KBV-Versichertenbefragung
Jeder Zweite wartet bis zu drei Wochen auf den Facharzt
Die Ressource Arzt wird laut KBV-Versichertenbefragung knapper – das spiegelt sich auch in den Wartezeiten wider. Und: Jungen Ärzten wird die Work-Life-Balance immer wichtiger. Die Patienten haben dafür oft wenig Verständnis.
Veröffentlicht:BERLIN. Etwa jeder zweite Krankenversicherte in Deutschland muss bis zu drei Wochen oder länger auf einen Termin beim Facharzt warten. Längere Wartezeiten auf einen Hauarzttermin gibt es dagegen deutlich seltener. Nur etwa jeder zehnte Versicherte muss drei Wochen oder länger ausharren, um ein Gespräch beim Allgemeinmediziner zu bekommen.
Das geht aus der aktuellen Versichertenbefragung im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) hervor, die am Freitag vor Journalisten in Berlin vorgestellt wurde. Die Forschungsgruppe Wahlen befragte für die Studie von Mitte März bis Ende April 2019 mehr als 6100 Versicherte im Alter ab 18 Jahren.
Der Vorstandsvorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, hob zugleich hervor, dass 29 Prozent der gesetzlich und 30 Prozent der privat Versicherten laut Befragung bei ihrem letzten Arztbesuch „überhaupt keine Wartezeit“ hätten in Kauf nehmen müssen.
Gassen: „Arztzeit wird immer knapper“
Jeder vierte gesetzlich Versicherte habe binnen einer Woche oder sogar schon nach einem Tag einen Termin erhalten. Bei den privat Versicherten sei es jeder dritte gewesen.Die Wartezeiten hätten sich im Laufe der Jahre angeglichen, so Gassen.
Das liege vor allem daran, so Gassen, dass auch privat Krankenversicherte häufiger als früher längere Wartezeiten hinnehmen müssten. „Der Grund ist simpel: Arztzeit wird immer knapper.“
In Deutschland gebe es einen „nahezu barrierefreien Zugang zu ärztlichen Leistungen“, sagte Gassen. Das Ganze finde ohne Steuerung bei gleichzeitig steigendem medizinischen Bedarf statt. Das führe „zwangsläufig zu einer höheren Nachfrage“ ambulanter ärztlicher Leistungen.
Die Frage der Dringlichkeit
Dabei sei es wichtig, bei der Dringlichkeit von Terminen zu unterscheiden, betonte Gassen. „Auf eine routinemäßige Vorsorgeuntersuchung muss ich als Patient im Zweifel tatsächlich länger warten als wenn ich eine Grippe habe.“
Das Gros der Bevölkerung wertet das aber offensichtlich anders. Erstmals fragten die Meinungsforscher im Rahmen der Versichertenbefragung auch danach, wie dringend Versicherte selbst ihren letzten Arztbesuch einschätzen.
Ergebnis: Zwei Drittel stuften diesen als dringend oder sehr dringend ein – unabhängig davon, aus welchem Grund er erfolgte. Auch Anlässe wie eine Vorsorgeuntersuchung oder eine Impfung empfanden 36 Prozent der Befragten als eilig oder sehr eilig.
„Die ‚gefühlte‘ Dringlichkeit ist in vielen Fällen höher als die tatsächliche – auch wenn das aus medizinischer Sicht nicht angebracht ist“, kommentierte Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandschef der KBV, dieses Ergebnis der Befragung.
Über ein Viertel sagt, es gibt nicht genügend Hausärzte in Wohnortnähe
Die Versicherten wurden auch befragt, wie sie die Versorgungssituation mit Haus- und Fachärzten einschätzen. Dabei ist in den vergangenen zwei Jahren der Anteil derjenigen, die angeben, nicht genügend viele Hausärzte in Wohnortnähe zu haben, laut Befragung von 22 Prozent auf 27 Prozent gestiegen. Mit Blick auf die Fachärzte stieg der Anteil von 43 auf 44 Prozent.
„Obwohl die Arztzahlen absolut gesehen steigen, führt dies nicht automatisch zu einer besseren Versorgungssituation“, sagte KBV-Vize Hofmeister. Eine Begründung: Jüngere Ärzte bevorzugten vermehrt Angestelltenverhältnisse und Teilzeitarbeit. „Das hat Auswirkungen auf ihre Verfügbarkeit in der Praxis“, so Hofmeister.
Die Situation könne sich in Zukunft noch verschärfen, warnte der KBV-Vize. „Die große Ruhestandswelle bei den jetzigen Praxisinhabern steht uns erst noch bevor.“
Die Versichertenbefragung zeigt auch: Das Vertrauen der Patienten in die ambulant tätigen Ärzte ist weiterhin hoch. 91 Prozent der Patienten geben an, ein gutes oder sehr gutes Vertrauensverhältnis zu ihrem behandelnden Arzt zu haben. „Ganz gleich, welches Bild die Politik von der ambulanten Versorgung in Deutschland zeichnet, das Vertrauen der Versicherten in ihre Ärzte kann das nicht erschüttern“, sagte KVB-Chef Gassen dazu.
Das hindere „einige Leute“ freilich nicht daran, „gebetsmühlenartig“ die Behauptung vorzutragen, dass gesetzlich Versicherte zu lange auf Termine warten müssten. Flankiert werde das dann mitunter mit der Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung.
Das „positive Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten“ spiegelt sich laut KBV auch in der Beurteilung von Videosprechstunden seitens der Versicherten wider. 62 Prozent lehnen diese laut Studie für sich selbst ab.
Persönlicher Arztkontakt schlägt Videosprechstunde
„Die meisten Menschen wünschen sich den persönlichen Kontakt zu ihrem Arzt und stehen einer Fernbehandlung oder auch nur Fernberatung skeptisch gegenüber“, sagte Dr. Thomas Kriedel, Mitglied des KBV-Vorstands. 72 Prozent derjenigen, die eine Videosprechstunde ablehnten, nannten als wichtigsten Grund, einen direkten Kontakt zum Arzt zu bevorzugen.
Freilich: Bislang werden Videosprechstunden in Deutschland nur vereinzelt angeboten. Ob ein größeres Angebot an entsprechender digitaler ärztlicher Hilfe auch eine breitere Akzeptanz nach sich ziehen würde, bleibt offen.
Auch ein weiteres Ergebnis der Befragung lässt aufhorchen – vor allem vor dem Hintergrund der von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geplanten Reform der Notfallversorgung: So wenden sich 42 Prozent der Befragten an die Notaufnahme im Krankenhaus, wenn sie nachts oder am Wochenende ärztliche Hilfe benötigen. 26 Prozent der Versicherten nehmen in diesem Fall den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst in Anspruch.
Die Versichertenbefragung im Auftrag der KBV wird seit 2006 regelmäßig von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführt.