Europäischer Rechnungshof

EU-Lebensmittelkennzeichnung: Zuckerbombe oder High-Protein-Produkt?

Verbraucher verunsichert: Der EU mangelt es an einer harmonisierten Lebensmittelkennzeichnung, so der Europäische Rechnungshof. Am Montag stellte er einen Bericht mit Handlungsempfehlungen vor.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
In Deutschland setzt die Bundesregierung auf den Nutri-Score zur Lebensmittelkennzeichnung. Verbrauchern soll so Orientierung gegeben werden, wie „gesund“ das betreffende Produkt ist. Die Info kann aber auch für Verwirrung sorgen, meint der Europäische Rechnungshof.

In Deutschland setzt die Bundesregierung auf den Nutri-Score zur Lebensmittelkennzeichnung. Verbrauchern soll so Orientierung gegeben werden, wie „gesund“ das betreffende Produkt ist. Die Info kann aber auch für Verwirrung sorgen, meint der Europäische Rechnungshof.

© Markus Mainka/picture alliance

Luxemburg. Informationen zum Salz-, Fett- und Zuckergehalt von Lebensmitteln vermögen Verbrauchern eine Orientierung zu geben, wie sie sich gesünder ernähren können. Und wie sie somit zum Beispiel das persönliche Risiko für Krebs, koronare Herzkrankheit, Adipositas oder auch das metabolische Syndrom verringern könnten. Das konzediert der Europäische Rechnungshof (European Court of Auditors, ECA) in einem am Montag in Luxemburg vorgestellten Sonderbericht. Dafür hat er unter anderem die verschiedenen Lebensmittelkennzeichnungen in der EU unter die Lupe genommen. Vielsagender Titel des Berichtes: „Lebensmittelkennzeichnung in der EU – Verbraucher können vor lauter Informationen den Überblick verlieren.“

Insgesamt kommt der Rechnungshof in seinem Bericht „zu dem Schluss, dass die Lebensmittelkennzeichnung in der EU den Verbrauchern helfen kann, beim Kauf von Lebensmitteln fundiertere Entscheidungen zu treffen, es jedoch beträchtliche Lücken im EU-Rechtsrahmen sowie Schwachstellen bei der Überwachung, Berichterstattung, den Kontrollsystemen und im Hinblick auf Sanktionen gibt“. Das führe dazu, dass die Verbraucher mit Etiketten konfrontiert seien, „die verwirrend oder irreführend sein können oder die sie nicht immer verstehen“, heißt es weiter. „Der ECA ist aber nicht in der Position, eine Kennzeichnung wie zum Beispiel den Nutri-Score, als bevorzugt zu empfehlen“, stellte Keit Pentus-Rosimannus auf Nachfrage der Ärzte Zeitung klar. Sie ist in diesem Falle das für die Prüfung zuständige ECA-Mitglied.

„Käufer müssen Lebensmitteletiketten entschlüsseln“

Oft sollten die Lebensmittelkennzeichnungen auch durch die Betonung angeblicher Vorteile wie „gesund“, „Bio“ oder „glutenfrei“ die betreffenden Produkte für Verbraucher attraktiver machen, betonen die Autoren im Bericht. Die EU-Vorschriften stellten nach Einschätzung der Prüfer zwar sicher, dass die Etiketten grundlegende Informationen für die Konsumenten enthielten. Das sei ein guter Ausgangspunkt.

Pentus-Rosimannus bringt die Problematik für Verbraucher beim Einkauf oder der Online-Bestellung auf den Punkt: „Anstatt Klarheit zu schaffen, führen Lebensmitteletiketten oft zu Verwirrung; es gibt Hunderte verschiedene Kennzeichnungssysteme, Logos und Werbeversprechen, die die Käufer entschlüsseln müssen.“

Wie die Prüfer ergänzen, könnten die noch lückenhaften EU-Rechtsvorschriften der Täuschung der Verbraucher Vorschub leisten. So ermöglichten es die EU-Vorschriften, selbst auf Produkten mit hohem Fett-, Zucker- oder Salzgehalt nährwert- und gesundheitsbezogene Vorteile hervorzuheben.

EU-Kommission ohne Durchblick?

Beispielsweise könnten Produkte wie Energieriegel, die zum Teil zu 30 Prozent aus Zucker bestünden, als High-Protein-Produkte beworben werden. Auch würden Verbraucher zunehmend mit von keinerlei Vorschriften regulierten Angaben zu angeblich gesundheitsfördernden Eigenschaften pflanzlicher Stoffe konfrontiert. Dazu gehörten Aussagen der Art „setzt neue Energien frei“ oder „verbessert die körperliche Leistung“, auch wenn diese wissenschaftlich nicht belegt seien.

Hier bedürfe es, so der ECA, dringender Harmonisierung in der EU. Denn: „Die Marktregulierung hat nicht mit der rasanten Marktentwicklung Schritt gehalten“, so die Estin Pentus-Rosimannus. Zudem habe die EU-Kommission keinen wirklichen Überblick über die Lebensmittelkennzeichnung (LKZ) und deren Überwachung innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Besonders kritisch sei die nicht existente Regulierung des Online-Verkaufsgeschehens, wenn der Anbieter der Website seinen Sitz außerhalb der EU habe.

Rechtsakt zu Allergenkennzeichnung noch ausstehend

Laut Bericht sind sieben von elf geplanten Aktualisierungen des Rechtsrahmens, die in der Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) und der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben festgelegt sind, noch nicht abgeschlossen. So stehe im Zuge der LKZ zum Beispiel noch immer ein avisierter Durchführungsrechtsakt zur vorsorglichen Allergenkennzeichnung aus. Wie Pentus-Rosimannus in der Pressekonferenz monierte, „ist die hier fehlende Harmonisierung angesichts der zunehmenden Prävalenz von Allergien in Europa ein drängendes Thema.“

Spannend bleibt die Frage, ob und wie der designierte EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi die unter dem Dach des EU-Krebsplans seitens der Kommission initiierte, obligatorische Kennzeichnung alkoholischer Getränke , die zur Krebsprävention beitragen soll, vorantreiben kann.

Im Rahmen seiner Anhörung versprach er, die Themen Tabak und Alkohol mit einem „bereichsübergreifenden Konzept für die lebenslange Prävention“ anzugehen. Das EU-Parlament hatte im Februar 2022 Änderungsanträge zum Bericht des Sonderausschusses zur Krebsbekämpfung (BECA) angenommen – und im Zuge dessen den Antrag, große Warnetiketten auf Alkoholika zu platzieren, nicht angenommen .

In Ermangelung harmonisierter Vorschriften auf EU-Ebene haben laut ECA-Sonderbericht einige Mitgliedstaaten bereits damit begonnen, eigene Initiativen zur Kennzeichnung alkoholischer Getränke umzusetzen, was den gleichberechtigten Zugang der Verbraucher zu einigen lebensmittelbezogenen Informationen in der EU behindere. Auf Nachfrage versicherte Pentus-Rosimannus, ihre Erkenntnisse zur LKZ mit Várhelyi teilen zu wollen. Da der Europäische Rechnungshof dafür nicht zuständig sei, müsse am Ende Várhelyi aber die Initiative ergreifen.

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