Rätsel

Warum Sport die Diabetes-Gefahr erhöhen kann

Durch regelmäßige Bewegung lässt sich Diabetes verhindern, heißt es immer wieder. Doch so allgemein lässt sich das nicht sagen. Eine Studie zeigt: Bei manchen Menschen verschlechtert Sport den Stoffwechsel gar - und steigert die Diabetes-Gefahr.

Von Roland Fath Veröffentlicht:
Trotz der Studienergebnisse bleibt es dabei: Richtiger Sport ist im Allgemeinen der beste Weg zur Verbesserung der Stoffwechsellage.

Trotz der Studienergebnisse bleibt es dabei: Richtiger Sport ist im Allgemeinen der beste Weg zur Verbesserung der Stoffwechsellage.

© lzf / iStock

TÜBINGEN. Bei rund zehn Prozent aller Menschen reagiert der Insulinstoffwechsel nicht auf Ausdauertraining oder wird sogar schlechter, schätzt Dr. Anja Böhm vom Universitätsklinikum Tübingen.

In einer eigenen kleinen Studie mit insgesamt 16 jungen inaktiven Freiwilligen - jeweils die Hälfte Responder oder Non-Responder auf Bewegungstherapie - haben die Wissenschaftlerin und ihre Kollegen die Auswirkungen eines neunwöchigen Ausdauertrainings (dreimal pro Woche eine Stunde) auf den Glukosestoffwechsel und das Muskelfett untersucht.

Alle Studienteilnehmer haben hinsichtlich ihrer körperlichen Fitness profitiert und zum Teil auch deutlich an Gewicht verloren, betonte Böhm beim Kongress der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) in Berlin.

Aber bei der Insulin-Sensitivität waren die Ergebnisse grundverschieden. In der Responder-Gruppe hatte sich bei Studienende der Anteil der Personen mit einer normalen Glukosetoleranz beim OGGT verdoppelt; eine gestörte Glukosetoleranz wurde bei keinem mehr nachgewiesen.

Sport-Non-Responder schwer zu erkennen

Bei den acht Personen der Non-Responder-Gruppe hingegen nahm die Zahl der Probanden mit normaler Glukosetoleranz von vier auf zwei ab und die Zahl derjenigen mit erhöhten Nüchternblutzuckerwerten von vier auf fünf zu.

Bei einer Testperson wurden nach Angaben von Böhm sogar sowohl erhöhte Nüchternblutzuckerwerte als auch eine gestörte Glukosetoleranz nachgewiesen. Die Ursachen dafür sind unklar. Ebenso gelingt es bisher nicht, die Personen herauszufiltern, die auf Sport schlecht ansprechen.

Es gibt lediglich Indizien: "Kränkere Personen scheinen von Bewegungstherapie mehr zu profitieren als gesündere", so die Internistin.

Andererseits war ein Nicht-Ansprechen aber auch mit einer schlechten Insulinsensitivität und -sekretion, mit hohem viszeralen Fettanteil, Fettleber und hohen Fetuinspiegeln assoziiert, sowie mit niedriger körperlicher Fitness und niedrigen Adiponektin-Spiegeln. Body-Mass-Index, Alter und Geschlecht scheinen keine Rolle zu spielen.

Auch genetische Faktoren sind vermutlich relevant. So wurden durch Muskelbiopsien und Transkriptomanalyse molekulare Unterschiede zwischen Respondern und Non-Respondern nachgewiesen, vor allem in mitochondrialen Genen, berichtete Böhm.

Zu den Zukunfsvisionen zählt es, Non-Responder auf Bewegungstherapie mit Arzneimitteln zu Respondern zu machen oder, noch ambitionierter, gleich eine Ersatzpille für Sport anzubieten. Insbesondere für nicht motivierbare Menschen oder sehr stark Übergewichtige wird dies als mögliche Alternative diskutiert.

Irisin im Blick

Dr. Henrike Sell aus Düsseldorf berichtete über drei Forschungsansätze. Kandidat Nummer eins ist das Zytokin Irisin, das im Skelettmuskel freigesetzt wird. Im Mausmodell konnte mit dieser Substanz sowohl eine Gewichtsreduktion als auch eine Verbesserung der Stoffwechseleinstellung erreicht werden.

Vermutet wurde, dass Irisin möglicherweise zum sogenannten Browning des Fettgewebes und damit zur Erhöhung des Energieumsatzes beitragen könnte.

 Inzwischen bestehen aber Zweifel an dieser These. Irisin wird durch Sport und Muskelkontraktion nicht reguliert und kann beim Menschen im Serum nicht nachgewiesen werden.

Wahrscheinlich hat Irisin beim Menschen keinen Einfluss auf den Stoffwechsel, so Sell. Auch die gezielte Suche nach weiteren chemischen Substanzen, die die Umwandlung von weißes in braunes Fettgewebe fördern könnte, war bisher nicht erfolgreich.

Forscher haben Resveratrol im Fokus

Aussichtsreichster Kandidat bleibt Resveratrol, das Antioxidans in roten Trauben, das hinter den vielfältigen positiven gesundheitlichen Wirkungen eines regelmäßigen Rotweinkonsums in Maßen stecken soll.

"Resveratrol stimuliert in höheren Konzentrationen die Biogenese von Mitochondrien und wird daher als Sport-Mimetikum gehandelt", so Sell.

Allerdings sind die Effekte beim Menschen nicht eindeutig und Dosierungen sowie Nebenwirkungen unklar. Möglicherweise sei Resveratrol in höheren Dosierungen sogar toxisch für den Muskel, so die Diabetologin am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung.

Keinen Zweifel ließen die Referenten daran, dass richtiger Sport im Allgemeinen der beste Weg zur Verbesserung der Stoffwechsellage und Diabetikern unbedingt zu empfehlen sei.

Die besten Effekte hatten in Studien nach Angaben von Dr. Martin Röhling aus Düsseldorf isoliertes Ausdauer- und Krafttraining oder kombiniertes Training, moderat-intensiv, mindestens drei Einheiten pro Woche, ab 45 Minuten pro Training.

Die HbA1c-Werte wurden dadurch relativ um 5 bis 13 Prozent gesenkt.

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