Nach der Flutkatastrophe
Weihnachtsstimmung kommt im Ahrtal nicht auf
Die Familien aus dem Ahrtal leben zerstreut in der Umgebung. VieleMenschen sind traumatisiert und gehen mit gemischten Gefühlen der Zukunft entgegen.
Veröffentlicht:Altenahr/Mayschoß/Schuld. Bernd Gasper hat Angst vor Weihnachten. „Dieses Jahr feiern wir zum ersten Mal allein“, sagt seine Frau Brigitte. Nach der Flutkatastrophe vor rund vier Monaten lebt die seit Generationen im Ahrtal verwurzelte Familie verstreut. Ihre Häuser in Altenahr-Altenburg sind abgerissen oder unbewohnbar.
Dem Ehepaar fehlt der vertraute, selbstverständliche Kontakt zu seinen beiden Söhnen und den Enkeln, zu den Geschwistern und deren Familien sowie den Freunden im Ahrtal. „Die Treffen sind jetzt immer mit viel Fahrerei verbunden“, sagt Brigitte Gasper. Bernd Gaspers älterer Bruder Gerd blickt mit sehr gemischten Gefühlen auf die Tage bis zum Jahreswechsel: „Da müssen wir durch.“ Er wartet auf einen Sachverständigen, der die Mauern seines vollständig entkernten Hauses auf Öl und andere Schadstoffe untersuchen soll. „Wenn im Mauerwerk keine Schadstoffe sind, geht es weiter, sagt der Architekt.“ Und wenn doch?
Warten und Bürokratie
Das Warten, die Bürokratie, das ständige Telefonieren, E-Mail-Schreiben und Nachhaken macht den Menschen zu schaffen. Brigitte Gasper regt sich auf. Um den Antrag auf Wiederaufbauhilfe bei der Investitions- und Strukturbank (ISB) zu stellen, seien sie einen Monat lang ein- bis zweimal pro Woche zum Info-Point gefahren. Alle ihre Fragen konnten aber auch die Berater dort nicht beantworten. „Da sitzt einer und soll sich nach drei Tagen Crash-Kurs mit dem Bankgeschäft auskennen“, berichtet Brigitte Gasper.
In der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli hat Brigitte Gasper ihre 90 Jahre alte Mutter verloren. Der Stromversorger, bei dem sie deren Haus nach dem Abriss abmelden wollte, habe nicht verstanden, dass es keinen Zählerstand gebe, weil das Haus nicht mehr existiert, erzählt die Tochter. Er habe irgendwann aufgelegt. „Was soll ich da jetzt machen?“
Tim Himmes hat das von der Flut verwüstete Erdgeschoss seines Elternhauses gemeinsam mit Helfern entkernt, Laminat verlegt und die Wände gestrichen. Das Wohn- und Esszimmer ist fertig eingerichtet, ein Holzofen schenkt Wärme. „Ganz trocken war das alles noch nicht, aber die Eltern wollten es unbedingt so“, sagt der 21-Jährige. „Die Leute, die das mitgemacht haben, werden das nie vergessen. Jedes Mal, wenn ich Wasser höre oder Regen, kriege ich Krämpfe“, sagt Tims Mutter unter Tränen. Sie habe angefangen zu malen, um das im Sommer Erlebte zu verarbeiten.
Bernd Gasper spürt die traumatischen Erlebnisse und ihre Folgen mittlerweile körperlich. „Die ganze Sache hat mich krank gemacht“, sagt der 69-Jährige. „Die Flut hat uns ja nicht nur Haus, Hab und Gut genommen, sondern auch den Ort“, erzählt der umtriebige Rentner, der mit seinem Verein „Steinbeißer“ viele Jahre Spenden gesammelt und so manches im Ort gestaltet hat – etwa einen in der Region gefragten Spielplatz, von dem nichts mehr übrig ist.
Dennoch möchte das Ehepaar Gasper zurück in seinen Heimatort. Nur wohin? Ihr Haus steht nicht mehr. Untergekommen sind sie im 20 Kilometer entfernten Wachtberg bei Bekannten. Die Eigentümer des vorübergehenden Wohnsitzes machten keinen Druck. „Viele andere müssen jetzt wieder irgendwo ausziehen und sich in den Wintermonaten eine neue Wohnung suchen.“
Ein Neubau kommt nicht in Frage
„Ich baue nicht mehr auf“, sagt Bernd Gasper. Die hochwasserangepassten Auflagen an der Stelle, wo sein Elternhaus stand, machten einen anderen Baustil notwendig, erlaubten keine Wohnräume im Erdgeschoss mehr. „Ich werde ja älter und baue doch nichts mehr auf, wo man so viele Treppen laufen muss.“
Neu bauen und dann verkaufen sei auch keine Alternative. „Wer will das denn jetzt kaufen?“, fragt Gasper. Die Gemeinde habe Interesse an dem Grundstück, um eine Abbiegerspur für die Busse einzurichten, die zum Schulzentrum und zum Altenheim fahren. Zunächst will sein Neffe Thorsten auf dem Grundstück seines abgerissenen Elternhauses zwei Container aufstellen, für ein Büro und ein Lager. Denn: „Mein Kälte-Klimabetrieb ist weggeschwommen“, berichtet der 45-Jährige. Der Klimatechniker und Feuerwehrmann hat auch sein Fachwerkhaus aus dem Jahr 1791 in Mayschoß verloren.
Für Bernd Gasper und seine Frau sei eine Rückkehr nach Altenahr-Altenburg vielleicht 2023 möglich, sagt der 69-Jährige. Eine Option sei das Haus eines seiner Söhne. Vorausgesetzt, dieser baut neu – etwas höher, weiter weg vom Wasser. (dpa)