Debatte um Kostenerstattung, nächste Runde

Kostenerstattung ist sinnvoll, sagt der Bayerische Fachärzteverband - allerdings nur dann, wenn sie für Haus- und Fachärzte und auch für Kliniken gleichermaßen eingeführt wird. Eine Option für Fachärzte allein könne es nicht geben.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Arzt stellt Rechnung aus, Patient bezahlt - die Kostenerstattung bleibt ein Dauerbrenner.

Arzt stellt Rechnung aus, Patient bezahlt - die Kostenerstattung bleibt ein Dauerbrenner.

© Robert Emprechtinger / fotolia.com

MÜNCHEN. Der Bayerische Facharztverband (BFAV) hat seine Vorstellungen zur Kostenerstattung präzisiert. Der Verband reagierte damit insbesondere auf die Kritik, die die Gemeinschaft Fachärztlicher Berufsverbände Bayern (GFB Bayern) vor kurzem geäußert hatte.

Kostenerstattung sei nur dann sinnvoll, wenn diese für Haus- und Fachärzte und auch für Kliniken eingeführt wird, teilte der BFAV-Vorstand mit.

"Kostenerstattung nur für Fachärzte, während die Hausärzte und Kliniken weiter im Sachleistungssystem bleiben sollen - das wird definitiv nicht kommen", erklärt der Verband. Nur so könne vermieden werden, dass Patienten vom Hausarzt direkt in die Klinik eingewiesen werden.

Das Argument, dass es wegen der Mengensteuerung dennoch einen Budgetdeckel geben müsse, sei "Unsinn", heißt es in den umfangreichen Ausführungen des BFAV-Vorstandes.

"Die Kostenerstattung soll ja gerade bewirken, dass das Budget der Gesamtvergütung überflüssig wird", erläutert der BFAV. Den Kassen müsse vermittelt werden, dass ein "intelligentes" Kostenerstattungssystem nicht zu einer Mengenausweitung führen werde.

Während im Sachleistungssystem für Patienten keine Anreize bestünden, ihr Verhalten der Inanspruchnahme auf ein vernünftiges Maß einzuschränken, erfolge bei der Kostenerstattung die Mengensteuerung über die Patienten selbst. "Dafür gibt es gute sozial abgefederte Modelle, die keinen Patienten überfordern", betont der BFAV.

Mit seinem Konzept verfolge der Verband das Ziel, "den selbstständigen Praxen eine faire Überlebenschance in der ambulanten Versorgung zu sichern", heißt es in den Ausführungen. Am besten gehe das über die Kostenerstattung mit festen Preisen und einem direkten Vertragsverhältnis mit den Patienten.

Das schließe Pauschalen etwa in der hausärztlichen oder auch in der psychiatrischen Versorgung nicht aus. Die innerärztlichen Verteilungskämpfe um die Honorartöpfe könnten so überwunden werden.

In einem ersten Schritt sollte den Ärzten de Möglichkeit eingeräumt werden, zwischen Sachleistung und Kostenerstattung zu wählen, schlägt der BFAV vor. Ein solches Modell könnte regional getestet werden.

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Kommentare
Freya Matthiessen 03.04.201122:46 Uhr

Kostenerstattung und andere krankmachende Bedingungen für Patienten - 2. Teil




(1) Korrektur meines Tippfehlers im Kommentar vom 02.04.2011:

FirdapseTM wurde (ganz am) Ende 2009 zugelassen.

http://www.aerztezeitung.de/extras/leserkommentare/?sid=596455&pid=603368


(2) Hier nun ein weiteres) Kostenerstattungs-„Erlebnis“:

Rechnungen mehr als eines Jahres für
KG, Massage, Hausbesuch- bei entsprechender Indikation:

DAK-Berechnung in Euro::

Bruttobetrag.........2.155,00
Eigenanteil............136,16
Leistung...............725,35
Erstattungsbetrag......725,35

Tatsächlich wären bei dieser Rechnung vom Patienten 1.429,65 Euro zu tragen gewesen, zuzüglich, wie immer, 50,-- Euro Verwaltungskosten.

Also erfolgte Nachfrage bei der DAK.

Der Sachbearbeiter erkannte in derselben Minute, dass seine Berechnung falsch war. Am nächsten Tag war eine Nacherstattung von immerhin 746,55 Euro überwiesen!

Bleibt ein Eigenanteil von 683,10 Euro plus 50,00 Euro Verwaltungskosten.

Leider waren vorangegangene Fehlberechnungen zufällig immerzu Ungunsten des Versicherten.

(3) Es wären noch etliche Stress-Situationen für Patienten zu berichten,

z.B. über den Hohn, der zu ertragen ist, wenn der Patient fragt,ob man sich nicht vielleicht auf einen niedrigeren Berechnungssatz einigen könnte, jedoch durchaus höher als der Kassensatz, weil...

Oder die

einer „Gänseliesel-Freundin“, die eigentlich lediglich eine Sachfrage hatte (die der Arzt nicht beantworten konnte, was o.k.ist.) - ein Behandlungsauftrag war nicht nötig und nicht beabsichtigt -, wird so lange genervt, bis sie, erschöpft, es war schon recht spät am Abend, vom Arzt erbetene „3 Tröpfchen“ Urin hinterlässt, weil doch Combur 5 falsche Ergebnisse liefere.

Lt. Rechnung dann seien am selben Abend (!) eine Reihe von Krebstests (!) durchgeführt worden. Nachdem die freundliche Bitte um einen Ergebnisbericht – immerhin handelte es sich um Krebstests, ob erwünscht oder nicht! – über einen längeren Zeitraum nicht beantwortet wurde, folgte die wiederum freundliche Bitte um Kopie der Patientenunterlagen, was zögerlich und unvollständig erfolgte und schließlich bei der Abholung mit übelsten, herausgebrüllten Beschimpfungen gegen die sprachlos gewordene, schockiert schweigende Patientin quittiert wurde, vor anderen anwesenden praxistypisch männlichen Patienten.

Die Strategie der Bitte um „3 Tröpf-CHEN Urin“ erinnert an folgende Werbeaussagen für das Buch „Marketing für Ärzte“ - www.aerztemarketing.net – (Aufruf zuletzt 03.04.2011).

„Wie Sie Ihren bestehenden Kunden weitere Dienstleistungen und Produkte verkaufen und damit bei gleicher Kundenanzahl viel mehr Umsatz machen.“

„Wie Sie die wirklich profitablen Kunden identifizieren und an sich binden“

„Nahezu verbotene Tricks, wie Sie Ihr Geschäft aufpolieren und alle Sinne Ihrer Kunden betören.“

Warum kann ein Arzt nicht einfach zum Patienten sagen:
„Ich habe Hunger, meine Familie wird auch nicht mehr satt. Könnten Sie uns bitte einen angemessenen Betrag spenden?“

Ich werde anregen, dass die Gesetzlichen Kassen ihren Versicherten „Ärzte-Marketing-Abwehr-Kurse“ anbieten.

Freya Matthiessen

Freya Matthiessen 02.04.201121:58 Uhr

Kostenerstattung und andere krankmachende Bedingungen für Patienten


Patient ausgeliefert (?), irritiert, gestresst in der Mangel von

(1) Pharma-Gier:
Siehe Beispiel weiter unten: Freie Preisfestsetzung dank Orphan Drug Gesetzgebung.

(2) GKV:Trickserei
z.B. bei KE von Medikamenten.

(3) Ärzte-Gewissenlosigkeit,
der Ärzte, die in kostspieligen „Management-Optimierungskursen“ gelernt haben,
wie man den Patienten zu lukrativen Arzt-Leistungen überredet und die nun dafür Bares auch noch für Leistungen aus dem GKV-Katalog vom Patienten fordern wollen:

Besonders eignen sich da natürlich Menschen im Schockzustand nach Unfall oder Gewaltverbrechen, Schwerkranke allegemein, Demente...

Ich schlage zur Heilung dieser ärztlichen Gewissenlosigkeit vor, dass finanziell absolut Unbemittelte mit gutem Auftreten und noch gutem Äußeren sich gründlichst untersuchen und umfassend behandeln lassen. Können diese Menschen ohne öffentlichen Skandal ins Gefängnis geschickt werden, wenn sie zahlungsunfähig sind? Wenn der Doktor doch die Behandlung(en) für dringend notwendig erachtet hatte?

Hier nun ein praktisches Beispiel zu (1) und (2):
Die Patientin ist bei der DAK versichert und hat Kostenerstattung gewählt.

„FirdapseTM“ von BioMarin - Orphan Drug,
verschreibungspflichtig, Von der Europäischen Union Ende 2010 zugelassen zur symptomatischen Behandlung des Lambert-Eaton-Syndroms:


Patientin zahlt in der Apotheke: 2.917,00 Euro - Die Dosis reicht für 2-3 Wochen.
(Der Preis gilt für „Privat“ und „Kasse“)
Der Patient bleibt „sitzen“ auf 661,00 Euro
plus Verwaltungskostenabschlag 50,00 Euro!

Original-Kostenerstattungsberechnung der DAK:
Leistung 2.296,00
[ohne KE-Vertrag würden erstattet: 2.917,00!!
Eigenanteil 10,00
Erstattungsbetrag 2,256,24
[abzüglich Verwaltungskosten 50 Euro]

BioMarin kaufte die Lizenz für den Alleinvertrieb dieses Medikaments auf 10 Jahre von einer anderen Firma, die wiederum hatte....

Kostensteigerungsweg ohne Nutzen für den Patienten:

AGEPS-EPHP (stellte Antrag bei der EU) - OPi / EUSA ("Nelsyn"= rd. 300,00 Euro) - Huxley ("Zenas")- BioMarin "Zenas“, umbenannte in Firdapse

Keine der Firmen führte Studien durch.

Das Arzneimittel kostete vorher als Individualrezeptur (Steckkapseln) 200 Euro.
Firdapse enthält denselben (und einzigen) Wirkstoff: Amifampridin (3,4-DAP).

Weitere Informationen:

http://lems-mg.de/firdapsetm-eu-schlupfloch-fuer-legale-preistricks-preisvergleiche-unkorrekte-fachinfos/

http://www.lambert-eaton-syndrom.info/firdapse-tm-die-eine-seite/

http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=7623342/mpdid=7802086/7dmuq3/index.html

http://www.youtube.com/watch?v=oWBDG2SzuDs&feature=player_detailpage#t=7s

Freya Matthiessen

Peter Friemelt 31.03.201109:50 Uhr

Kostenerstattung für Patienten nicht nachvollziehbar

Die schwarzgelbe Koalition hat in der Gesundheitsreform 2011 erhebliche Erleichterungen für die Wahl der Kostenerstattung beschlossen. Nur: welcher Patient sollte aus welchen Gründen Kostenerstattung wählen?
Die Reform der Kostenerstattung reicht dem BFAV nicht. Nachdem die renitenten, unvernünftigen Patienten die Segnungen der Kostenerstattung nicht freiwillig wählen, möchte der BFAV die Wahl der Kostenerstattung den Ärzten überlassen. Das sieht das derzeitige Regelwerk aber nicht vor.

Kostenerstattung hat fast ausschließlich Vorteile für Ärzte. Wenn man den Kommentar von Dr. Schätzler liest, sollten auch die Ärzte vorsichtig mit dieser Wahl umgehen.
Die Anhänger der Kostenerstattung wollen für ihre Berufsgruppe Änderungen auf dem Rücken der Patienten durchsetzen.
Es muss aber vielmehr darum gehen, dass es generell eine angemessene Honorierung der Kassenärzte gibt. Das Geld im System muss gerechter verteilt werden. Die Bedarfsplanung muss reformiert werden. Der ländliche Raum muss besonders gefördert werden.
Und der Wert und die ganz spezielle Art und Weise des solidarischen Gesundheitswesens müssen in der Öffentlichkeit, bei Ärzten, Patienten und Politik, offen diskutiert werden.

Das eigentliche Problem der Kostenerstattungsfreaks ist: Die gesetzliche Krankenkasse ist nicht die private Versicherung.

Peter Friemelt, München

Dr. Thomas Georg Schätzler 31.03.201108:36 Uhr

Hase und Igel 1

Seit über 35 Jahren gibt es die vergebliche, nutzlose Diskussion um Kostenerstattung in der GKV. Der Hase ist der höheren Honorar Hoffnungen hinter her hechelnde Haus- oder Facharzt (hHHhhhHoF) und der Igel ist die Kostenerstattung ("ick bün all da!"), mal hier, mal da, aber niemals zu fassen, Igelfrau oder Igelmann eben.

Aber im Ernst, Kostenerstattung, wie auch Selbstzahlpflicht oder Wahltarife können aus rechtlichen und verfassungsmäßigen Gründen n i c h t funktionieren (vgl. Editorial Dr. med. Thomas G. Schätzler in ''Der Allgemeinarzt'' 32.Jhrg., 18/2010, S. 3, Nov. 2010):

1. haben GKV-Versicherte die Behandlungskosten in Klinik und Praxis durch ihre Krankenkassenbeiträge vorfinanziert (Sachleistungsprinzip).
2. bekommen Schwerstkranke und Multimorbide Mehrkosten durch Beiträge von gesunden GKV-Versicherten ausgeglichen (Solidaritätsprinzip).
3. springen Staat und Steuerzahler ein, wenn bei Azubis, Studenten, Rentnern und Niedriglohngruppen Beiträge nicht ausreichen bzw. bei beitragsfrei gestellten Familienmitgliedern oder Zahlungsunfähigen gar nicht fließen (Subsidiaritätsprinzip).
4. genießt Jeder, der GKV-Beiträge bezahlt, den durch die Verfassung verbrieften Bestandsschutz (Legalitätsprinzip).
5. akzeptiert das Bundesverfassungsgericht Steuerungsmechanismen durch Praxis- und Verordnungsblattgebühr bzw. angemessene Selbstbeteiligung (Verhältnismäßigkeitsprinzip).
6. dürfen Arzthonorare für g l e i c h e ärztliche Leistungen über das Sachleistungsprinzip sich im Grundsatz n i c h t vom Zahlungsumfang der Selbstzahlpflicht, Wahltarife und Kostenerstattung unterscheiden (Gleichheitsprinzip).
7. führen Vorleistungen durch GKV-Beiträge und zusätzliche Arztrechnungen bei gesetzlichen Krankenkassen zu explodierender Bürokratie und bei Patienten zu einem unvertretbaren Aufwand. Das bestehende Sozialgesetzbuch wird verfassungswidrig ausgehöhlt (Verfassungsmäßigkeitsprinzip).
8. welche Patienten setzen sich nach Feierabend hin, sortieren, ver- und begleichen (hoffentlich fristgerecht) Arztrechnungen diverser Fachrichtungen auch für minderjährige Kinder und hoch betagte Eltern/Großeltern? Wie sollen Senioren und greise Patientinnen und Patienten, evtl. dement, teilerblindet oder orientierungsgemindert, mit diesen Rechnungen fertig werden (Menschlichkeitsprinzip)?
9. sollen wir Ärzte neben unserer Arbeit an und mit den Patienten jedes Jahr noch Zigtausende von Rechnungen über die GOÄ Einfachsätze schreiben und den Zahlungsverkehr überwachen (Effizienzprinzip)?

Freundliche, kollegiale Grüße, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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