Ambulante Versorgung

Niederlassung in Gefahr? Warum jetzt Kassen und KV gefragt sind

Auslaufmodell Vertragsarzt – damit es nicht so weit kommt, muss die Selbstverwaltung dringend die Rahmenbedingungen für Praxen verbessern, inklusive EBM-Reform. Das forderte beim BDI-Hauptstadtforum auch ein Kassenvertreter.

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Versorgung in der hausärztlichen Praxis – bald ein eher seltener Anblick? Immer lauter werden die Rufe der Niedergelassenen nach besseren Rahmenbedingungen für die Arbeit der Praxisteams.

Versorgung in der hausärztlichen Praxis – bald ein eher seltener Anblick? Immer lauter werden die Rufe der Niedergelassenen nach besseren Rahmenbedingungen für die Arbeit der Praxisteams.

© Monika Skolimowska / dpa / picture alliance

Berlin. Personalmangel, überbordende Bürokratie und das Gefühl, in Sachen Finanzierung und Inflationslast im Vergleich zu den Krankenhäusern von der Politik abgehängt zu werden: der Frust innerhalb der Vertragsärzteschaft ist groß. Aber sind Vertragsärztinnen und -ärzte tatsächlich ein Auslaufmodell?

Sie habe in den letzten zwei Quartalen eine Auszahlungsquote von 75 Prozent gehabt, sagte die Hamburger Hausärztin Dr. Jana Husemann beim Hauptstadtforum des Berufsverbandes Deutscher Internistinnen und Internisten (BDI). „Damit kann man eine Praxis nicht wirtschaftlich führen“, so Husemann, die 1. Vorsitzende des Hausärzteverbands in Hamburg ist. Das sieht der BDI ähnlich, er fordert in einem am Freitag veröffentlichten Positionspapier zum Erhalt und der Förderung der vertragsärztlichen Versorgung, dass die angekündigte Entbudgetierung der Hausärzte auch schnellstmöglich umgesetzt wird. Gleichzeitig müsse der Budgetdeckel im fachärztlichen Bereich fallen, wenn die Vertragsärzte weiterhin ein wichtiger Pfeiler der Versorgung sein sollen, so die Internisten. Dem müsse sich eine umfassende EBM-Reform anschließen.

Die Ampel hat mit dem Entwurf für ein Versorgungsstärkungsgesetz (GVSG) die Entbudgetierung auf den Weg gebracht – allerdings nur für die Hausärztinnen und Hausärzte. Dem vorausgegangen war die Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte. Das GVSG befindet sich derzeit in der parlamentarischen Beratung.

Ein Update für den Kollektivvertrag?

Dass das Honorarsystem im ambulanten Bereich längst nicht mehr der Versorgungsrealität entspricht, kritisierte auch Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK-Dachverbandes. „Wir müssen darüber nachdenken, wie honorieren wir die Praxis und nicht mehr den einzelnen Arzt“, forderte er. „Wir brauchen wieder ein einfaches Honorarsystem.“ Knieps sprach sich dafür aus, die guten Erfahrungen aus den Selektivverträgen, insbesondere in Baden-Württemberg zu nutzen und in diese Richtung zu gehen.

Dr. Andreas Köhler, von 2005 bis Februar 2014 KBV-Vorstandsvorsitzender und mittlerweile Ehrenpräsident des Spitzenverbands Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa), würde sogar noch weiter gehen: „Wir müssen mit angestellten Ärzten, MVZ und einer Öffnung der Kliniken für den ambulanten Bereich umgehen, wir müssen neue Lösungen und Allianzen suchen.“ Das aktuell geltende Honorarsystem beruhe noch immer auf dem idealtypischen Bild einer Ärztin, eines Arztes, das man vor rund 30, 20 Jahren gehabt hätte, nämlich der Einzelpraxis ohne Assistenzberufe. „Ich würde all diese Strukturen ins KV-System übernehmen und einen neuen Kollektivvertrag aufsetzen“, sagte er. Denn so könne man dann gemeinsam um die Versorgungsaufgaben und die Verteilung der Honorare diskutieren und streiten.

BDI fordert: Schluss mit dem Hineinregieren

Eine Idee, die Dr. Norbert Smetak, 1. BDI-Vizepräsident so nicht mittragen würde. Zumindest nicht in einer Zeit, in der die Politik zu viel in die Selbstverwaltung hineinregiere und dieser kaum mehr Spielraum für eigene Gestaltung lasse. Im BDI-Positionspapier heißt es daher auch sehr deutlich: „Der BDI fordert ein Ende der staatlichen Eingriffe in die Selbstverwaltung.“ Die Aushöhlung der Selbstverwaltung schwäche die Eigenverantwortung und Motivation der Ärzte, an innovativen Versorgungskonzepten mitzuwirken.

Letztere braucht es dringend, bestätigte Husemann. Die Belastungen im Praxisalltag und die Versorgungsdichte seien derzeit nur über „Schnellkonzepte“ zu stemmen, wie sie es nannte. Das seien die Teampraxis, ein Konzept, das neben dem Hausärzteverband längst auch KVen unterstützen, der Einsatz von VERAH und sie selbst beschäftige sogar eine Primary Care Managerin (PCM) in ihrer Praxis. Diese werde natürlich nicht eins-zu-eins finanziert. „Aber da sie Aufgaben übernimmt, um die ich mich sonst kümmern müsste, mich also entlastet, rechnet sich das“, erläuterte Husemann. Die PCM bereite etwa Reha-Anträge vor und kümmere sich um die DMP. „Das macht sie richtig gut“, schob die Hausärztin hinterher.

Mehr ärztliche Kräfte in der hausärztlichen Versorgung seien auf absehbare Zeit ja leider nicht zu erwarten. Der Masterplan 2020, der die hausärztliche Versorgung aus ihrer Sicht tatsächlich gestärkt hätte, werde auch 2024 nicht umgesetzt. Ein Armutszeugnis aus ihrer Sicht. „Wir haben zu wenig Abschlüsse in der Allgemeinmedizin und auch zu wenig Internisten, die in die Hausarztmedizin gehen.“

BKK-Chef Knieps: Es gäbe genügend Spielraum

Dass es in Sachen Honorarsystematik, innovative Versorgungskonzepte und auch der Verzahnung ambulant-stationär keinen Gestaltungsraum für die Selbstverwaltung gebe, wies Knieps beim BDI-Hauptstadtforum deutlich zurück. Die Zeiten, in denen „Mauern da sind“ und man nichts umsetzen könne, seien vorbei. Zwar sei es unter den restriktiven ökonomischen Bedingungen durchaus schwierig, „aber es sind genug kluge Köpfe da, die Ideen entwickeln können“. Er vermisse, dass innerhalb der Selbstverwaltung nicht mehr miteinander debattiert werde.

In Zukunft würden die noch vorhandenen starren Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor zwangsläufig fallen. Dass es deshalb keine Vertragsärztinnen und -ärzte mehr gebe, glaube er aber nicht, so der BKK-Chef. Denn in einem freien Beruf wie dem der Ärztin, des Arztes sollte es weiterhin möglich sein, auch unternehmerisch selbstständig tätig zu sein.

Auch Husemann sprach sich trotz aktuell nicht einfacher Rahmenbedingungen für die Niederlassung aus. Sie würde die Tätigkeit in der Praxis immer wieder wählen und die Arbeitsbedingungen gar nicht so schlecht reden. „Ich habe selbst zwei Kinder in der Niederlassung bekommen und das war miteinander vereinbar“, so ihr Appell an die jüngeren Medizinerinnen und Mediziner. Als sie vor 20 Jahren studiert hätte, habe man ihr auch schon gesagt, sie solle doch etwas anderes machen. „Zum Glück bin ich dabei geblieben, ich habe eine sehr hohe Berufszufriedenheit.“ Aus ihrer Sicht steckt die Versorgung gerade in einer sehr spannenden Zeit, die es aktiv mitzugestalten gilt.

... und die Niederlassung gewinnt doch

„Die Freiheitsgrade in der Praxis sind definitiv größer als in der Klinik“, pflichtete ihr auch Köhler bei. Und neben innovativen Versorgungskonzepten und deren Vergütung könnte die Selbstverwaltung untereinander noch etwas regeln, um die Rahmenbedingungen für die Praxen wieder besser zu machen: die Misstrauenskultur wieder abschaffen, appellierte Knieps. „Ich bin in zwei DMP, dafür bräuchte ich pro Jahr 16 Arztkontakte“, berichtete er. Und die seien nicht alle sinnvoll, beanspruchten also unnötigerweise Ressourcen. Allein vier Kontakte zur Blutentnahme in der hausärztlich-internistischen Praxis mit Schwerpunkt Diabetologie, in der er betreut werde. Vier weitere, um die Werte zu besprechen, vier Kontakte beim Kardiologen und vier beim Augenarzt, rechnete er vor. Er nehme diese nicht alle wahr, aber so sähen es die DMP vor. „Wir schaffen einen Großteil der Bürokratie selbst“, sagte Knieps. (reh)

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