Hintergrund

Zweite Welle der Revolution: Ägyptens Ärzte wollen Sozialreformen

Am Sturz Mubaraks waren viele Ärzte beteiligt. Jetzt wollen sie für eine bessere Gesundheitsversorgung kämpfen.

Von Pete Smith Veröffentlicht:
Das neu gewählte ägyptische Parlament bei seiner ersten Sitzung.

Das neu gewählte ägyptische Parlament bei seiner ersten Sitzung.

© dpa

Am Montag trat zum ersten Mal das neu gewählte ägyptische Parlament zusammen. Aber ein Jahr nachdem die Ägypter ihren autoritären Staatspräsidenten Husni Mubarak gestürzt haben, gehen die Ägypter auch wieder auf die Straße, um die Revolution zu verteidigen. Damals wie heute ganz vorn dabei sind Ärzte und Mitarbeiter des Gesundheitswesens.

"Es ist enorm, was hier geschieht", sagt Dr. Alla Shukrallah von der Association for Health and Environmental Development (AHED) in Ägypten. "Es ist die zweite Welle der Revolution." Wie vor einem Jahr auch gingen die Leute auf die Straße, statt sich wie früher enttäuscht ins Private zurückzuziehen.

"Hunderttausende demonstrieren im ganzen Land dafür, dass ein ziviles, demokratisch gewähltes Parlament über die Geschicke des Landes uneingeschränkt bestimmt."

Gesundheitswesen soll reformiert werden

Der Wunsch nach sozialen Reformen war von Anfang an eine Triebfeder für die Proteste im Land. Auch das Gesundheitswesen sollte nach dem Willen der Reformer umgestaltet werden.

Seit den 1960er Jahren habe sich eine Parallelstruktur aus öffentlichem und privatem Gesundheitssektor entwickelt, wie Dr. An dreas Wulf, ärztlicher Mitarbeiter der Hilfsorganisation medico international im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" erläutert.

2006 ergab eine Untersuchung, dass die privaten Zuzahlungen auf etwa 60 Prozent gestiegen waren. Das durchschnittliche Gehalt von Medizinern im staatlichen Gesundheitsdienst betrug dagegen umgerechnet nur 60 bis 100 Euro pro Monat.

Ärzte beeinflussen politische Debatte

Dabei genießen Ärzte in Ägypten hohes Ansehen. Eine Gruppe von Kollegen, die sich "Doctors without Rights" nannte, begann, gegen die Niedriglöhne zu demonstrieren. Als Anfang 2011 die Revolution von Tunesien auf Ägypten überschwappte und Mubaraks Soldaten auf dem Tahrirplatz in Kairo ein Blutbad anrichteten, waren die "Doctors without Rights" mit die Ersten, die sich um die Verletzten kümmerten.

Umgekehrt wurden ihre Forderungen bald auch von unorganisierten Kollegen unterstützt, eine Dynamik entstand, an deren Ende unter anderem der von den revolutionären Ärzten geforderte Sturz des Gesundheitsministers stand.

Inzwischen gibt es weitere Ärzte-Organisationen wie etwa die "Tahrir's Doctors Organisation", die sich für Reformen im öffentlichen Gesundheitswesen engagieren und die politische Debatte zur Umgestaltung ihres Landes beeinflussen. Dabei geht es beispielsweise um die Frage, ob ein generelles Recht auf Gesundheit in die neue Verfassung Ägyptens Eingang findet.

Weitere Bestrebungen liegen darin, möglichst viele der in andere Länder emigrierten Ärzte zurückzuholen und den Schutz von Medizinern sowie medizinischem Personal in Kliniken zu verbessern. Schließlich geht es auch um die langfristige Versorgung jener Ägypter, die im Zuge der Revolution ernsthafte Verletzungen erlitten haben.

Gesundheitssektor ein Brennpunkt

Die Notfallversorgung unmittelbar nach dem Sturz von Mubarak war auf Geheiß des Militärrats kostenlos erfolgt. Das galt aber nicht für die Nachbehandlung. Viele Demonstranten sind etwa durch Gummischrot an den Augen verletzt worden. Um die Spätfolgen dieser Verletzungen auf Kosten des Staates versorgen zu lassen, wird jedoch der oft unmöglich zu erbringende Nachweis verlangt, dass jene auf den Polizeieinsatz zurückzuführen sind.

"Der Gesundheitssektor ist einer der Brennpunkte der neuen Zeit", so Dr. Alla Shukrallah. "Aufgrund der Streiks von Ärzten und Krankenpflegerinnen sicherte uns der Premierminister im direkten Gespräch zu, nicht nur die finanzielle Situation der Kliniken zu verbessern, sondern auch die Kosten für die Betreuung und Behandlung der Opfer des Tahrir-Platzes zu übernehmen."

Auch wenn der ägyptische Arzt die bislang erreichten Erfolge lobt, so glaubt er doch nicht an eine grundlegende Reform der sozialen Systeme in seinem Heimatland: "Auch ein progressiver Gesundheitsminister arbeitet unter einem neoliberalen Diktat, das trotz aller Gesundheitspakete nur eine Minimalversorgung garantieren wird."

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