Kein Spenderherz
Zweijähriger Muhammet liegt im Sterben
Sein Fall hat eine Debatte um die Vergabe von Spenderorganen in Deutschland ausgelöst. Nun hat der zweijährige Muhammet den Kampf verloren. Der herzkranke Junge, der auch einen Hirnschaden hat, steht am Lebensende.
Veröffentlicht:GIEßEN. Die Transplantationsmedizin in Deutschland erleidet einen weiteren, potenziellen Imageschaden - und damit das Bemühen um freiwillige Organspender möglicherweise einen weiteren Dämpfer. Konkret geht es um den Fall des zweijährigen Türken Muhammet (2), dessen Eltern auch vor Gericht kein Spenderherz für ihren Sohn erstreiten konnten.
Nun liegt der schwer herzkranke Junge ihren Angaben zufolge im Sterben. Überraschend habe sich am Samstag sein Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert, teilte Oliver Tolmein, der Anwalt der Familie, am Montag mit. "Da er diese Verschlechterung nach ärztlichem und menschlichem Ermessen nicht überleben kann, haben die Eltern sich entschlossen, ihn in die Türkei verlegen zu lassen, damit er dort im Kreis seiner Familie sterben und beerdigt werden kann."
Da das Kleinkind neben seinem kranken Herzen auch einen Hirnschaden hat, hatte sich die Uniklinik Gießen geweigert, den Jungen auf die Warteliste für ein Spenderherz zu setzen. Einen Tag vor der Abreise aus Istanbul hatte Muhammet einen Herzstillstand erlitten, durch den sein Hirn geschädigt worden war.
Nach Darstellung des UKGM war die Herz-Kreislauf-Situation bei der Ankunft des Jungen in Gießen am 31. März dieses Jahres weiterhin instabil. Die behandelnden Ärzte hätten deshalb alle verfügbaren Notfallmaßnahmen ergriffen, um sein Leben zu retten. Letztlich habe es des Anschlusses an ein Kunstherz bedurft, um den Tod zu verhindern und eine Stabilisierung seiner prekären Lage zu ermöglichen.
Eilverfahren um Spenderherz am Ende
Das Landgericht Gießen hatte dem Krankenhaus Recht gegeben. Nun sei der Rechtsstreit zu Ende, verkündete der Hamburger Anwalt der Familie am Montag: "Das Eilverfahren, um sein Recht auf die Warteliste für eine Herztransplantation gesetzt zu werden, kann nicht weitergeführt werden."
Der Fall des Jungen hatte eine emotionale Debatte um die Vergabe von Spenderorganen ausgelöst. Er zeige, "dass der Rechtsschutz schwer kranker Patienten im System des deutschen Transplantationsgesetzes völlig unzureichend gewährleistet ist", so der Anwalt. Medizinethiker sind hingegen der Ansicht, dass die Organe Patienten zugutekommen sollten, die die besten Aussichten haben, lange zu leben.
Noch am Montag wurde der Junge von Frankfurt aus mit einer Privatmaschine nach Istanbul geflogen.
Mit ihrer Klage beim Landgericht wollten die Eltern erreichen, dass ihr Junge auf die Warteliste des Universitätsklinikums Gießen-Marburg (UKGM) für ein Spenderorgan kommt. Das UKGM hatte dies mit der Begründung abgelehnt, eine Transplantation komme aufgrund eines bei dem Zweijährigen bestehenden schweren Hirnschadens nicht in Frage.
Fall mit äußerst sensibler Konstellation
Der Fall ist nicht zuletzt aufgrund der Konstellation - die Eltern hatten für ihren Sohn in der Türkei rund eine halbe Million Euro an Privatspenden für die Behandlung in Deutschland gesammelt und all ihre Hoffnung in die Künste der deutschen Transplantationsmediziner gesteckt - äußerst sensibel.
Da die Vorwürfe gegen die Ärzte des UKGM immer lauter wurden, wurden auch Gutachter der Bundesärztekammer bemüht, die ihren Kollegen ein rechtmäßiges Verhalten bestätigten. Dagegen machten die Eltern vor Gericht geltend, die Ablehnung der Transplantation stelle eine Diskriminierung eines Behinderten dar.
Schützenhilfe erfuhren die Gießener Transplantationsmediziner unterdessen von dem Mainzer Medizinethiker Professor Norbert W. Paul, der die Kritik an den Ärzten als ungerecht und populistisch bezeichnete.
"Es geht nicht um die Frage von Behinderung, sondern einzig und allein um die Prognose für die weitere Gesundheit. Es geht nicht um die Einschätzung zum Wert eines Lebens, sondern um Lebensqualität. Es ist unfair, bei einer Betrachtung von medizinischen Sachverhalten den Ärzten Diskriminierung vorzuhalten. Das ist billiger Populismus. Bei der Diskussion werden zudem die Patienten vergessen, die mit einem neuen Organ bessere Lebenschancen hätten."
Verhältnis zwischen UKGM und Eltern zerrüttet
Wegen der Auseinandersetzung um die Transplantationschancen des kleinen Muhammet war das Vertrauensverhältnis zwischen UKGM und den Eltern zuletzt völlig zerrüttet gewesen. Seit Mitte Juli war es laut UKGM für die Klinikmitarbeiter immer schwieriger, ihre Arbeit zu erledigen, da permanent Anrufe und E-Mails eingegangen und Besucher mit der Forderung erschienen seien, die Transplantation doch durchzuführen.
Klinikmitarbeiter seien verbal und körperlich bedrängt und bedroht worden. Das UKGM habe sich an die Polizei wenden müssen. Nun bleibt abzuwarten, ob sich die Situation wieder deeskaliert oder ob die enttäuschten Emotionen von Muhammets Familienumfeld das UKGM noch in irgendeiner negativen Form treffen werden. (mit Archiv- und dpa-Material)