Plagiatsvorwürfe
Haben Ärzte einen Hang zum Schummeln?
Doktorarbeiten und Habilitationen in der Medizin werden einem "Handelsblatts"-Bericht zufolge überdurchschnittlich oft ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Standards gefertigt. Die Gründe dafür könnten im System selbst liegen.
Veröffentlicht:NEU-ISENBURG. Im Zuge der Plagiatsaffäre 2011 um den damaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist das Thema wissenschaftliches Arbeiten aus dem Wissenschaftskosmos in den Niederungen des gesellschaftlichen Alltags angelangt. Stand doch plötzlich nahezu jeder Akademiker unter dem Pauschalvorwurf des Schummelns.
In kurzer zeitlicher Folge mussten außer Guttenberg noch mehrere prominente Politiker aller Parteicouleur zurücktreten und/oder bekamen die akademischen Doktorweihen aberkannt.
"Der Druck, viel zu publizieren, ist unter Medizinern sehr hoch" sagt eine Sprecherin des Gremiums "Ombudsmann für die Wissenschaft" im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" und sucht so eine mögliche Erklärung für eine potenziell erhöhte Plagiatsanfälligkeit unter promovierenden und habilitierenden Ärzten.
Über dieses Phänomen spekulierte die Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" am Mittwoch prominent unter dem Titel "Dr. med. Plagiat". Das Gremium gehört zur Deutschen Forschungsgemeinschaft und untersucht Plagiatsangelegenheiten. Das dortige Kollegium berät dabei alle vorgetragenen Hinweise und Anfragen und erarbeitet daraus Empfehlungen zum weiteren Vorgehen.
Knackpunkt Teamwork?
Die Bedingungen, unter denen im Bereich Medizin gearbeitet wird, könnten die besondere Stellung der Mediziner im Wissenschaftsbetrieb begründen, so die Sprecherin weiter. Hinzu komme, dass es gerade in dieser Gruppe besonders oft zu Autorenstreitigkeiten komme. Grund: Speziell Mediziner seien ausgeprägte Teamworker, die auf gemeinsame Erkenntnisse angewiesen seien.
Doktorarbeiten und Habilitationen im Fach Medizin würden überdurchschnittlich oft ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Standards gefertigt, berichtete das "Handelsblatt" und berief sich dabei auf fast ein Dutzend Fälle, die der Zeitung vorlägen.
Überschneidungen im Fokus
Die von der Wirtschaftszeitung aufgespürten Fälle kämen von der Uni Freiburg, aber auch von Fakultäten in Heidelberg, Hannover oder Göttingen. In denen zeige etwa die Habilitationsschrift eines Medizinprofessors "mehr oder weniger starke Überschneidungen" mit der Arbeit eines oder mehrerer seiner Doktoranden auf. In allen Arbeiten würden sich Übereinstimmungen im Text oder bei Abbildungen und Tabellen zeigen.
Die meisten Vorkommnisse "wissenschaftlicher Unredlichkeit" gäbe es in der Medizin, kommentiert Jurist Wolfgang Löwer, Sprecher des Gremiums Ombudsman für die Wissenschaft, im "Handelsblatt".
Es scheine an vielen Fakultäten in Deutschland gebräuchlich zu sein, aus gemeinsam ermittelten Daten mehrere Titel zu produzieren, heißt es weiter in dem Artikel. Wer dann Urheber welcher Leistung sei, bliebe meist unerwähnt. Grund dafür, dass dieses Vorgehen des Gebens und Nehmens im Team bis heute funktioniere, sei nach Auffassung des Blattes mangelndes Unrechtsbewusstsein im wissenschaftlichen Medizinbetrieb.
Aktuell werden über 30 Arbeiten geprüft
Aktuell würden in Deutschland mehr als 30 wissenschaftliche Arbeiten im Fach Medizin untersucht. Geprüft wird, ob Doktoranden von Habilitanden - oder umgekehrt - voneinander abgekupfert haben und so Regeln wissenschaftlichen Arbeitens verletzten.
Ob die Berichterstattung - ähnlich wie bei vergangenen medialen Attacken auf Ärzte zum Beispiel in Sachen Selbstzahlerleistungen - für einen Sturm der Entrüstung auf Patientenseite sorgen wird, bleibt fraglich. Niedergelassene Ärzte müssen sich aber darauf einrichten, diesbezüglichen, hämischen Kommentaren ausgesetzt zu sein, sollte es zeitnah zu einer Situation kommen, die das Arzt-Patienten-Verhältnis belastet.