Gazakrieg

Machtlose Ärzte im Nahen Osten

Der Krieg im Gazastreifen eskaliert. Die Ärzte dort stehen mittlerweile auf nahezu verlorenem Posten. Israelische Mediziner versuchen zu helfen, wo sie können.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Im Abu Yousef al-Najjar Hospital in Rafah werden nach einem Bombenangriff Verwundete behandelt.

Im Abu Yousef al-Najjar Hospital in Rafah werden nach einem Bombenangriff Verwundete behandelt.

© Bassam / dpa

FRANKFURT/MAIN. Die Intensivstationen sind hoffnungslos überbelegt, Medikamente und Hilfsmittel werden knapp, zunehmend geraten auch Ambulanzen und Ärzte unter Beschuss: Die medizinische Versorgung der Menschen im Gazastreifen steht vor dem Kollaps.

Aber auch die israelischen Ärzte kämpfen mit den Folgen des Kriegs. Durch den ständigen Alarm sind viele Menschen traumatisiert, und zum Schutz vor den Raketenangriffen der Hamas müssen wichtige Krankenhaus-Abteilungen in unterirdische Schutzräume verlegt werden.

"In den letzten 15 Jahren wurden viele solcher Räume angelegt, um essenzielle medizinische Dienste auch unter Beschuss sicher zu stellen", berichtet Ran Cohen von der israelischen Organisation Ärzte für Menschenrechte.

Zwar seien die Raketen der Hamas nicht allzu treffsicher - nach Angaben des israelischen Militärs werden 90 Prozent der vom Gazastreifen abgeschossenen Raketen abgefangen - doch jeder neue Alarm versetze die Menschen in Angst und Schrecken, worunter vor allem die Kinder litten.

Er und seine Mitstreiter versuchen aber auch das Leid der Palästinenser zu lindern, indem sie in regelmäßigen Abständen Medikamente in die besetzten Gebiete liefern.

Eine Frage des Überlebens

Dort, im Gazastreifen, ist die Lage nach drei Wochen Krieg längst außer Kontrolle. "Hier gehen überall Raketen runter", erzählt Dr. Aed Yaghi, Leiter der Palestinian Medical Relief Society, die, wie Ärzte für Menschenrechte auf israelischer Seite, eine Partnerschaft mit der Frankfurter Hilfsorganisation medico international unterhält.

"Es ist jetzt keine Frage, ob man okay ist oder nicht, sondern ob man das überlebt. Wir haben hier keine Schutzräume oder Bunker, auch kein Raketenabwehrsystem", sagt Yaghi.

Audrey Landmann, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF) in Gaza, berichtet über den Einsatz eines MSF-Teams im Al Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt kurz nach einem Angriff der Israelis auf das dichtbesiedelte Schedschaija-Viertel: "In der Notaufnahme starb die Hälfte der eingetroffenen Schwerverletzten innerhalb weniger Minuten. Die andere Hälfte brauchte Notoperationen."

Zwei Brüder, vier und acht Jahre alt, deren Elternhaus von einer Rakete zerstört worden sei, hätten mit schweren Verbrennungen nebeneinander auf der Intensivstation gelegen. "Eine Patientin, eine junge Mutter von 24 Jahren, war zwölf Stunden lang unter dem Schutt ihres eingestürzten Hauses begraben", erzählt eine Anästhesistin des Teams.

"Sie hat dort ihre Tochter und zehn weitere Familienmitglieder verloren. Wir haben alles getan, was wir konnten, um sie zu retten - doch sie starb heute früh." Einen zehnjährigen Jungen, der bei den Angriffen seinen Vater verlor, habe man retten können. "Er litt unter Verbrennungen, Quetschungen und Traumata und hatte hundert Wunden von explodierenden Granaten, verteilt über den ganzen Körper."

Die Mitarbeiter ihres Teams, so Audrey Landmann, hätten während ihres Einsatzes zudem erlebt, wie zwei Sanitäter starben und zwei weitere verletzt wurden, während sie Verletzte aus dem Schedschaija-Viertel bergen wollten. Auch ein gekennzeichneter Rettungswagen von MSF sei nur knapp einem Luftangriff entkommen.

Ärzte bringen sich selbst in Gefahr

"Der Artilleriebeschuss und die Luftangriffe sind nicht nur sehr intensiv, sondern auch unvorhersehbar", fügt Nicolas Palarus, Projektkoordinator von MSF im Gazastreifen, hinzu. "Das macht es für die Helfer sehr schwierig, sich zu bewegen und dringend benötigte medizinische Hilfe zu leisten."

Die Intensivstationen der großen Krankenhäuser seien hoffnungslos überbelegt, sagt Riad Othmann, Büroleiter von medico international im Gazastreifen. Daher würden Verletzte unmittelbar im Anschluss eines chirurgischen Eingriffs nach Hause entlassen oder in andere Gesundheitseinrichtungen verlegt.

Da sich viele Patienten nicht auf die Straße trauten, machten Ärzte auch Hausbesuche und brächten sich dadurch selbst in Gefahr. Mangels humanitärer Korridore gerieten auch die Ambulanzen immer wieder unter Beschuss.

Othmann zufolge sind seit Ausbruch des Kriegs rund zwei Dutzend Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen zerstört oder beschädigt worden. Erst kürzlich sind nach Angaben der Rot-Kreuz-Gesellschaft bei einem Angriff auf zwei Ambulanzfahrzeuge des Palästinensischen Roten Halbmonds in Beit Hanoun ein Notarzt getötet und drei weitere Mitarbeiter verletzt worden.

"Wir können mit der Unterstützung unserer Partner versuchen, das Leid zu lindern", sagt Riad Othmann. "aber was hier dringend Not tut, ist eine politische Lösung."

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