Seltene Erkrankungen

Transitionsmedizinische Aspekte rücken in den Fokus

Strukturierte Behandlungswege und eine bessere Vernetzung der spezialisierten Zentren sollen die Versorgung junger Patienten mit seltenen Erkrankungen optimieren helfen. Zu selten wird allerdings noch ein strukturierter Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin bedacht.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Beim Übergang junger, chronisch kranker Patienten in die Erwachsenenmedizin kommt es häufig zu Therapieabbrüchen.

Beim Übergang junger, chronisch kranker Patienten in die Erwachsenenmedizin kommt es häufig zu Therapieabbrüchen.

© Huntstock / Thinkstock

Transitionsmedizinischen Aspekten wird bei jungen Patienten mit seltenen Erkrankungen von den behandelnden Ärzten und Klinikteams bisher oft nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Beim Übergang junger, chronisch kranker Patienten in die Erwachsenenmedizin kommt es somit häufig zu Therapieabbrüchen, wie Experten der Universitätsmedizin Heidelberg angesichts des Tages der Seltenen Erkrankungen am Dienstag hervorheben. "Wir haben inzwischen klare Vorstellungen davon, wie eine effektive Versorgung und Betreuung von Patienten mit seltenen Erkrankungen aussehen sollte. Jetzt müssen wir dieses Wissen deutschlandweit umsetzen, um die gegebenen Defizite zu beheben", erläutert dazu Professor Georg F. Hoffmann, Sprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen (ZSE) am Universitätsklinikum Heidelberg und Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin, mit Blick auf die Erfahrung der Heidelberger Unimedizin mit Mukoviszidose-Patienten. Die Experten haben ein Konzept entwickelt, nach dem seit einigen Jahren junge Patienten mit Mukoviszidose erfolgreich in die Erwachsenenmedizin überführt werden.

GBA fördert Projekt mit Mitteln aus Innovationsfonds

Um diese Umsetzung gehe es bei dem nationalen Verbundprojekt "Translate Namse", das der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in den kommenden drei Jahren mit 13,4 Millionen Euro aus dem Innovationsfonds fördert. Nun soll dieses Konzept im Rahmen von Translate Namse bundesweit Eingang in die klinische Routine finden. Kooperationspartner dieses Projektes sind die ZSE der Charité Berlin und der Uniklinika Hamburg-Eppendorf, Tübingen, München, Bonn sowie Essen, die Uni Dresden, das Zentrum für evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE), die Kassen AOK Nordost und Barmer GEK sowie die Berlin School of Public Health. Das Heidelberger ZSE erhält nach Uniangaben im Rahmen des Gesamtprojekts eine Förderung von 2,3 Millionen Euro. Ziel von Translate Namse sei es, die Diagnostik durch standardisierte Abläufe zu beschleunigen, Behandlungspfade auszuarbeiten und in die Regelversorgung zu überführen sowie die einzelnen Zentren noch stärker als bisher zu vernetzen. Patienten sollen so schneller und zielgerichtet der für sie passenden Therapie zugeführt werden. Ein Schwerpunkt der Heidelberger Projektgruppe ist dabei der möglichst reibungslose Wechsel junger Patienten von der intensiven Betreuung durch Kinderärzte in die durch mehr Eigenverantwortung geprägte Versorgung durch den Erwachsenenmediziner.

Ein Anliegen der Heidelberger Mediziner ist es explizit, für die jungen Patienten die Zeit zum Therapiezugang zu verkürzen. "Derzeit dauert es im Durchschnitt 15 bis 20 Jahre bis Betroffene mit einer seltenen Erkrankung, die nicht im Rahmen des Neugeborenen-Screenings entdeckt wurde, die richtige Diagnose erhalten", so Hoffmann. Für die Patienten bedeute das ein langer Weg von Arzt zu Arzt, eine Aneinanderreihung unpassender Therapien sowie eine große psychische Belastung für die gesamte Familie. Belastender Nebeneffekt: "Dabei verstreicht wertvolle Zeit bis zur richtigen Behandlung, in der wie zum Beispiel bei angeborenen Stoffwechselstörungen die Hirnentwicklung des betroffenen Kindes stark in Mitleidenschaft gezogen werden kann", betont Hoffmann. "Diesen Leidensweg gilt es bestmöglich zu verkürzen und Langzeitschäden zu vermeiden", so sein Plädoyer.

Lücken klaffen in der kontinuierlichen Versorgung

Doch auch, wenn die Diagnose stehe, sei nicht immer und überall eine kontinuierliche Versorgung durch Experten gesichert, da diese häufig nur an einzelnen universitären Zentren gegeben sei. Daher seien überregionale, interdisziplinäre und sektorenübergreifende Netzwerke unverzichtbar. Diese Ansicht teilt auch die Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin (DGTM). "Für die qualitätsgesicherte Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen sind überregionale multi-professionelle, sektorenübergreifende Netzwerke essenziell", schreibt die DGTM in einer Vorstellung des Verbundprojekts Translate Namse. Hoffmann ist getrieben von seiner eigenen Vision des Versorgungsalltags: Konkret sollten sich die beteiligten Zentren, so seine Vorstellung, in ihrer Expertise ergänzen und Patienten bei Bedarf an die jeweils passende Einrichtung verweisen. Die Heidelberger Stoffwechselexperten tauschten sich beispielsweise mit den externen Kollegen aus, die weitere Therapie erfolge für die Patienten heimatnah. Eine gemeinsam geführte elektronische Patientenakte halte alle beteiligten Ärzte auf dem Laufenden, Probleme würden in zentrenübergreifenden Fallkonferenzen diskutiert, die betreuenden niedergelassenen Ärzte eingebunden.

Auch auf europäischer Ebene sind Fortschritte in puncto Seltene Erkrankungen zu verzeichnen, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) mit Verweis auf den Aufbau von 24 Europäischen Referenznetzwerken (ERN) für seltene Erkrankungen betont, in denen sich rund 1000 Krankenhäuser und Fachabteilungen zusammengeschlossen haben. Aus Deutschland nehmen 120 Einrichtungen aus 58 Krankenhäusern teil. Die EU-Kommission fördert den Aufbau der ERN über fünf Jahre – 2017 allein mit 4,6 Millionen Euro. Wichtig für die deutschen Teilnehmer sei die Etablierung von Zuschlägen für Patienten mit seltenen Erkrankungen im Abrechnungssystem, wie DKG-Geschäftsführer Georg Baum hervorhebt.

Lesen Sie mehr zu Seltenen Erkrankungen in unserem Dossier in der App-Ausgabe vom 22. Februar 2017

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Kommentare
Mona Ziegler 28.02.201708:20 Uhr

Das Gleiche gilt auch für junge Menschen mit nicht-seltenen Krankheiten

Die Krankheit braucht gar nicht so selten zu sein. Da reicht eine ''normale'' Behinderung aus (zB ICP mit Tetraspastik und Epilepsie) um in diese Versorgungslücke zu fallen. Das betrifft weniger die Therapien, als vor allem die Klinikaufenthalte.

Als pflegende Angehörige von schwerstbehinderten Zwillingen kann ich davon ein Lied singen. Der übergang in die ''Erwachsenenmedizin'' war ein Schock. Jedenfalls auf Klinikseite.

Ich möchte nicht wissen, was alles passiert wäre, wenn nicht immer eine/r von uns beim Kind gewesen wäre während eines Klinikaufenthaltes. Es ist schon genug passiert, obwohl wir dabei waren. zB Übertragungsfehler bei den Medikamenten. Die einzige Kontinuität waren wir selbst, denn das Personal wechselt ja sehr rasch. Wenn man sehr oft in Kliniken ist, erlebt man das.

Das ist kein Vorwurf an Schwestern/Pfleger und Ärzte. Diese haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben. Sie waren heilfroh, dass wir als Angehörige dabei waren, denn ihnen war diese Versorgungslücke schmerzlich bewusst.
Auf Station kann weder eine ausreichende Kontinuität gewährleistet werden (auch nicht durch die Dokumentation, denn niemand hat die Zeit sich das alles durchzulesen), noch die nötige und leider sehr aufwändige Pflege betrieben werden. Dazu fehlt schlicht das Personal. Und wenn dann wg. Personalmangel grobe Fehler passieren, geht das zu Lasten des behinderten Menschen.

Nur: was tun? Auch diese Form der Erkrankung ist zu selten als dass man dafür eigenen Häuser bauen würde. Oder mehr Personal einstellen. Ich bin gespannt, wie sich obiges Projekt weiterentwickelt. Vllt. lassen sich davon Möglichkeiten für schwerbehinderte junge Menschen ableiten.

Es wäre wünschenswert.

Mona Ziegler, Tübingen

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