Krankengeld
Setzen Kassen Patienten unter Druck?
Zwischen freundlicher Nachfrage und Druck ausüben: Während einer Krankschreibung werden Patienten offenbar immer öfter von ihrer Kasse angerufen. Die Unabhängige Patientenberatung warnt, der Patientenbeauftragte der Bundesregierung will nun prüfen.
Veröffentlicht:BERLIN. Krankenkassen drängen arbeitsunfähige Patienten, die Krankengeld beziehen, offenbar gerne dazu, den Bezug schnell wieder zu beenden - zuweilen mit unsauberen Methoden.
Dies schreibt die Unabhängige Patientenberatung (UPD) in ihrem Jahresbericht. Karl Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Bundesregierung, will sich der Sache annehmen.
Das Krankengeld war das Top-Thema in den 80.000 Kontaktgesprächen der UPD. Mitarbeiter der Kassen rufen mitunter Patienten, die lange krankgeschrieben sind, wöchentlich an. "Ob es schon besser gehe? Ob man den Psychotherapeuten wechseln wolle? Oder einen Psychiater aufsuchen?
Entsprechende Therapeuten könne man empfehlen, heißt es dann am Telefon", berichtet UPD-Beraterin Michaela Schwabe.
Schwabe und ihre Kollegin Andrea Fabris ärgert es, dass die Kassenmitarbeiter auch nach medizinischen Diagnosen fragten und die Betroffenen bedrängten. Patienten hörten dann auch solche Sätze: "Jetzt stellen Sie sich nicht so an!" Oder: "Wechseln Sie doch den Arbeitgeber!"
Dauer des Bezugs steigt
Das hat den Patientenbeauftragten empört. Er kündigte an, mit den Krankenkassen ernste Gespräche führen zu wollen. Der Eindruck drängt sich auf, dass die Kassen sparen wollen - auf Kosten der Gesundheit der Versicherten. Übermäßiger Druck während der Krankheitsphase trägt nicht zur Gesundheitsförderung bei.
Dabei geht es natürlich auch ums Geld: 9,75 Milliarden Euro Krankengeld zahlten die Kassen 2013 aus. 2006 waren es noch 5,7 Milliarden Euro. Zudem ist die Dauer des Bezugs gestiegen: 2008 waren es 79 Tage, 2011 zehn Tage mehr.
Und dennoch führen wiederholte Anrufe - selbst mit guten Ratschlägen - eher dazu, dass die Patienten nicht mehr ans Telefon gehen oder Briefe erst gar nicht öffnen.
Auch komme es vor, so UPD-Beraterin Schwabe, dass die Kassen externe Firmen mit dem "Krankengeldfall-Management" beauftragten. Hat das Gebaren also System?
Vermutlich nicht. Nahezu alle der von der "Ärzte Zeitung" befragten großen Kassen - von Barmer GEK, TK, IKK classic, DAK - geben an, keine externe Firma damit betraut zu haben. Häufig wickeln interne Abteilungen den Bezug des Krankengeldes ab.
Einzelne Kassen wie etwa die Barmer GEK erklären, dass sie um "die besondere Belastung der psychisch Erkrankten wissen und dass es ihnen wichtig ist, mit diesen Patienten auf eine Weise zu kommunizieren, die ihnen hilft und sie nicht verunsichert."
Die Mitarbeiter der Siemens BKK verstehen sich "als Lotsen und persönliche Ansprechpartner". Sind diese erkrankt, führten die "persönlichen Kundenberater immer wieder Gespräche mit ihnen, um Unterstützung anzubieten und die ideale Versorgung sicherzustellen", hieß es auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".
"Viele Versicherte sind froh"
Nur die AOK Bayern und die pronova BKK arbeiten mit der Ge.on Case Management aus Bremen zusammen. Ge.on-Chefin Susanne Jacobs-Finkelmeier weist den Vorwurf zurück, dass wiederholte Telefonate Druck erzeugen könnten.
"Viele Versicherte sind froh, über ihre Probleme reden zu können. Oftmals geht es um Konflikte am Arbeitsplatz, in der Familie oder um Schulden", sagt sie.
Die Versicherten müssen zuvor schriftlich ihr Einverständnis erklären und können untersagen, dass die Diagnose dem Berater mitgeteilt wird. Das Team aus Psychologen und Sozialarbeitern arbeite wie eine öffentliche Beratungsstelle und versuche, die Probleme gemeinsam mit den Patienten zu lösen. Ist dieser einverstanden, wird auch der Arbeitgeber eingebunden. Diese seien sehr offen, sagt die Ge.on-Chefin.
Auch Arbeitgeber haben eigene Interessen, wenn es ums Krankengeld geht. Kehrt ein Beschäftigter, der bereits Krankengeld bezieht, für wenige Tage an den Arbeitsplatz zurück und fällt kurze Zeit später wieder aus, stehen für den Betrieb oft erneut mehrwöchige Lohnfortzahlungen an.
Gerade kleine Betriebe können dies kaum verkraften. Da liegt es nahe, dass der Chef mal an der Arbeitsunfähigkeit des Beschäftigten zweifelt. So einen Verdacht muss der Medizinische Dienst dann prüfen. 1,4 Millionen Begutachtungen waren es im Jahr 2013. In 15 Prozent der Fälle sahen die Prüfer eine weitere Krankschreibung als unnötig an.
Die Kasse kann dieser Empfehlung folgen, muss es aber nicht. Vor allem aber hat sie es in der Hand, wie sie die Nachricht übermittelt. Laut UPD-Bericht lag der positive Bescheid häufig am Donnerstag im Briefkasten, versehen mit dem Hinweis, am Montag arbeiten zu gehen.
Dass dies gerade geschwächte Patienten trifft und ängstigt, leuchtet ein: Es ist kaum möglich, in dieser kurzen Zeit den Arzt zu kontaktieren und Widerspruch einzulegen.
Dieser hat obendrein keinerlei aufschiebende Wirkung. Die Zahlungen zum Lebensunterhalt werden also in der Regel gestoppt - zum Nachteil des Patienten. Hier sollte der Patientenbeauftragte Laumann ansetzen.