Wandersleute in der PKV

Privatversicherte auf der Flucht? Als Reaktion auf steigende Beiträge wollen immer mehr PKV-Kunden einem Medienbericht zufolge in die gesetzliche Krankenversicherung. Doch Experten haben Zweifel, denn noch gewinnt die PKV mehr Mitglieder als sie verliert.

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BERLIN (nös). Flucht aus der Luxusklasse: Ein "Spiegel"-Bericht über offenbar zunehmend wechselwillige Privatversicherte sorgt für Staunen.

Dem Bericht zufolge sollen einige gesetzliche Krankenkassen zunehmend Anfragen von Privatversicherten erhalten, die die PKV verlassen wollen. Maßgeblicher Grund sollen die zum Teil enormen Beitragsexplosionen in der jüngsten Vergangenheit sein.

Beispielhaft nennt das Magazin die AOK Rheinland/Hamburg. "Bei uns häufen sich die telefonischen Anfragen von Privatversicherten, die zur AOK kommen wollen", sagte Kassenchef Wilfried Jacobs dem "Spiegel".

Ähnlich sei es bei anderen Kassen, etwa der Barmer GEK. Dort sei die Zahl der PKV-Wechsler seit 2010 um neun Prozent angestiegen, hieß es. Die Techniker Krankenkasse verzeichne einen Zuwachs von zwölf Prozent.

Der Chef des AOK Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, bestätigte den Trend und vermutet, dass die PKV als Vollversicherung keine Zukunft mehr hat.

"Die Zeit der privaten Krankenversicherung als Vollversicherung geht zu Ende", sagte der AOK-Chef am Montag der "ARD". Graalmann: "Die PKV bekommt die Kosten nicht in den Griff."

PKV: Nachweislich falsch

Allerdings sind Zweifel angebracht, ob die Zahlen für einen bundesweiten Trend sprechen. Nach gleichlautenden Angaben von Branchenkennern und des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) ist der Wanderungssaldo noch immer positiv zugunsten der PKV.

Genau Zahlen liegen dem BMG bislang nicht vor. Die Experten im Hause seien seit Montag daran, aktuelle Zahlen zusammenzutragen.

Die dürften sie auch vom PKV-Verband erhalten. Der widerspricht dem "Spiegel"-Bericht nämlich vehement.

"Jedes Jahr wechseln deutlich mehr Menschen in die PKV als umgekehrt", sagte Verbandsdirektor Volker Leienbach. "Gegenteilige Behauptungen sind absurd und nachweislich falsch."

Komplette Zahlen für das vergangene Jahr lägen derzeit noch nicht vor, sagte Leienbach. Allerdings zeige schon eine Zwischenrechnung, dass der "Vorsprung der PKV gegenüber dem Vorjahr sogar gewachsen ist".

Leienbach zeigte sich zudem schockiert über Berichte, wonach einige Kassen wechselwilligen PKV-Versicherten "Tricks" nennen würden, wie sie in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln könnten.

"Wenn eine Krankenkasseals öffentlich-rechtliche Körperschaft Beihilfe zur Umgehung desSozialgesetzbuches leisten sollte, wäre dies ein Skandal", sagte er.

Beim BMG verweist auf die Beratungspflicht, die die Krankenkassen haben. Allerdings soll das Bundesversicherungsamt nun die vom "Spiegel" zitierten Praktiken untersuchen, hieß es.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 10.01.201212:05 Uhr

Korrektur!

Unter "Altersrückstellungen" der PKV "von 2005 bis 2010" muss es natürlich heißen "jährlich um (schlappe) 517 M i l l i o n e n €". Entschuldigung für diesen schweren Rechenfehler.

Rudolf Egeler 10.01.201211:32 Uhr

Wandersleute

Seit Jahrzehnten pfeifen es die Spatzen(Verbraucherschützer) vom Dach,dass
das Modell PKV grosse Probleme im höherem Alter bereiten wird.Trotzdem ha-
be auch ich -wie viele andere Selbständige - mich in diese Falle begeben. Alle hier und auch öffentlich diskutierten Vorschläge ( von völliger Ab- schaffung über Einheitsversicherung mit Zusatzpolicen u.a.m.) haben eines
gemeinsam: Alles Populismus, kein einziger brauchbarer Vorschlag.Die Sau mitder extremen Prämiensteigerung wird regelmässig durch die Versicherungs
landschaft getrieben. Saubere Zahlen hat weder der Spiegel noch gibt die Versicherungswirtschaft heraus.Einziges Ergebnis: Völlige Verunsicherung der PKV-Vollversicherten(aus welchem Grund auch immer sie da versichert sind).Dass hier mögliche Wanderungsgelüste aufkommen,ist nur natürlich.

Dr. Thomas Georg Schätzler 09.01.201219:02 Uhr

Lautes(r) Pfeifen im finsteren Wald?

Wie die Ärzte Zeitung noch am 05.01.2012 berichtete:
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/gp_specials/jahresendausgabe-2011/article/683930/muss-pkv-ihre-zukunft-bangen.html

ist das jetzige PR-Getöse von PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach nichts als lautes Pfeifen im finsteren Wald! Und das Hamburger Nachrichtenmagazin ''DER SPIEGEL'' (2/2012, S. 71) hat noch nicht mal richtig nachgerechnet. Denn nach PKV-eigenen Angaben lag 2010 die Summe der Beitragseinnahmen bei 33,6 Milliarden Euro. Davon anteilig die
• Kosten für Vertrieb und Verwaltung bei 3,5 Mrd. € (10,42%)
• Kosten für Versicherungsleistungen bei 22,3 Mrd. € (66,37%).
Die Altersrückstellungen sind von 2005 bis 2010 nur um 3,1 auf 12,7 Mrd. € angestiegen, also jährlich um schlappe 517.000 €.

Der Spiegel hatte nichts anderes getan, als den Netto-Mitgliederzuwachs von 7,49 Millionen im Jahr 2000 auf 8,9 Mio. in 2010 als einen Anstieg von Plus 19 % einer Beitragsexplosion im gleichen Zeitraum von 13,71 Milliarden Euro auf 33,6 Mrd. € gegenüberzustellen. Das ist ein Plus von gut 1 4 5 P r o z e n t und nicht 76%, wie der Spiegel irrtümlich annimmt.

Außerdem fehlt kalkulatorisch etwas ganz Entscheidendes:
Die Höhe der zu zahlenden Selbstbeteiligungen der Privatversicherten mit zunehmend erhöhtem Selbstzahler-Anteil und die durch die Beihilfe mitfinanzierten Beamten- und Angestellten Krankenversicherungen im Öffentlichen Dienst, die längst keine Vollversicherungen sind.
Dann würde nämlich klar, was die Spatzen von den Dächern pfeifen: Dass der Mitgliederzuwachs, das Beitragsaufkommen u n d die Altersrückstellungen der angeblich kapitalgedeckten PKV geradezu grotesk disproportional zu den tatsächlichen medizinischen Morbiditäten und demografischen Herausforderungen sind. Kein Wunder, dass die PKV-Prämien im Alter exorbitant ansteigen müssen. Mancher nicht nur im Alter privat Versicherter o h n e Beihilfeberechtigung für die ganze Familie weiß nicht mehr, wie lange er sich die PKV noch wird leisten können? D a v o r hat die PKV Angst, vor massenweise früher gutsituierten Aussteigern.

Private Krankenversicherungen sind nichts Anderes als kapitalgestützte Umlagekassen mit volatilen, nach oben offenen Prämien. Sie tragen kein echtes unternehmerisches Risiko, weil ihre Geschäftspolitik auf die staatliche Genehmigung regelmäßiger Erhöhung der Versicherungsbeiträge durch die BAFin abzielt.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dr. Janos Palik 09.01.201217:57 Uhr

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Ich würde gern zurückwechseln, weiß jemand, wie?

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