Bundessozialgericht

Leidensdruck Transsexueller kann Krankheitswert haben

Das BSG widerspricht der Auffassung etlicher Kassen: „Durch Geschlechtsinkongruenz verursachter Leidensdruck“ kann sehr wohl Krankheitswert haben. Und dann stehen die Kostenträger auch in der Leistungspflicht.

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Kassel. Die gesetzlichen Krankenkassen müssen wohl nur vorübergehend nicht für geschlechtsangleichende Behandlungen aufkommen. Das Bundessozialgericht bekräftigte am heutigen Mittwoch, dass der psychische Leidensdruck transsexueller und non-binärer Personen Krankheitswert haben kann. Personen, die auf Kosten der Krankenkasse eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau begonnen haben, haben danach zudem Anspruch auf Kryokonservierung ihres Spermas.

Anlass für die Klarstellung zum Krankheitswert gab die Auslegung eines Urteils vom 19. Oktober, mit dem das BSG geschlechtsangleichende Behandlungen als „neue Behandlungsmethode“ gewertet hatte. Daher sei es zunächst Aufgabe des G-BA, „zum Schutz der betroffenen Personen vor irreversiblen Fehlentscheidungen die sachgerechte Anwendung der neuen Methode sowie ihre Wirksamkeit und Qualität zu beurteilen“. Bei bereits begonnenen Behandlungen bestehe aber Vertrauensschutz.

BSG widerspricht Interpretation der Kassen

Zahlreiche Krankenkassen hatten dem Urteil entnommen, dass generell kein Anspruch auf geschlechtsangleichende Behandlungen bestehen könne, weil eine transsexuelle oder non-binäre Identität keine Krankheit sei. Mit seinem jüngsten Urteil stellt sich das BSG dieser Schlussfolgerung deutlich entgegen. Zwar sei eine transsexuelle oder non-binäre Identität selbst keine Krankheit. Der „durch Geschlechtsinkongruenz verursachte Leidensdruck“ könne aber sehr wohl Krankheitswert haben. Eine Geschlechtsangleichung sei dann eine mögliche Behandlung, deren Bewertung durch den G-BA aber noch ausstehe.

In dem nun entschiedenen Fall hatte die AOK Niedersachsen einer Mann-zu-Frau-Transsexuellen eine geschlechtsangleichende Behandlung bewilligt. Diese begann nach eigenen Angaben im März. Auch eine Laser-Entfernung der Barthaare hat die AOK bereits bezahlt. Noch vor Beginn dieser Behandlung hatte die Person die Kryokonservierung ihres Spermas veranlasst. Die Kosten – 694 Euro für das erste halbe Jahr – wollte die Kasse nicht übernehmen.

Recht auf Kryokonservierung ist erneut zu prüfen

Hierzu urteilte nun das BSG, dass die Kryokonservierung bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen grundsätzlich an die geschlechtsangleichende Behandlung gekoppelt sei. Die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen lägen dann vor. Insbesondere könne der Leidensdruck eine Krankheit sein und die Geschlechtsangleichung dann eine „keimzellschädigende Behandlung“.

Im Streitfall stellte das BSG zunächst klar, dass sich die Klägerin nach dem Urteil vom Oktober auf Vertrauensschutz berufen kann und die Kasse daher auch für die Fortführung ihrer Geschlechtsangleichung aufkommen muss.

Ob die AOK daher auch die Kryokonservierung zu zahlen hat, hängt von formalen Fragen ab, die nun das Landessozialgericht Celle noch prüfen muss. So fehlen bislang etwa gerichtliche Feststellungen, wann die Klägerin ihre Hormonbehandlung begonnen hat. (mwo)

Bundessozialgericht, Az.: B 1 KR 28/23 R

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