BGH

Mangelhafte Dokumentation noch kein Behandlungsfehler

Ein behaupteter Behandlungsfehler muss laut Urteil des Bundesgerichtshofs „hinreichend wahrscheinlich“ sein: Einen Automatismus zwischen mangelhafter Dokumentation und Schadensersatz gibt es demnach nicht.

Von Martin Wortmann Veröffentlicht:
Ob auf Papier oder digital: Befund- und Behandlungsdokumente können auch mal unvollständig sein.

Ob auf Papier oder digital: Befund- und Behandlungsdokumente können auch mal unvollständig sein.

© malerapaso / Getty Images / iStock

Karlsruhe. Ärzte müssen ihre Befunde zwar ausreichend dokumentieren und Röntgenbilder oder andere „Befundträger“ lange aufbewahren. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt aber nicht automatisch zu Schadenersatzansprüchen des Patienten, wie jetzt der Bundesgerichtshof entschied. Danach dürfen Gerichte nur dann ein nicht beachtetes aber „reaktionspflichtiges Befundergebnis“ unterstellen, „wenn ein solches Ergebnis hinreichend wahrscheinlich ist“. Zudem rechtfertigten Dokumentationslücken nicht die Annahme, dass die Dokumentation auch an anderen Stellen lückenhaft oder gar fehlerhaft ist.

Der damals 41-jährige Kläger war 2010 Opfer eines tätlichen Angriffs geworden, bei dem auch sein rechter Fuß verletzt wurde. Mit Schmerzen und einer Schwellung am Fuß suchte er am nächsten Tag eine chirurgische Praxis auf. Nach ersten Röntgenbildern bestätigte eine Computertomographie den Verdacht einer nicht dislozierten schalenförmigen Absprengung am Processus anterior calcanei.

Schmerzsyndrom durch Gips?

Zur Ruhigstellung und Entlastung des Fußes erhielt der Kläger zunächst einen Spezialstiefel (OPED-Stiefel) und wegen Druckbeschwerden dann einen Gipsverband, der vom Fuß bis zum Knöchel reichte, die Zehen aber frei ließ. Nachdem sich auf zwischenzeitlichen Röntgenaufnahmen ein guter Heilungsverlauf zeigte, wurde der Gips nach knapp vier Wochen abgenommen. Heute leidet der Mann unter einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS). Hierfür macht er den Gips verantwortlich. Trotz verschiedener Schwellungen sei dieser nicht aufgeschnitten gewesen und habe daher nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen.

Dem widersprach der Chirurg. Seiner Dokumentation war allerdings nicht zu entnehmen, dass er den Patienten nach Anlegen des Gipses für den nächsten Tag zu einer Kontrolle geladen und dann den Gips aufgeschnitten hatte. Auch hatte er nicht notiert, ob nach Abnahme des Stiefels der Fuß noch geschwollen war. Nach Einschätzung eines Gutachters wäre dann ein Spaltgips angezeigt gewesen.

Wegen der Dokumentationsmängel hatte noch die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Karlsruhe, den Vortrag des Patienten als wahr unterstellt und ihm Schadenersatz in Höhe von 4590 Euro zugesprochen.

Dieses Urteil hob der Bundesgerichtshof nun auf. Zwar führe eine lückenhafte ärztliche Dokumentation zur Beweiserleichterung für die Patienten. Doch so weit, wie hier vom Oberlandesgericht Karlsruhe unterstellt, reiche diese nicht. Das hieß hier: Der Patient bleibt in der Beweispflicht für den Ursachenzusammenhang zwischen dem mutmaßlichen Arztfehler und den späteren Beschwerden.

Auch rechtfertige eine lückenhafte Dokumentation noch nicht pauschal die Annahme eines Befundergebnisses in dem vom Patienten behaupteten Sinne. Eine solche Annahme sei vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn der entsprechende Befund „hinreichend wahrscheinlich ist“.

OLG muss nochmal ran

Dies soll im konkreten Fall nun das Oberlandesgericht Karlsruhe noch prüfen. Maßgeblich sei hier, ob der Patient nach Abnahme des Stiefels weiterhin über Schmerzen geklagt hat und der Fuß verschiedene Schwellungen aufwies. Zwar hätte der Arzt dies dokumentieren müssen. Ob es zumindest „hinreichend wahrscheinlich“ ist, lasse sich gegebenenfalls aber anhand der späteren Befunde zum Heilungsprozess klären.

Nur weil die Dokumentation teilweise lückenhaft war, dürfe das Oberlandesgericht nicht automatisch unterstellen, dass auch die Dokumentation zur Heilung unvollständig oder gar falsch ist. Eine solche Beweisregel „existiert nicht“, heißt es in dem Karlsruher Urteil.

Bundesgerichtshof, Az.: VI ZR 71/17

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