Pädiater melden
Immer mehr Kinder mit Verhaltensstörungen
Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten steigt. Die Pädiater nehmen in erheblichem Maße soziale Probleme des Nachwuchses wahr und sehen Handlungsbedarf.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Verhaltensauffälligkeiten steigt nach Angaben von Dr. Martin Lang, Vorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Bayern, seit Jahren.
Immer häufiger spielen dabei als Ursache auch belastende Lebensumstände im familiären Bereich oder im sozialen Umfeld eine Rolle, berichtete Lang bei einer Fachtagung des BKK-Landesverbandes Bayern.
Der soziale Wandel, die Zunahme Alleinerziehender und von Patchwork-Familien sowie der hohe Medienkonsum trage sicher dazu bei, dass immer mehr Kinder und Jugendliche verhaltensauffällig werden. In den Praxen der Kinder- und Jugendärzte sind Verhaltensstörungen mit einem Anteil von über zehn Prozent nach Husten und Fieber inzwischen der dritthäufigste Beratungs- und Behandlungsanlass, berichtete Lang.
Um den betroffenen Eltern und Familien Hilfen anbieten zu können, habe der Berufsverband zusammen mit den BKKen ein spezielles Behandlungsangebot mit Sprechstunden bei Verhaltensauffälligkeiten entwickelt.
Die Themenfelder reichen dabei von Angststörungen über chronische Bauch- oder Kopfschmerzen bis hin zu Aufmerksamkeitsstörungen oder Enuresis.
Um eine einheitliche Qualität in den "Starke-Kids"-Therapiesprechstunden zu gewährleisten wurde ein Handlungsleitfaden für die sozialpädiatrische Sprechstunde mit zahlreichen Arbeitsmaterialien und Checklisten für verschiedene Verhaltensauffälligkeiten entwickelt, berichtete Lang.
Ziel sei eine ganzheitliche Betrachtung der körperlichen, psychischen und sozialen Situation des Kindes und Jugendlichen.
Gezielte Arbeit mit Familien kann helfen
Das Konzept, das Behandlungsabläufe systematisieren soll, um so Zeit zu sparen, berücksichtige alle für das jeweilige Störungsbild relevanten Bereiche vom Entwicklungsstand des Kindes und dem körperlichen und neurologischen Status über die psychische Situation und die sozialen Umstände bis hin zu den Ursachen der Störung und das Ausmaß der Beeinträchtigung im Alltag, erläuterte Lang.
Auch die "Bindungsstellen" zu spezialisierten Versorgern wie etwa Kinder- und Jugendpsychiater seien definiert.Unterdessen hat eine eine Studie ergeben, dass Ärzte soziale Probleme von Kindern und Jugendlichen in erheblichem Maße wahrnehmen und Handlungsbedarf sehen. Am meisten versprechen sie sich von einer gezielten Arbeit mit den Familien (frühe Hilfen) und der Sozialarbeit.
Zu diesen Ergebnissen kommt die Untersuchung Ärzte im Gesundheitsmarkt, für die im Auftrag der Hamburger Stiftung Gesundheit niedergelassene und leitende Klinikärzte bundesweit befragt werden. Von 667 antwortenden Ärzten unterschiedlicher Fachgruppen behandeln über 55 Prozent regelmäßig Minderjährige.
Aus dieser Arztgruppe sehen rund 44 Prozent soziale Probleme mindestens in einem signifikanten Anteil bei ihren Patienten. Neun Prozent sehen diese Probleme sogar bei mehr als der Hälfte ihrer Patienten. Die Studienautoren von der Gesellschaft für Gesundheitsmarktanalyse sprechen von einem "deutlichen Alarmsignal".
Die Befragung bestätigt, dass Ärzte eine wichtige Rolle als Anlaufstelle für die Probleme von Kindern und Jugendlichen spielen, sich aber nicht in der Lage sehen, die sozialen Probleme allein zu lösen. Über 70 Prozent sehen Handlungsbedarf durch gezielte Arbeit mit den Familien und über die Hälfte durch Sozialarbeit.
Polizeiliche und strafrechtliche Arbeit oder gezielte ökonomische Anreize (etwa Geld für regelmäßigen Schulbesuch) halten weniger als 15 Prozent für angebracht. Rund 40 Prozent der Ärzte sprachen sich für stärkere Verpflichtungen der Kinder und Jugendlichen etwa durch Arbeitseinsätze aus, rund 27 Prozent für eine gezielte psychiatrische Behandlung. (sto/di)