Pandemie
Spahn will Corona-Inzidenzwert 50 aus Infektionsgesetz streichen
Der Inzidenzwert hat für eine ungeimpfte Bevölkerung gegolten und angesichts der erreichten Impfrate ausgedient, betont Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Ein anderer Wert sei nun aussagekräftiger. Der Koalitionspartner fordert Tempo.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Berlin. Der bundesweite Corona-Inzidenzwert weist Stand Montag 56 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner aus. Laut Infektionsschutzgesetz müssten nun „umfassende Schutzmaßnahmen“ ergriffen werden, um das Infektionsgeschehen effektiv einzudämmen. Diese könnten Sport- und Kulturveranstaltungen, die Gastronomie oder das Reisen betreffen.
Dazu soll es nach dem Willen des Corona-Kabinetts nicht kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) und weitere Kabinettsmitglieder haben am Montag eine dementsprechende Anpassung des Infektionsschutzgesetzes in Aussicht gestellt. Das Bundesgesundheitsministerium sei beauftragt worden, einen Gesetzesvorschlag dazu auszuarbeiten, berichtete Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagnachmittag aus der Runde. Das komplette Kabinett solle dies nun zügig beschließen.
Nächste Gelegenheit ist bei der Sitzung am kommenden Mittwoch. Letztendlich zuständig ist allerdings der Bundestag als Gesetzgeber. Das Gremium tritt ebenfalls am Mittwoch zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Hauptthema soll dann aber die die Bewältigung der Folgen der Hochwasserkatastrophe sein.
Der Turbo-Gesundheitsminister
Jens Spahn – Macher mit offenen Baustellen
Turbogesetz oder formales Verfahren?
Ob das Gesundheitsministerium den Abgeordneten bis dahin eine ausgearbeitete Formulierungshilfe zur Verfügung stellt und damit das Gesetzgebungsverfahren einleiten kann, wollte ein Sprecher Spahns am Montag nicht bestätigen. Er verwies auf die Abläufe eines Gesetzgebungsverfahrens. Dieses sieht formal drei Lesungen vor.
Auch der Gesundheitsausschuss müsste sich mit dem Entwurf befassen können. Dass Regierung und Bundestag bei der Gesetzgebung sehr schnell sein können, haben die Gremien in der jüngeren Vergangenheit bei mehreren Pandemiegesetzen gezeigt. Spahn hatte früher am Tag einen Vorschlag noch vor der Wahl am 26. September in Aussicht gestellt.
SPD: „Wertvolle Wochen verloren“
Der Koalitionspartner SPD forderte umgehend das Urheberrecht für die Idee ein. „CDU und CSU haben die Vorstöße der SPD, diese Inzidenzwerte zu streichen, immer wieder zurückgewiesen“, sagten die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion Bärbel Bas und Dirk Wiese am Montag.
Die Sozialdemokraten hätten bereits seit Monaten auf den Änderungsbedarf im Infektionsschutzgesetz aufmerksam gemacht. Nun seien wertvolle Wochen verloren gegangen, bedauerten die SPD-Politiker. Sie äußerten zudem Zweifel daran, ob sich alle Unionsabgeordneten hinter Spahn stellen würden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Sabine Dittmar betonte, der Inzidenzwert bleibe als Frühwarnsystem nach wie vor wichtig. Die Berücksichtigung weiterer Indikatoren wie der Hospitalisierungsrate und der Intensivbettenauslastung sei sinnvoll. Es müsse nun schnellstens ein Gesetzentwurf vorgelegt werden, forderten die SPD-Politiker.
Der Bundesgesundheitsminister hatte am Montagmorgen vorgeschlagen, den Inzidenzwert von 50 zur Bewertung der Corona-Lage aus dem Infektionsgesetz zu streichen. „Die 50er-Inzidenz im Gesetz, die hat ausgedient“, sagte Spahn im Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Der Wert, der die Zahl der Neuinfektionen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche angibt, habe für eine „ungeimpfte Bevölkerung“ gegolten, sagte Spahn. Mittlerweile hätten aber viele Bundesbürger vollen Impfschutz. „Deswegen ist mein Vorschlag, diesen Maßstab aus dem Gesetz zügig zu streichen. Das passt nicht mehr.“
Hospitalisierungsrate als neuer Maßstab
Ein neuer Parameter soll laut Spahn die Hospitalisierungsrate sein – also die Zahl an COVID-19-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Als die Pandemie am schlimmsten wütetet, lag die Sieben-Tage-Inzidenz der Hospitalisierungen bei rund zwölf Neuaufnahmen wegen COVID-19 in den Krankenhäusern je 100.000 Einwohner.
Dieser Wert sei als Marker, um Gegenreaktionen einzuleiten, allerdings „definitiv zu spät“, sagte Spahns Sprecher Hanno Kautz. Mitberücksichtigt werden müssten auch die regionalen Gegebenheiten, zum Beispiel Mitversorgereffekte in den Kliniken in Ballungsräumen. Mehrere Länder haben bereits eine Abkehr von der 50er-Inzidenz angekündigt oder diese in ihren Corona-Verordnungen vollzogen.
Regierungssprecher Seibert schloss einen weiteren Lockdown aus. Unter Delta-Bedingungen werde es dazu wohl nicht kommen. Für Geimpfte und Genesene werde es ohnehin keine neuen Einschränkungen geben. (af/hom)