Porträt zum 200. Geburtstag
Rudolf Virchow – Arzt mit außergewöhnlichen Begabungen
Vor 200 Jahren wurde der Mediziner, Politiker und Ethnologe Rudolf Virchow geboren. Er gilt als Universalgelehrter, begründete die moderne Pathologie, setzte Hygienestandards – aber er kooperierte auch mit Hagenbecks rassistischen Völkerschauen.
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Der Pathologe Rudolf Virchow auf einem Gemälde von Hans Fechner.
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Berlin. Er nannte sich selbst „Firchow“, mit „F“ gesprochen wie in „Vater“: Rudolf Virchow – Historiker, Politiker und vor allem genialer Arzt, der die moderne Pathologie begründete und eine sozial orientierte Medizin vertrat. Auf seine Initiative gehen in Berlin kommunale Krankenhäuser, Einrichtungen für psychisch kranke Menschen, Obdachlosenheime, Institute der Charité sowie einige Museen zurück. Vor 200 Jahren, am 13. Oktober 1821, wurde Rudolf Virchow geboren.
„Mediziner kann nur derjenige genannt werden, der als den letzten Zweck seines Strebens das Heilen betrachtet.“ Das schrieb Virchow im Jahr 1847 – ein ambitionierter Satz, den er sich für seine Arbeit selbst zu Herzen nahm. Im pommerschen Schivelbein wird er als einziger Sohn des Kaufmanns Carl Virchow und seiner Frau Johanna geboren. Bereits als Kind war er wissbegierig, stöberte gern in der Bibliothek seines Vaters. Die Familie verfügte nur über geringe finanzielle Mittel, die ein Studium an einer Universität nicht zuließen. Virchow studierte deshalb von 1839 bis 1843 Medizin an der Ärztlichen Militärakademie in Berlin.
Er beschrieb als erster Arzt die Leukämie
Schnell stellte sich heraus, dass Virchow vielseitig begabt war und Interesse an verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen hatte. Sein Studienfreund, der Berliner Arzt und Pathologe Rudolf Leubuscher, äußerte einmal über ihn: „Ich bin erstaunt, was der Mensch zusammenarbeiten kann und wie er den Kopf für alle möglichen auseinanderliegenden Beobachtungen offen hat.“
1845 beschrieb Virchow als erster Arzt die Leukämie, deren Namen er prägte. 1848 untersuchte er im Auftrag der Regierung eine Fleckfieberepidemie in Oberschlesien. Daraufhin forderte er in seinem Bericht die „volle und unumschränkte Demokratie“, ohne die es keinen Wohlstand und keine Gesundheit geben könne.
Als Professor für pathologische Anatomie in Würzburg sorgte er für den wissenschaftlichen Durchbruch der Zellularpathologie: Diese besagte, dass Krankheiten auf Störungen der Körperzellen basieren und nicht – wie bisher angenommen – auf einer ungleichmäßigen Mischung der Körpersäfte. 1856 wurde Virchow zum Direktor des pathologischen Instituts der Charité berufen.
Konfrontation mit Bismarck
In Berlin führte er als Arzt und liberaler Politiker Hygienestandards ein, um etwa Sauberkeit und Arbeitsbedingungen in Schlachtbetrieben und an Krankenhäusern zu verbessern. Er sorgte für den Ausbau der Berliner Kanalisation und forderte eine ordentliche Ausbildung für Pflegepersonal.
Mediziner kann nur derjenige genannt werden, der als den letzten Zweck seines Strebens das Heilen betrachtet.
Rudolf Virchow, Begründer der modernen Pathologie
1861 wurde der Freigeist Virchow Mitbegründer der liberalen Deutschen Fortschrittspartei. Das führte mitunter auch zur Konfrontation mit Ministerpräsident Otto von Bismarck: Im Jahr 1865, nach einer besonders scharfen rednerischen Auseinandersetzung, forderte dieser Virchow gar zum Duell – damals ein probates Mittel, sich eines unliebsamen Gegners zu entledigen. Durch Vermittlung des Kriegsministers sah Bismarck schließlich von seiner Forderung ab.
Virchow war Protestant, äußerte sich in der Öffentlichkeit allerdings auch kirchenkritisch. So wird ihm oft der Satz „Ich habe so viele Leichen seziert und nie eine Seele gefunden“ zugesprochen. Allerdings wehrte er sich selbst 1877 im preußischen Abgeordnetenhaus gegen diesen Vorwurf und behauptete, so etwas nie gesagt zu haben.
Auch rassistische Schattenseiten

Das Grab von Rudolf und Rose Virchow, auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg.
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Der geniale Wissenschaftler, der etwa auch das Berliner Museum für Völkerkunde maßgeblich initiierte und konzipierte, hatte zugleich Schattenseiten. So besaß er eine große Schädelsammlung und kooperierte mit Hagenbecks rassistischen Völkerschauen. „Diese Menschenvorführungen sind sehr interessant für jeden, der sich einigermaßen klar werden will über die Stellung, welche der Mensch überhaupt in der Natur einnimmt, und über die Entwicklung, welche das Menschengeschlecht durchmessen hat“, befand er. Virchow soll jede Gelegenheit genutzt haben, Hagenbecks sogenannte Wilde gründlich zu vermessen und wissenschaftlich zu untersuchen.
Im Januar 1902 stürzt Virchow in Berlin beim Verlassen der elektrischen Straßenbahn und zieht sich einen Oberschenkelhalsbruch zu, von dem er sich nicht mehr erholt. Am 5. September 1902 stirbt er mit 80 Jahren in Berlin. (kna)