Scheinselbständigkeit

In der BAG wird die Luft hauchdünn

Die unterschiedlichen Formen der Kooperation in der Berufsausübungsgesellschaft geraten immer wieder in den Blick der Gerichte. Ein aktuelles Urteil aus Baden-Württemberg fordert mehr Trennschärfe zwischen gleichberechtigter Partnerschaft und Scheinselbstständigkeit.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
In der BAG wird die Luft hauchdünn

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BONN. Ein Paukenschlag zum Jahresende: Der 5. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg, der bereits mit seinem so genannten "Honorararzturteil" im Jahr 2013 die Ausübungsformen ärztlicher Tätigkeiten ganz erheblich beeinflusst hat, hat erneut über die Abgrenzung zwischen freiberuflicher und angestellter Berufsausübung entschieden.

Ein aktuelles Urteil vom 23. November 2016 (Az.:L 5 R 1176/16) dürfte für ärztliche Gemeinschaftspraxen eine der wichtigsten Entscheidungen des Jahres 2016 sein. Das Gericht hat nämlich festgestellt, dass eine "Juniorpartnerin" einer Gemeinschaftspraxis tatsächlich nicht freiberuflich, sondern in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig war.

Primär ging es in dem Verfahren um die Nachforderung von Sozialabgaben. Doch der sowohl für Fragen der Rentenversicherung als auch des Vertragsarztrechtes zuständige 5. Senat des LSG stellt in seinem Urteil fest, dass auch vertragsarztrechtlich eine Scheinselbstständigkeit vorlag – trotz der Zulassung der "Juniorpartnerin" als Vertragsärztin und der Genehmigung der gemeinsamen Berufsausübung.

Damit drohen nun die Aufhebung der Honorarbescheide und die Rückforderung bezahlter Honorare. Zusammen mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur Gewerbesteuerpflicht in Konstellationen der verdeckten Anstellung ist eine solche Gestaltung der "größtmögliche anzunehmende Unfall" für eine Gemeinschaftspraxis.

30 Prozent "Gewinnanteil"

Dem Urteil lag Folgendes zugrunde: Ein Zahnarzt und eine Zahnärztin, beide zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen, schlossen einen Gemeinschaftspraxisvertrag. Die gemeinsame Berufsausübung der beiden wurde vom Zulassungsausschuss genehmigt. Der Vertrag sah vor, dass die Zahnärztin als "Gewinnanteil" 30 Prozent der von ihr durch persönliche Tätigkeit erwirtschafteten Honorare erhält. Aus den verbleibenden Einnahmen wurden die Praxiskosten gezahlt, den Rest sollte der Zahnarzt erhalten.

Dieser stellte auch das gesamte materielle Vermögen zur Verfügung. Die Zahnärztin musste keine Einlage leisten und sich auch am vorhandenen materiellen Vermögen oder den Kosten der Beschaffung zukünftigen materiellen Vermögens nicht beteiligen. Im Gesellschaftsvertrag war keine Regelung enthalten, wie ein etwaiger Verlust der Gesellschaft zu tragen wäre. Schließlich sah der Vertrag vor, dass beide Gesellschafter im Außenverhältnis geschäftsführungsbefugt waren, im Innenverhältnis bedurften jedoch wirtschaftlich bedeutsamere Maßnahmen und zum Beispiel die Kündigung von Anstellungsverhältnissen der Zustimmung des Zahnarztes. Im Fall ihres Ausscheidens sollte die Zahnärztin eine pauschalierte Abfindung erhalten.

Nach Auffassung des LSG wurde die Zahnärztin sozialversicherungsrechtlich nicht freiberuflich und vertragsarztrechtlich nicht in freier Praxis tätig. Die Richter stützen diese Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass der Zahnarzt alle Betriebsmittel auf seine Kosten zur Verfügung stellte, die Zahnärztin letztlich nicht am Gewinn der Gesellschaft, sondern an ihrem eigenen Umsatz beteiligt war, die Zahnärztin kein Kapitalrisiko trug und auch die Abrechnung gegenüber der KV und den Patienten nur durch den Zahnarzt erfolgte.

Hinzu kamen die im Innenverhältnis beschränkte Geschäftsführungsbefugnis und die weiteren Regelungen, die Sonderrechte für den Seniorpartner beinhalteten. Als letztlich nicht relevant sah der 5. Senat die für eine Freiberuflichkeit sprechenden Indizien der weisungsfreien Tätigkeit, der fehlenden Haftungsfreistellung im Innenverhältnis und der eigenen vertragszahnärztlichen Zulassung an.

K.o.-Kriterien für den BAG-Vertrag

Diese Entscheidung führt nicht dazu, dass zwischen Gemeinschaftspraxispartnern nur völlig paritätische Verträge abgeschlossen werden dürfen. Die Abgrenzung zwischen freiberuflicher Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung erfolgt stets auf einer Wertung der Gesamtumstände. Dennoch dürften spätestens seit dieser Entscheidung einige "K.o.-Kriterien" feststehen, die jeder Gemeinschaftspraxisvertrag berücksichtigen muss:

Jeder Gesellschafter muss an einem etwaigen Verlust der Gesellschaft beteiligt sein. Es muss tatsächlich der Gewinn der Gesellschaft verteilt werden. Berechnet sich der "Gewinnanteil" eines Gesellschafters unabhängig von den Kosten, so ist dies gerade kein Gewinnanteil.

Jeder Gesellschafter sollte mit einem gewissen Kapitaleinsatz an der Gesellschaft beteiligt sein.

Die Regelungen zur Geschäftsführung, zum sonstigen Auftreten nach außen und auch diejenigen zum Urlaub sollten möglichst paritätisch ausgestaltet sein.

Die maßgeblichen wirtschaftlichen Aspekte lassen sich mit dem Begriff des Unternehmerrisikos zusammenfassen: Das zu erzielende Einkommen muss vom Erfolg oder Misserfolg der gesamten Gesellschaft abhängen, bei ungünstiger Entwicklung muss für jeden Gesellschafter das Risiko bestehen, dass er nicht nur seine Arbeitskraft ohne Einkommenserzielung einsetzt, sondern Verluste mit eigenem Kapital ausgleicht.

Revision nicht zugelassen

Der 5. Senat des LSG hat die Revision nicht zugelassen. Ob eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird und im Falle der Zulassung das BSG anders entscheidet, ist völlig offen. Sollte in einer BAG eine nach dem Urteil des LSG kritische Gestaltung des Gesellschaftsvertrages vorliegen, so heißt dies nicht, dass sie ihre wirtschaftlichen Verhältnisse für die Zukunft in der praktischen Auswirkung völlig anders gestalten müssen.

Anstatt einer "umsatzbezogenen Vergütung" kann man einen wirtschaftlich vergleichbaren Anteil am Gewinn der Gesellschaft vereinbaren. Das Ergebnis wird nicht exakt identisch sein, gerade die Unterschiede machen aber die freiberufliche Tätigkeit aus. Auch die Vereinbarung einer Verlustbeteiligung des Juniorpartners ist häufig kein Problem, da das Verlustrisiko bei etablierten Praxen sehr überschaubar ist.

Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren die Möglichkeiten zur Beschäftigung angestellter Ärzte erheblich erweitert. Sozialversicherungsrechtlich beschränken sich im Ergebnis die Unterschiede zwischen Freiberuflichkeit und abhängiger Beschäftigung auf Arbeitslosenversicherung und Beiträge zur Berufsgenossenschaft.

Diese geringen Beträge sollten kein Grund sein, das Risiko einer Nachzahlung der Rentenversicherungsbeiträge, der Veranlagung zur Gewerbesteuer und der Honorarrückforderung einzugehen. Es gibt Risiken im Leben, die man eingehen kann. Der Scheingesellschafter gehört nicht dazu.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

Schein- Selbstständigkeit

Scheinselbstständigkeit liegt dann vor, wenn eine tatsächlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehende erwerbstätige Person als selbstständiger Unternehmer auftritt.

Ursache: Häufig nutzen Unternehmer Möglichkeiten der Gründung von Subunternehmen, um dadurch Sozialabgaben für Arbeitnehmer zu sparen.

Gesundheitswesen: Zweideutige Vertragskonstruktionen in Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) haben in den vergangenen Jahren bereits häufiger zu Problemen vor Steuer- und Sozialgerichten geführt. Zuletzt sind auch Ärzte im Rettungsdienst ins Visier der Sozialgerichtsbarkeit geraten – was derzeit zu Aktivitäten des Gesetzgebers zur Heilung des Problems führt.

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