Gesundheitsämter in Berlin

Amtsärztin beklagt: Alle gegen Corona – der Rest bleibt liegen

Aufgrund der Corona-Kontaktnachverfolgung können die Berliner Gesundheitsämter viele Kernaufgaben nicht mehr bewältigen. Eine Berliner Amtsärztin beschreibt die Situation als katastrophal.

Von Madlen Schäfer Veröffentlicht:
Marvin und viele andere der fast 37000 Erstklässler in Berlin mussten im August des vergangenen Jahres ohne Einschulungsuntersuchung ihren ersten Schultag antreten: Einschulungsfeier in der Grundschule im Panketal in Berlin-Karow.

Marvin und viele andere der fast 37 000 Erstklässler in Berlin mussten im August des vergangenen Jahres ohne Einschulungsuntersuchung ihren ersten Schultag antreten: Einschulungsfeier in der Grundschule im Panketal in Berlin-Karow.

© Jörg Carstensen/dpa

Berlin. Die Bewältigung der Coronavirus-Pandemie lastet zu einem großen Teil auch auf den Schultern der Mitarbeiter in Gesundheitsämtern. Viele wichtige Aufgaben konnten deshalb seit dem vergangenen Jahr nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden.

Im Gesundheitsausschuss berichtete die Amtsärztin des Bezirks Spandau, Gudrun Widders, von den katastrophalen Zuständen in den Ämtern. „Die Bewältigung der Pandemie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Dementsprechend müssen die Gesundheitsämter bei ihrer Arbeit unterstützt werden“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes der Länder Brandenburg und Berlin, der „Ärzte Zeitung“.

Seit März 2020 würden die Mitarbeiter der Berliner Gesundheitsämter, insbesondere das Stammpersonal, unter einer enormen Corona-bedingten Belastung stehen: Sie müssen an Wochenende arbeiten und haben sehr viele Überstunden. „Das geht auf die Knochen und an die Substanz“, sagt Widders, die Leiterin des Gesundheitsamtes im Bezirksamt Spandau ist.

Nicht zu Einschulungsuntersuchungen gekommen

Vielen Kernaufgaben können die Gesundheitsämter aufgrund der Corona-Kontaktnachverfolgung nicht mehr nachkommen. „Einschulungsuntersuchungen haben im vergangenen Jahr gar nicht stattgefunden, weil wir nicht dazu gekommen sind“, sagt Widders.

Genauso eingeschränkt oder gar nicht praktiziert werden konnten erste Hausbesuche bei Neugeborenen, präventive Routine-Arbeit im Kinderschutz, zahnärztliche Untersuchungen, die Begehung von Einrichtungen zur Qualitätssicherung von Hygiene- und Schutzregeln, die Beratungsstellen für behinderte und chronisch kranke Menschen oder die Überwachung der Trinkwasser und Badegewässer. „In einigen Einrichtungen waren wir zwar, allerdings nur, weil es dort einen Corona-Ausbruch gegeben hat“, so Widders.

Folgen nicht absehbar

Die Folgen der vernachlässigten Arbeit der Gesundheitsämter seien zwar noch nicht absehbar, dennoch seien die Auswirkungen der Pandemie bereits spürbar. „Die Isolierung der Menschen durch die notwendigen Maßnahmen wird sich vor allem auf den Bereich der Sozialpsychiatrie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie auswirken. Da werden wir künftig deutlich mehr zu tun haben“, erklärt Widders, „ebenso in den Beratungsstellen für behinderte und chronisch kranke Menschen“. Reguläre Begehungen von Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen konnten nicht mehr stattfinden.

Das findet unter anderem der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin, Florian Kluckert besorgniserregend und fordert eine Entlastung der Gesundheitsämter. „Der Senat muss ein zentrales Gesundheits-Callcenter für die Kontaktnachverfolgung einrichten“, sagt er auf Nachfrage der „Ärzte Zeitung“.

Mit mehr Personal könnten dann womöglich Daten ausgewertet werden, die Aufschluss darüber geben, wo sich die Menschen mit COVID-19 infizieren.

Entlastung der Gesundheitsämter geboten

„Wir brauchen generell unabhängige Strukturen in Form eines Pandemie-Stabs oder -Managements, in dem qualifiziertes Wissen und Erfahrung gebündelt sind. Das kann nicht irgendwer, sondern nur qualifiziertes Personal, welches ad hoc Menschen mobilisieren kann, damit die Arbeit der Gesundheitsämter weiterlaufen kann“, sagt die Amtsärztin.

Dies gleicht sich mit einer Forderung des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des ÖGD Anfang Januar. Neben der Schaffung eines Pandemie-Managements sei für den Verband auch „die Nutzung einer einheitlichen Software unbedingt erforderlich“. Doch gegen die Etablierung der einheitlichen Kontaktnachverfolgungs-Softwäre SORMAS gibt es teilweise Widerstand in den Ländern.

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