Sterbehilfe

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte billigt Euthanasie in Belgien

Ob Anspruch auf Sterbehilfe bestehen kann, ließen die Straßburger Richter allerdings offen. Sie stärkten aber auch die ärztliche Schweigepflicht bei der Sterbehilfe.

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Euthanasie und Sterbehilfe verstoßen bei leidenden und unheilbar kranken Menschen nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, entschied der EGMR.

Euthanasie und Sterbehilfe verstoßen bei leidenden und unheilbar kranken Menschen nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, entschied der EGMR.

© Uta Poss / Presse-Bild-Poss / picture alliance

Straßburg. Euthanasie und Sterbehilfe verstoßen bei leidenden und unheilbar kranken Menschen nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das hat [am 4. Oktober 2022] der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden.

Er billigte damit im Grundsatz die Regelungen in Belgien. Ob auch ein Anspruch auf Sterbehilfe bestehen kann, entschieden die Straßburger Richter ausdrücklich nicht.

Im konkreten Fall geht es um eine Frau, die seit 40 Jahren an chronischen Depressionen leidet. Im September 2011 bat sie einen Arzt und Hochschulprofessor um Sterbehilfe. Nach einem ausführlichen Gespräch willigte der Arzt ein, sie in dem Prozess zu begleiten. Dieser und weitere beteiligte Ärzte rieten der Frau mehrfach, ihre beiden Kinder über ihr Vorhaben zu informieren.

Sie lehnte dies zunächst ab, schrieb ihnen dann aber doch eine E-Mail. Darauf schrieb die Tochter, dass sie den Wunsch ihrer Mutter respektiere. Der Sohn antwortete nicht. Die Frau schrieb ihren Kindern noch einen Abschiedsbrief, und am 19. April 2012 nahm der Arzt dann die Euthanasie in Anwesenheit weniger Freunde vor.

Beschwerde: Nicht über Termin informiert worden

Als der Sohn durch das Krankenhaus von dem Tod seiner Mutter erfuhr, beschwerte er sich. Er sei nicht über den Termin informiert gewesen und habe sich daher nicht mehr von ihr verabschieden können. Deshalb sei er nun in „pathologischer Trauer“.

Beschwerden und eine Klage in Belgien blieben ohne Erfolg. Auch der EGMR wies die Beschwerde nun weitgehend ab. Er betonte, dass er nicht darüber entschieden habe, ob ein „Recht auf Sterbehilfe“ bestehen kann. Die Pflicht des Staates zum Schutz des Lebens habe Belgien im Grundsatz aber nicht verletzt.

So gewährleiste das 2002 in Kraft getretene belgische „Gesetz über die Sterbehilfe“, dass die Entscheidung für eine Euthanasie „frei und in voller Kenntnis der Sachlage getroffen wurde“. Die Entscheidung werde nicht kurzfristig getroffen; hier seien vom förmlichen Antrag bis zur Euthanasie zwei Monate vergangen.

Mehrere voneinander unabhängige Ärzte seien beteiligt gewesen. Die „unerträgliche psychische Notlage“ der Patientin habe nicht mehr gelindert werden können.

Euthanasie im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben

Weiter stärkten die Straßburger Richter die ärztliche Schweigepflicht auch bei der Sterbehilfe. Hier hätten die Ärzte mehrfach versucht, die Frau zu überzeugen, dass sie ihre Kinder über ihren Sterbewunsch informieren und mit ihnen darüber sprechen sollte. In Fällen, in denen dies nicht oder wie hier nur teilweise gelingt, müsse der Staat die Ärzte nicht zwingen, ihre Schweigepflicht zu brechen, urteilte der EGMR.

Nach dem belgischen Verfahren wird jede Euthanasie auch nachträglich nochmals von einem staatlich eingesetzten Gremium überprüft. Hier war das Ergebnis, das die Euthanasie der Mutter im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben war. Allerdings war der Arzt, der die Euthanasie vorgenommen hatte, in dem Gremium beteiligt.

Dies darf nicht sein, entschied der EGMR und gab in diesem Punkt dem Sohn recht. Dass nach den belgischen Regeln der betreffende Arzt in der Diskussion „schweigen“ soll, reichte den Straßburger Richtern nicht aus. (mwo)

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