Körperwachstum-Studie

Darum waren die ersten Bauern kleiner als wir

Wie groß Menschen werden können, ist genetisch festgelegt. Aber äußere Einflüsse können den Prozess beeinflussen. Warum das so ist, wurde in einer internationalen Studie aufgedeckt. Dafür wurde auch Fundmaterial aus Sachsen-Anhalt ausgewertet.

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Messen, moderne bildgebende Verfahren, Analysen der DNA: Anthropologen gehen auch der Frage nach, ob und wie sich Umwelteinflüsse auf das Körperwachstum von Menschen auswirken. (Symbolbild)

Messen, moderne bildgebende Verfahren, Analysen der DNA: Anthropologen gehen auch der Frage nach, ob und wie sich Umwelteinflüsse auf das Körperwachstum von Menschen auswirken. (Symbolbild)

© elmar gubisch / stock.adobe.com

Halle. Menschen waren früher deutlich kleiner als heute – aber warum? Eine groß angelegte internationale Studie (Nature human Behaviour 2023; online 11. Dezember) hat sich mit dieser Frage beschäftigt, auch anhand von Funden aus Sachsen-Anhalt.

„Das Wachstumspotenzial von Menschen ist genetisch festgelegt“, sagt Jörg Orschiedt, Anthropologe am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle. „Auffällig ist, dass in Mitteldeutschland mit dem Beginn der sesshaften Lebensweise und dem Ackerbau vor 7.500 Jahren die Menschen nicht bis zu ihrer maximalen Körpergröße wuchsen.“

„In den frühbäuerlichen Kulturen in Sachsen-Anhalt waren die Männer im Mittel circa 1,63 Meter und die Frauen im Mittel 1,50 Meter groß“, sagt die Mitautorin der Studie und Anthropologin Nicole Nicklisch der Deutschen Presse-Agentur. Erst vor rund 200 Jahren setzte in der Bevölkerung wieder ein deutliches Körperwachstum ein. „Die Frage ist, welche Faktoren sind dafür verantwortlich“, so Orschiedt.

Daten von 8.000 bis 6.000 Jahre alten Skeletten bewertet

Wissenschaftler der University of Pennsylvania (USA) werteten insgesamt 1.535 Daten von 8.000 bis 6.000 Jahre alten Skeletten aus Europa aus. Die Funde kamen aus dem nördlichen Mitteleuropa, dem südlichen Mitteleuropa, vom Balkan und aus dem Mittelmeerraum. Aus Sachsen-Anhalt stammen 128 Proben hauptsächlich aus den Gräberfeldern in Derenburg (Harz), Karsdorf (Burgenlandkreis) und Halberstadt.

„Zeitlich liegen die menschlichen Überreste in der Epoche der Linienbandkeramik, eine der am besten erforschten archäologischen Kulturen mit tausenden Gräbern“, sagt Orschiedt. „Diese Menschen siedelten fast ausschließlich auf Lössgebieten und ihre Knochen sind deshalb meist gut erhalten. Am Skelett lässt sich die Körpergröße anthropologisch bestimmen, entsprechend lässt sich auch die Variationsbreite feststellen.“

Die Forscher untersuchten die aDNA (ancient deoxyribonucleic acid, für alte Desoxyribonukleinsäure), um das Wachstumspotenzial, die Ernährung, Anzeichen für Mangelzustände und Krankheiten zu analysieren. Zudem wurden die Skelette vermessen.

Hoher Umweltstress

Fazit: Umwelteinflüsse, Stress, Ernährung, Krankheiten und kulturelle Faktoren sind für das begrenzte Körperwachstum verantwortlich. Ebenso benennt die Studie erstmals auch, welcher dieser Faktoren in verschiedenen Regionen Europas ausschlaggebend war.

Im Ergebnis der Studie zeigte sich, dass in Nordmitteleuropa bei allen Geschlechtern ein hoher Umweltstress herrschte, Frauen jedoch trotz gleicher Einflüsse kleiner waren. Vermutlich beruht dieser Umstand darauf, dass Männer sich aufgrund kultureller Rahmenbedingungen besser von Stress erholen konnten als Frauen, denn andere Faktoren konnten ausgeschlossen werden. Das genetische Wachstumspotenzial ist für beide Geschlechter gleich.

„Die Linearbandkeramiker sind die ersten Bauern und Viehzüchter in unserem Raum. Sie mussten diese in Anatolien entwickelten Kulturtechniken erst an die ganz anderen klimatischen Verhältnisse in Mitteleuropa anpassen“, erklärt Orschiedt die Situation für Sachsen-Anhalt. „Im Zuge dieser Anpassungsprozesse gehen die Autoren davon aus, dass Männer, die schwere Arbeiten, etwa auf dem Acker ausführen konnten, bevorzugt wurden und dass knappe Ressourcen vorzugsweise in männliche Nachkommen investiert wurden.“

Unterschiede zur Situation im Mittelmeerraum

Bei den untersuchten Skeletten aus dem Mittelmeerraum ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern geringer, was darauf hindeutet, dass es keine kulturellen Faktoren gab, die männliche Individuen besser vor den Auswirkungen von Stress schützten.

„Im Mittelmeerraum war das Klima wie heute gemäßigter und die natürlichen Ressourcen reicher, was bessere Voraussetzungen für die Landwirtschaft und weniger schwere Arbeit bedeutete. Es gab keine Notwendigkeit, Männer bevorzugt zu behandeln“, sagt der Anthropologe.

Bei optimalen Bedingungen: Körpergröße von 1,90 Meter

„Allgemein sind heute die Männer im Durchschnitt 1,80 Meter und die Frauen 1,70 Meter groß. Es gibt wissenschaftliche Berechnungen, danach könnten Menschen in der Zukunft bei optimalen Umweltbedingungen und gesunder Ernährung eine durchschnittliche Körpergröße von 1,90 Meter erreichen“, sagt Nicklisch. Aber in der Realität können sich die Bedingungen ständig ändern.

Es gibt viele Faktoren, deren Auswirkungen auf das Wachstum noch unbekannt sind. „Zum Beispiel die Auswirkungen von Plastik - kleinste Partikel befinden sich mittlerweile auch in unseren Körpern oder Rückstände von Hormonen im Trinkwasser“, erklärt die Anthropologin.

„Die Studie wird weitergeführt und entsprechende Daten von Menschen aus ganz Europa, einschließlich Sachsen-Anhalt, bis zur Epoche des Mittelalters ausgewertet und analysiert.“ Die Ergebnisse zu den genetischen Faktoren im Zusammenspiel mit den entsprechenden Umwelteinflüssen könnten dann im nächsten Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt werden. (dpa/sa)

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