RKI-Prognose zur Pandemie
Selbst ein Impfstoff wird die Corona-Regeln nicht ersetzen
In einem Strategiepapier skizziert das Robert Koch-Institut Szenarien für die Corona-Pandemie in den nächsten Monaten. Ein Impfstoff wäre ein Meilenstein – daneben gibt es aber noch sechs wichtige Punkte.
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Die Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 werden anfangs nur in begrenzter Menge zur Verfügung stehen, mahnen die RKI-Experten. Daher seien auch im kommenden Jahr die AHA-Regeln weiter wichtig.
© Laci Perenyi/dpa
Berlin. Ein neuerlicher bundesweiter Lockdown wegen des Coronavirus ist nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) unwahrscheinlich.
„In den nächsten Monaten“ sei eher von einem Pandemieverlauf auszugehen, bei dem es zu Einzelfällen sowie lokal und zeitlich begrenzten Ausbrüchen mit vielen Neuinfektionen komme, heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Strategiepapier des RKI. Derartige lokale Infektionsausbrüche erforderten denn auch ein „dem Risiko angepasstes, lokales Vorgehen“, schreiben die Wissenschaftler.
Am Dienstag hatte das RKI erneut über 4000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Wegen der hohen Zahl an Neuinfektionen wollen Bund und Länder diesen Mittwoch erneut das weitere Vorgehen in der Pandemie beraten. Zuletzt waren Reisebeschränkungen auf Kritik gestoßen.
Impfstoffe nur begrenzt verfügbar
Die RKI-Wissenschaftler betonen in ihrem Papier, wegen der kalten Jahreszeit und den damit einhergehenden längeren Aufenthalten in geschlossenen Räumen sei zudem mit „Ausbrüchen in einzelnen Settings“ – etwa bei Familienfeiern oder in Kitas und Schulen – zu rechnen.
Die Entwicklung eines oder mehrerer Impfstoffe, die laut RKI „voraussichtlich im kommenden Jahr“ abgeschlossen ist, werde den Verlauf der Pandemie zwar „entscheidend verbessern“. Da der oder die Impfstoffe anfangs jedoch nur in begrenzten Mengen zur Verfügung stünden und zuerst Risikogruppen immunisiert werden sollten, seien im Alltag weiter Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Geschlossene Räume mit „schlechter Belüftung und Gedränge“ sollten nach Möglichkeit gemieden werden.
Spahn: Impfstart Anfang 2021
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stuft Entwicklung und Bereitstellung eines Impfstoffs derweil etwas optimistischer ein. „Stand jetzt“ gehe er davon aus, dass in Deutschland „im ersten Quartal nächsten Jahres“ mit den Impfungen begonnen werden könne, sagte Spahn am Montagabend bei einer Videokonferenz des Münchner ifo-Instituts.
In der Impfstoffentwicklung setze Deutschland auf mehrere Technologien und Hersteller, so Spahn. „Wenn alle Pferde ins Ziel kommen, werden wir viel zu viel Impfstoff haben.“ Die Impfungen seien freiwillig.
Jenseits der Frage eines Impfstoffs formuliert das RKI weitere Schwerpunkte und Instrumente eines Infektionsschutzes in den nächsten Monaten. Dazu gehörten unter anderem: (mit dpa-Material)
Ergebnisse aus direkten (Erregernachweis) und indirekten (Antikörper) Nachweisverfahren sollen bei der nationalen Teststrategie berücksichtigt werden. Die Tests seien zielgerichtet und effektiv einzusetzen. Tests symptomatischer Personen sowie der Schutz vulnerabler Gruppen wie älterer Menschen in Pflegeheimen hätten „Priorität“. Trotz hoher Testkapazitäten seien personelle und materielle Ressourcen grundsätzlich begrenzt.
Um Übertragungsrisiken zu reduzieren, sei eine zeitnahe Erkennung akut Infizierter und die rasche Übermittlung der Befunde essenziell. Ideal seien 24 bis 36 Stunden. Dies sei in Zusammenarbeit der jeweiligen KV und des ÖGD zu organisieren. Zertifizierte Antigentests könnten die PCR- Diagnostik ergänzen.
Gesundheitsämter müssten möglichst früh über SARS-CoV-2-Infektionen Bescheid wissen. Erst dann könnten Infektionsschutzmaßnahmen vor Ort eingeleitet und Präventionsmaßnahmen greifen. Deshalb sei das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem (DEMIS) auszubauen.
Für den ambulanten und stationären Bereich müssten KVen, Kliniken, Gemeinden, Länder und Bund“ eine hinreichende Verfügbarkeit und Bevorratung von Schutzmaterial sicherstellen.
Weiterer Bestandteil einer Strategie gegen das Virus sei „ein barrierefreier Zugang zum Gesundheitssystem für alle symptomatischen Personen“. Praxen und Kliniken müssten niedrigschwellig genutzt werden können.
Infektionspatienten und nicht-infektiöse Patienten seien zu trennen. Bisherige Erfahrungen im Umgang mit Intensivkapazitäten bei schweren COVID-19-Verläufen ließen eine „nachhaltige regionale Versorgungsplanung“ zu.
Für die Pandemiekontrolle spielen laut RKI auch Impfstoffe gegen andere Atemwegs-Erkrankungen eine große Rolle. Entsprechende Impfstoffe müssten deshalb ausreichend zur Verfügung stehen. Das klinische Bild einer normalen Grippe sei ohne ergänzende Diagnostik nicht immer mit ausreichender Sicherheit von einer COVID-19-Erkrankung zu unterscheiden, betont das RKI.
Zum Schutz der Menschen und zur Entlastung des Gesundheitssystems lasse sich daher der größte Effekt erzielen, wenn Influenza- und Pneumokokken-Impfquoten vor allem in Risikogruppen erheblich gesteigert würden. Auch mit Blick auf Ärzte und Pflegekräfte seien hohe Impfquoten ratsam.
„Übergeordnetes Ziel“ aller vorgeschlagenen Maßnahmen sei es, „die Ausbreitung sowie die gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie zu minimieren“ und das gesamtgesellschaftliche und wirtschaftliche Leben inklusive der Bildungseinrichtungen möglichst vor Einschränkungen zu bewahren, betonte das RKI.