Föderaler Flickenteppich
Corona-Verordnungen: Abweichungen vom 3G-Prinzip
Geimpft, genesen oder getestet: Diese Grundregel für den Umgang mit der Pandemie wird aufgeweicht – Hamburg schert aus und schränkt die Freiheiten von Ungeimpften ein.
Veröffentlicht:Hamburg/Schwerin/Berlin. Neue Ampelmodelle, ein neuer Umgang mit der 3G- oder der 2G-Regel: Die Bundesländer setzen unterschiedliche Akzente bei der Umsetzung der Bund-Länder-Beschlüsse vom 10. August – ein Überblick.
Der Südwesten hat seine Corona-Verordnung bereits zum 16. August angepasst. Danach müssen jene, die sich nicht impfen lassen möchten, in mehr Bereichen einen maximal 24 Stunden alten negativen Antigen-Schnelltest vorweisen. In bestimmten Bereichen ist ein negativer PCR-Test erforderlich – dieser darf höchstens 48 Stunden alt sein.
Dies gilt für ganz Baden-Württemberg einheitlich – unabhängig von der aktuellen 7-Tage-Inzidenz im jeweiligen Stadt- oder Landkreis. Ergänzt hat das Land mit Wirkung seit Mittwoch Regelung zu Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.
Künftig gibt es an beiden Orten keine Beschränkungen mehr bei der Besucherzahl – bisher hing diese von der Inzidenz vor Ort ab. Auch in Heimen und Kliniken gilt, dass Nichtgeimpfte einen Antigen-Schnelltest (nicht älter als 24 Stunden) oder einen PCR-Test (nicht älter als 48 Stunden) vorweisen müssen.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat sich dafür ausgesprochen, das System der Berliner Corona-Warnampel beizubehalten, aber weiterzuentwickeln. „Die Sieben-Tages-Inzidenz wird dabei weiter eine Rolle spielen, sie ist ein gelernter und wichtiger Richtwert“, sagte der SPD-Politiker in der Sitzung des Senats am Dienstag. Jedoch werde diese künftig anders gewichtet. „Wir werden nicht mehr ausschließlich diesen Wert zum Maßstab möglicher Maßnahmen machen“, sagte Müller.
Die Zahl der COVID-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden und die Auslastung der Intensivbetten seien zusätzliche wichtige Faktoren. Gegebenenfalls werde auch die Impfquote eine Rolle spielen. Wie das Ampel-System in Zukunft konkret aussehen soll, sagte Müller nicht. Wann eine Ampel Grün oder Gelb zeige und wann sie auf Rot springe, wird laut Müller bei der Senatssitzung in der nächsten Woche vom Senat formuliert. Dafür brauche es zunächst ein entsprechendes Zahlengerüst.
Als erstes Bundesland führt Hamburg am Sonnabend die „2G-Regelung“ein. Veranstalter haben damit künftig die Möglichkeit, Ungeimpfte auch mit negativem Coronatest auszuschließen und zum Beispiel ihren Konzertsaal oder ihr Restaurant ausschließlich für Geimpfte und Genesene zu öffnen.
„Die vierte Welle ist eine Welle der Ungeimpften“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher (SPD) bei der Erläuterung des Senatsbeschlusses. Nach seinen Angaben beträgt die Inzidenz in Hamburg derzeit rund 80, die Inzidenz unter den Geimpften dagegen unter fünf. Er hält zudem die 2G-Regelung für die Bevölkerung für deutlich sicherer als die 3G-Regelung.
Auf die Frage, ob Hamburg damit nicht eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ einführe, antwortete Tschentscher: „Das kann man bewerten wie man mag.“ Impfen hält er für „verantwortungsvoll und geboten“. Tschentscher appellierte erneut an die Hamburger, die bestehenden Impf-Angebote zu nutzen.
Einen Zusammenhang der Senatsentscheidung mit der bevorstehenden Bundestagswahl wiesen sowohl Tschentscher als auch die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grünen) zurück.
Veranstalter, die die 2G-Regelung nutzen, können zum Beispiel mehr Gäste und freie Tischwahl zulassen und auf Abstandsregeln verzichten. Die Maskenpflicht dagegen bleibt bestehen. Veranstalter, die sich für das 2G-Modell anmelden, müssen entsprechende Kontrollen gewährleisten und sich bei Verstößen auf Sanktionen einstellen. Eine Verpflichtung von Veranstaltern für das 2G-Modell ist derzeit nicht geplant. Die CDU-Opposition in der Hamburger Bürgerschaft begrüßte die Einführung des 2G-Modells als „ein Stück mehr Normalität“.
Das neue Ampelsystem im Nordosten für die vierte Corona-Welle im Herbst und Winter sieht vier statt bisher sechs Farben vor – und keinen Lockdown selbst bei sehr hohen Inzidenzen und Patientenzahlen. Bei der Einstufung der Landkreise und kreisfreien Städte in die Ampelfarben Grün, Gelb, Orange und Rot soll die Belegung der Kliniken mit COVID-19-Patienten ein noch stärkeres Gewicht als bisher bekommen, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Dienstag nach der Kabinettssitzung. Die neue Ampel soll von Freitag an gelten.
Ungeimpften drohen härtere Maßnahmen bei zunehmender Infektionslage. Zeigt die neue Ampel Grün, läuft das Leben ohne Einschränkungen für alle. Lediglich etwa beim Einkaufen und in Bussen und Bahnen herrscht Maskenpflicht. Bei Phase Gelb müssen Ungeimpfte – wie gerade in Rostock – einen Negativtest vorlegen, wenn sie etwa zum Friseur, ins Fitnessstudio oder ins Kino wollen. In Diskotheken brauchen Ungeimpfte den Angaben zufolge dann einen PCR-Test. Gelb gilt in jedem Fall ab einer Inzidenz von 50 oder auch schon ab 35, sollte die Klinikauslastung entsprechend hoch sein. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus) in Rostock lege fest, welche Region in welcher Ampelphase ist, sagte Schwesig.
Orange gilt bei einer Sieben-Tage-Inzidenz der Infizierten von 50 bis 200, einer Sieben-Tage-Inzidenz der Krankenhauseinweisungen von 15 bis 25 und einer Auslastung der Intensivstationen zwischen 9 und 15 Prozent. Dann gibt es Empfehlungen an die Bevölkerung, wie Schwesig sagte – etwa, sich vor privaten Treffen zu testen, wenn man nicht geimpft oder genesen ist. Liegen die beiden Klinik-Indikatoren unter dem genannten Bereich, rutscht die Ampelfarbe eine Stufe nach unten.
Für Menschen, die gegen das Coronavirus geimpft oder von einer COVID-19-Erkrankung genesen sind, soll es von Mittwoch an in Niedersachsen einen leichteren Corona-Alltag geben. „Geimpfte und Genesene sind in der Corona-Pandemie künftig im Wesentlichen nicht mehr von Einschränkungen betroffen“, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bei der Vorstellung der neuen Corona-Verordnung am Dienstag in Hannover. Sie ist am Mittwoch in Kraft getreten.
Die neue Verordnung sieht die von Bund und Ländern beschlossene Umsetzung der 3G-Regel in Niedersachsen vor. Das heißt: Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss sich künftig testen lassen, um Zutritt zu vielen Lebensbereichen – etwa Krankenhäuser, Pflegeheimen, Discos, Großveranstaltungen – zu erhalten.
Führende Politiker der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein haben sich gegen generelle Corona-Beschränkungen nach dem 2G-Prinzip durch die Politik ausgesprochen, wie Hamburg sie nun umsetzt (siehe oben). „Über diese Schiene den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen, halte ich für falsch“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt am Dienstag. Dies würde einen erheblichen Teil der Menschen vom öffentlichen Leben ausschließen, denn dann würden nur vollständig geimpfte und genesene Menschen Zugang beispielsweise zu Veranstaltungen erhalten. „Wir wollen keine weitere Spaltung der Gesellschaft.“
Vogt betonte, er verstehe die Diskussion, auf diese Weise die Kapazität von Veranstaltungen zu erhöhen. „Wir müssen über das Thema Kapazitäten sprechen.“ Es müsse aber um das 3G-Prinzip (Geimpfte, Genesene, Getestete) gehen. „Denn eine 2G-Welt, die so ein bisschen durch die Hintertür kommt mit Blick auf die Kapazitäten, halte ich für problematisch.“ Er könne sich beispielsweise keine Sportveranstaltungen vorstellen, an denen keine Kinder teilnehmen könnten. Das Gleiche gelte für Schwangere oder Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten.
Ähnlich argumentierte CDU-Fraktionschef Tobias Koch. Es sei das gute Recht von Gastronomen und Veranstaltern, auf das 2G-Prinzip zu setzen, sagte Koch. „Das ist aber nicht die Entscheidung der Politik.“ Getesteten müsse ebenso die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben möglich sein. Denn: „Es gibt keine Impfpflicht.“