Studie
Jugendliche haben keine Lust mehr auf Komasaufen
Komasaufen - ein beunruhigender Trend unter Jugendlichen. Lange war die Zahl der Klinikeinweisungen wegen Alkoholvergiftung hoch. Die Krankenkasse KKH stellt fest: Das hat sich geändert – massiv.
Veröffentlicht:Hannover. Über Jahre sorgen immer wieder Fälle von Komasaufen unter Kindern und Jugendlichen für Aufsehen – jetzt haben sie offensichtlich keine Lust mehr darauf. Nach einer Studie der Kaufmännischen Krankenkasse KKH ist die Zahl der Alkoholvergiftungen unter den 12- bis 18-Jährigen 2022 auf ein Rekordtief gesunken.
In dem Jahr seien bundesweit hochgerechnet rund 10.680 Kinder und Jugendliche der Altersgruppe wegen einer akuten Alkoholvergiftung in einer Klinik behandelt worden, teilte die Krankenversicherung mit. Das seien fünf Prozent weniger als 2021 – und sogar 13 Prozent weniger als 2020. Und im Vergleich mit dem Vor-Corona-Jahr 2019 mit rund 17.950 Betroffenen sank die Zahl um immerhin 40,5 Prozent. Damit gaben die Fallzahlen bei stationär behandeltem Alkoholkonsum von Heranwachsenden nicht nur das dritte Jahr in Folge nach, sondern erreichten auch den niedrigsten Stand seit der ersten Erhebung von 2006. Die meisten jugendlichen Rauschtrinker mit Alkoholvergiftung, nämlich hochgerechnet rund 22.260 Fälle, registrierte die Krankenkasse 2012.
Erfreulicher Trend, aber Vorsicht bleibt geboten
Die Krankenkasse wertete den Angaben zufolge Daten der eigenen 12 bis 18 Jahre alten Versicherten zur stationären Behandlung einer akuten Alkoholvergiftung aus – und rechnete die Ergebnisse mithilfe von Zahlen des Statistischen Bundesamtes auf die bundesweite Bevölkerungszahl dieser Altersgruppe hoch.
Das heißt: Nach den Daten der eigenen Versicherten der Kasse lag der Anteil aller Betroffenen einer stationär behandelten Alkoholvergiftung 2022 bei knapp 0,07 Prozent. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung von über 84 Millionen Menschen sind das über 58.000. Der Anteil der 12- bis 18-Jährigen daran lag laut der Ergebnisse bei den eigenen Versicherten bei knapp 18,4 Prozent – so kam die Kasse auf die bundesweit rund 10.680 Fälle, unter den eigenen Versicherten waren es 212. Die KKH zählt nach eigenen Angaben mit rund 1,6 Millionen Versicherten zu den größten bundesweiten Krankenkassen.
Im Vor-Corona-Jahr 2019 lag der Anteil der Jugendlichen unter den Betroffenen der Studie zufolge noch bei über 22 Prozent, 2008 und 2009 sogar bei gut 26 Prozent, zu Beginn der Erhebung im Jahr 2006 waren es über 24 Prozent. Als Rauschtrinken definiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Konsum von mindestens fünf alkoholischen Getränken bei etwa einer Party.
In Deutschland wird vergleichsweise viel Alkohol getrunken
„Es ist sehr erfreulich, dass offenbar immer weniger Jugendliche ihr Limit in Sachen Alkohol derart überschreiten“, sagte die KKH-Psychologin Franziska Klemm. Grund zur Entwarnung gebe es aber dennoch nicht, denn die Zahlen blieben besorgniserregend: „Jeder Jugendliche mit einer akuten Alkoholvergiftung ist einer zu viel“, betonte sie.
Beim Rauschtrinken, Komasaufen oder Binge-Drinking spielten oft soziale Motive und Gruppendruck eine Rolle. Außerdem wird Alkohol in der Gesellschaft ihren Worten zufolge immer noch verharmlost – schließlich mache er vermeintlich lustig, bringe gute Laune und vermittele Selbstvertrauen. Beim Hochprozentigen gehe es für Minderjährige aber auch um den Reiz des Verbotenen. Nach früheren Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen wird in Deutschland immer noch deutlich mehr Alkohol getrunken als im weltweiten Durchschnitt. Alkohol als vermeintliches Kulturgut sei gesellschaftlich breit akzeptiert.
Zu Jahresbeginn hatte sich der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, dafür ausgesprochen, dass Jugendliche ab 14 Jahren auch in Begleitung ihrer Eltern keinen Alkohol in der Öffentlichkeit trinken dürfen – was in Deutschland erlaubt ist: „Wenn Kinder und Jugendliche neben ihren Eltern sitzen, ist und bleibt die Wirkung von Alkohol dieselbe und katastrophal in diesem Alter.“ (dpa)