Torun. "Es fehlt an Tests in türkischer Sprache." Viele Betroffene würden schließlich von ihren Familien in die Türkei gebracht, weil sie dort die Ärzte verstehen. Im Film klagt eine pflegende Tochter, sie sei oft unsicher, ob sie richtig mit ihrer Mutter umgehe. Was sie über Demenz wisse, habe sie größtenteils "vom Hörensagen" gelernt.
Diese Erfahrung macht auch Bedia Torun immer wieder. Denn auf der Suche nach Infos wenden sich türkischstämmige Migranten oft ausschließlich an Verwandte, Bekannte oder Mitglieder ihrer Moscheegemeinde. "So kann es leicht passieren, dass sich eine falsche Information innerhalb der Community immer weiter verbreitet", schildert die Referentin das Problem.
Haarsträubender Unsinn sei da zum Teil im Umlauf, ärgert sich Bedia Torun.
Umso wichtiger sei es, hier mit Informationen gegenzusteuern. "Prävention ist wichtig, sagt sie ihren Zuhörerinnen immer wieder. "Man muss sich bewegen, interessiert bleiben, Rätsel lösen, handarbeiten. Das Gehirn ist ein Schrank mit vielen Schubladen. Die sollte man alle regelmäßig benutzen", erklärt sie.
Und dass es ein Schulungsangebot "Leben mir Demenz" gebe, das die Alzheimer Gesellschaft NRW und die AOK Rheinland/Hamburg gemeinsam anbieten.
Wissen zieht Kreise
An den fremdsprachigen Angeboten von Alzheimer Gesellschaft NRW und AOK Rheinland/Hamburg haben bis Ende 2015 etwa 735 Menschen teilgenommen. Erreicht wurden aber sehr viel mehr.
Noch Wochen nach einem solchen Vortrag klingelt bei Bedia Torun das Telefon - ihre Rufnummer geht in der türkischen Gemeinschaft von Hand zu Hand.
Wer eine Frage hat, ruft sie an. Gefühlsmäßig habe sie der Vortrag sehr mitgenommen, sagt eine Teilnehmerin. "Aber ich habe auch viel erfahren."
Nützliche Weblinks
Pflege-Navigator: Wer nach einer passenden Pflegeeinrichtung für Patienten oder Angehörige sucht, dem hilft die Pflegeheim- beziehungsweise Pflegedienst-Suche der AOK bei seiner Recherche: www.aok-gesundheitspartner.de/bund/pflege/navigator/
Infos zum Krankheitsbild und den Leistungen der AOK gibt es auf nachstehender Website. Hier können sich Ärzte, Patienten und Angehörige zu den Angeboten ihrer jeweiligen Region erkundigen: www.aok.de/pflege/thema-demenz/
Die Broschüre „In besten Händen“ zeigt, welche Beratungs- und Leistungsansprüche pflegende Angehörige haben und wo sie sich Unterstützung holen können: www.aok.de/fileadmin/user_upload/Universell/05-Content-PDF/AOK_Pflegeberater.pdf
Regionale Unterstützungsmöglichkeiten müssen organisiert, Angehörige bei Bedarf in der praktischen Pflege unterwiesen werden. Hier setzt das Programm PfiFf – Pflege in Familien fördern der AOK Nordost an: https://nordost.aok.de/inhalt/pfiff-pflege-in-familien-foerdern/
Praktische Tipps bieten die AOK-Broschüren zur Pflege. Sie greifen etwa Themen wie das Pflegetagebuch, Rente für die Pflege oder häusliche Pflege auf: https://portale.aok.de/broschueren/index.php?land%5b%5d=1&rubrik=pflegebroschueren
Lesen Sie dazu auch: Leben mit Demenz: Unterstützung für pflegende Angehörige