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Interview – Qualitätsmessung mit Routinedaten

„Wir bieten einen Krankenhausvergleich“

Die Nutzung von Routinedaten-Analysen zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus stand diese Woche im Mittelpunkt eines Kongresses von AOK und Initiative Qualitätsmedizin (IQM). WIdO-Geschäftsführer Jürgen Klauber und Prof. Ralf Kuhlen, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats IQM, erläutern, welche Bedeutung solche Daten für die Klinikreform haben.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Routinedaten bilden die Versorgungsrealität sehr gut ab und geben damit Orientierung über die Behandlungsqualität, sagen Professor Ralf Kuhlen (links) und Jürgen Klauber.

Routinedaten bilden die Versorgungsrealität sehr gut ab und geben damit Orientierung über die Behandlungsqualität, sagen Professor Ralf Kuhlen (links) und Jürgen Klauber.

© Helios Kliniken | AOK-Mediendienst

Worin genau bestehen die Vorteile von Routinedaten gegenüber klassischen Studien?

Professor Ralf Kuhlen: Klassische Studien zielen auf kausale Zusammenhänge, dafür eignen sich Routinedaten nicht gut. Aber sie bilden die Versorgungsrealität sehr gut ab. Da sie auf Abrechnungsdaten basieren, profitieren wir hier von einem flächendeckenden, großen Datenschatz, der schnelle und aufwandsarme Erkenntnisse zu Fallzahlen, Qualitäts- und Prozessindikatoren ermöglicht und auch als Grundlage für ein dauerhaftes Monitoring genutzt werden kann.

Das wiederum ist eine Voraussetzung für notwendige Veränderungen in der Patientenversorgung. Ein weiterer und vor dem Hintergrund der Arbeitsbelastung in den Kliniken wesentlicher Punkt ist, dass bei der Nutzung von Routinedaten kein zusätzlicher Dokumentationsaufwand für die Kliniken entsteht. Deshalb hat sich die Akzeptanz für diese Daten-Auswertungen in den letzten Jahren deutlich verbessert.

Inwiefern lässt sich das auch für die Krankenhaus-Planung nutzen – und was sind hier Ihre Forderungen im Hinblick auf die anstehende Krankenhausreform?

Kuhlen: Unsere Forderung ist ganz klar: Wir sollten die vorhandenen Daten einfach mal nutzen. Der Nutzen der Routinedaten ist groß, denn sie geben Einblick in die wirkliche Versorgungsqualität und zeigen, was tatsächlich gemacht und abgerechnet wird.

Jürgen Klauber: Erforderlich ist eine Krankenhausplanung, die auf Leistungsgruppen basiert, wie es auf dem QMR-Kongress für die Schweiz vorgestellt wurde. Die Planung orientiert sich dann nicht am Zählen von Krankenhausbetten, sondern am Versorgungsbedarf und damit an umfänglicher Nutzung von Leistungsdaten auf der Basis von Diagnosen und Prozeduren. Routinedaten können unter vielen Qualitätsaspekten Input für die Krankenhausplanung liefern, etwa hinsichtlich der Einhaltung von Mindestmengenanforderungen, Qualitätsvorgaben oder Prozessanforderungen.

Jürgen Klauber

  • Seit 2002 Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO)
  • Er ist zuständig für die Themen Arzneimittelmarkt, Krankenhaus, Pflege und Versorgungsforschung.

Sie können zum Beispiel aufzeigen, in welchen Kliniken Gelegenheitschirurgie stattfindet und nur wenige Brustkrebsfälle pro Jahr operiert werden. Die kürzlich veröffentlichte WiZen-Studie, die auch auf Routinedaten basiert, hat die besseren Überlebenschancen von Krebspatienten in zertifizierten Kliniken eindrücklich bestätigt. Das sind dann alles planungsrelevante Daten. Es bleibt zu hoffen, dass die anstehende Krankenhausreform bei deren Nutzung einen Schritt nach vorne schafft.

Wie nutzt das WIdO konkret die Routinedaten, um Qualitätsprobleme in der stationären Versorgung sichtbar zu machen?

Klauber: Mit dem Verfahren der Qualitätssicherung mit Routinedaten, QSR, bieten wir einen Krankenhausvergleich, der Orientierung über die Behandlungsqualität der einzelnen Kliniken bundesweit gibt. Beispielsweise kann geschaut werden, in welchem Umfang es bei einer Knie- oder Hüftgelenksoperation zu Revisionen binnen Jahresfrist kommt.

Zentral ist, dass bei der Betrachtung der Ergebnisqualität auch patientenbezogen die Entwicklung nach dem Klinikaufenthalt betrachtet wird. Das QSR-Verfahren stellt heute auf Basis der Analyse der AOK-Daten 114 Qualitätsindikatoren für 23 Leistungsbereiche bereit. Die Ergebnisse stellen wir den Krankenhäusern in QSR-Klinikberichten für ihr internes Qualitätsmanagement zur Verfügung. Außerdem sind die Informationen für jeden Interessierten im Gesundheitsnavigator der AOK aufbereitet, können auch von Ärzten als Basis für die Beratung ihrer Patientinnen und Patienten genutzt werden.

Wie ist das Feedback aus den Krankenhäusern auf die QSR-Klinikberichte?

Kuhlen: Die Klinikberichte gehen an mehr als 500 Häuser, die sich bei IQM engagieren. Da kann man davon ausgehen, dass nicht immer alle von den Berichten begeistert sind. Inzwischen ist die Qualität der Daten allerdings anerkannt, und das Qualitätsmanagement der Kliniken setzt sich intensiv mit den jeweiligen Ergebnissen auseinander.

Dass die Daten Ergebnisse einschließen, die ein Jahr über den Klinikaufenthalt hinausgehen, bietet aus Managementperspektive viele Chancen. Das ist das Besondere und das Wertvolle am QSR-Verfahren. Die Zeiten, in denen gegen die Veröffentlichung der Qualitätsindikatoren geklagt wurde, sind jedenfalls längst vorbei.

Wie arbeiten die IQM-Mitgliedskrankenhäuser mit Routinedaten-Auswertungen im Rahmen ihres Qualitätsmanagements?

Kuhlen: IQM ist eine freiwillige Initiative. Insofern wundert es nicht, dass die Erfahrungen insgesamt sehr positiv sind, sonst wären nicht so viele Krankenhäuser dabei. Grundsatz der IQM-Methode ist, Qualitätsindikatoren aus Routinedaten zu erstellen und diese transparent zu veröffentlichen. Der wesentliche Grund für die Akzeptanz ist aber, dass wir bei Auffälligkeiten in Peer Reviews anhand ausgewählter Patientenakten mögliche Schwachstellen und Verbesserungspotenziale in den Behandlungsabläufen, Strukturen und Schnittstellen prüfen und in einem kollegialen Dialog erörtern.

Professor Ralf Kuhlen

  • Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Initiative Qualitätsmedizin (IQM)
  • Von 2010 bis 2018 war Kuhlen als Helios Geschäftsführer Medizin (CMO) tätig.
  • Seit März 2018 hat er den Posten des Geschäftsführers Medizin für die neu gegründete, international tätige Holding Helios Health übernommen.

So können wir in den Mitgliedskrankenhäusern eine offene Lern- und Sicherheitskultur etablieren. Insgesamt haben wir heute gute Erfahrungen mit den Routinedatenanalysen und den Maßnahmen, die daraus abgeleitet werden können. Heute steht in den Kliniken die Suche nach Verbesserungen deutlich stärker im Vordergrund als früher. In Sachen Fehlerkultur ist aus meiner Sicht generell die Medizin ziemlich weit vorn.

Natürlich gibt es auch Widerstände hinsichtlich möglicher Klinikvergleiche oder auch bezüglich der Frage, ob die vorgenommene Risikoadjustierung ausreichend fair für alle Krankenhäuser ist. Wir haben uns bereits vor einigen Jahren die verschiedenen Verfahren der Risikoadjustierung auf den konkreten IQM-Daten basierend erneut angeschaut und gehen auch mit diesen Erkenntnissen transparent um, publizieren die Ergebnisse und haben sie gerade auf dem QMR-Kongress diskutiert. Durch diesen Diskurs entwickelt sich unsere Datenlandschaft ständig weiter, was die Akzeptanz natürlich deutlich befördert.

Was sind die Grenzen der Routinedaten?

Klauber: Sicher stoßen Routinedaten an Grenzen, etwa, wenn wichtige Informationen, zum Beispiel über das Tumorstadium bei Krebspatienten, nicht zur Verfügung stehen. Aber sie bieten eben erhebliche Vorteile wie den vollzähligen Vergleich, eine vollständige Abbildung der Versorgungsrealität und eine aufwandsarme Nutzung. Entscheidend bei der Arbeit mit Routinedaten ist der verantwortungsvolle Umgang damit, wie auch bei allen anderen Studien auch.

Dafür gibt es „Gute Praxis“-Empfehlungen der Fachgesellschaften der Versorgungsforschung. Besondere Achtsamkeit ist beim Vergleich von Krankenhäusern geboten. Bei QSR gibt es bestimmte Indikatoren, die vor diesem Hintergrund nur den Krankenhäusern über ihren individuellen Klinikbericht für das klinikinterne Qualitätsmanagement zur Verfügung gestellt werden, aber nicht in eine öffentlich vergleichende Berichterstattung eingehen.

Kuhlen: Sicher gibt es immer die Notwendigkeit, die Grenzen von Datenanalysen aufzuzeigen. Ich kann heute beispielsweise nicht aus den Daten sehen, ob eine Komplikation mit ins Krankenhaus gebracht wurde oder dort erworben wurde. Aber diese Grenze wäre problemlos durch Erweiterung der zu liefernden Daten zu verschieben. Hier müssen wir endlich vorankommen, um die Auswertungsmöglichkeiten zur Qualität auf Basis von Routinedaten zu erweitern.

Welche Nutzungschancen bieten aus ihrer Sicht Routinedaten der Krankenkassen für die gesetzliche Qualitätssicherung?

Kuhlen: Man kann damit aufwandsarm unglaublich viel machen. Die Routinedaten der Krankenkassen sind hierzu wie bei QSR gut nutzbar. Man hat Follow-up-Daten, man kann den Krankheitsverlauf im Längsschnitt und sektorenübergreifend anschauen. So kann man zum Beispiel erfassen, ob bei Gelenkoperationen Revisions-Op notwendig werden. Generell gilt die Philosophie: Wenn der Kostenträger die Kosten trägt, muss das Krankenhaus ihm nachweisen, was wie gut gemacht worden ist. Die natürliche Quelle für diesen Nachweis sind die Daten der Krankenversicherten. Die Ergebnisse können in mehrfacher Hinsicht genutzt werden: für die Information von Patientinnen und Patienten, für das Qualitätsmanagement der Kliniken und auch für die Krankenhausplanung.

Welche Bedeutung von Routinedatenanalysen hat sich in der COVID-19-Pandemie gezeigt?

Klauber: Auf Basis der Routinedaten konnte sehr kurzfristig Transparenz geschaffen werden, sei es zur Versorgung der Patientinnen oder Patienten mit COVID-19, zur Fallzahlentwicklung in anderen Versorgungssegmenten wie der Notfallversorgung oder der Onkologie oder auch zur Teilhabe der Krankenhäuser an der Versorgung. Sowohl IQM als auch das WIdO haben umfangreiche Analysen vorgelegt und zum Teil hochrangig publiziert.

Die Daten waren schnell verfügbar, ein kurzfristiges Monitoring wurde umgesetzt. Leider hat seitens der Politik aber der Wille für ein weiteres und umfassenderes Monitoring auf Basis der Routinedaten der Krankenkassen gefehlt. Hätte man etwa Informationen zu Infektionen, Impfungen oder Nebenwirkungen systematisch in die Daten der Krankenkassen eingespeist, wäre hier im Monitoring viel mehr möglich, wie es beispielsweise die Krankenversicherungsträger in Israel zeigen.

Wie erreichen die vielfältigen Qualitätsinformationen auf Basis von Routinedaten die Patienten, die eine Behandlung suchen?

Klauber: Die AOK stellt die Informationen in ihrem Gesundheitsnavigator zur Verfügung. Dort finden Interessierte Angaben unter anderem zur Versorgungsqualität von Krankenhäusern auf Basis von QSR, sortiert nach überdurchschnittlicher, durchschnittlicher oder unterdurchschnittlicher Behandlungsqualität, grafisch laienverständlich dargestellt. Dort finden sich auch Angaben zur Fallzahl der einzelnen Häuser, die einen Hinweis auf die vorliegende Erfahrung geben können.

Kuhlen: Auch die niedergelassenen Ärzte sind hier natürlich gefragt. Sie haben das Vertrauen ihrer Patientinnen und Patienten und können sie beraten, welches Krankenhaus für die Behandlung am besten geeignet ist. Neben den eigenen Erfahrungen bieten hierzu die vorhandenen Datenquellen eine exzellente Grundlage.

Der Kongress

  • Am 10. und 11. Mai fand in Berlin der 5. Kongress zu Qualitätsmessung und -management mit Routinedaten statt.
  • Ausgerichtet wird der Kongress regelmäßig von der AOK und der Initiative Qualitätsmedizin (IQM).

Weitere Infos unter: www.qmrkongress.de

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