Burnout

„Oft versteckt sich dahinter eine Depression“

Psychische Erkrankungen werden heute weniger stigmatisiert, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, Professor Ulrich Hegerl. Dennoch sieht der Professor für Psychiatrie an der Goethe-Universität Frankfurt die Zunahme der Burnout-Diagnosen kritisch.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Der Fehlzeiten-Report berichtet über eine dramatische Zunahme von AU-Tagen wegen Burnouts. Wie lässt sich das erklären?

Prof. Ulrich Hegerl: Zunächst einmal bedeutet eine solche Zunahme nicht unbedingt, dass mehr Menschen erkranken, sondern nur, dass psychische Erkrankungen heute viel besser diagnostiziert werden. Insofern sehe ich das als eine gute Entwicklung an. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind nicht mehr so stigmatisiert und suchen eher Hilfe. Ähnlich wie bei den AU-Tagen verhält es sich bei den Frühberentungen.

Prof. Ulrich Hegerl

  • Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Professor für Psychiatrie an der Goethe-Universität Frankfurt setzt sich seit mehr als 30 Jahren für die bessere Erforschung und Aufklärung über Depression ein.
  • Seit 2013 ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer.

Hier stieg der Anteil wegen psychischer Erkrankungen auf mittlerweile 43 Prozent von neun Prozent vor 35 Jahren. Mehr Menschen holen und bekommen Hilfe wegen psychischer Erkrankungen und dies dürfte die Haupterklärung dafür sein, dass im gleichen Zeitraum die Suizidzahlen von jährlich 18.000 auf unter 10.000 gesunken sind. Davon abgesehen halte ich den Begriff Burnout für problematisch.

Was genau meinen Sie damit?

Hegerl: Es gibt keine international akzeptierte Diagnose Burnout und auch keine klaren Diagnosekriterien. Von Burnout wird meist bei einem Zustand großer Erschöpfung, verbunden mit innerer Unruhe, Schlafstörungen, dem Gefühl der Überforderung und auch einer gefühlsmäßigen Überlastung gesprochen. Das sind allerdings Krankheitszeichen, die alle regelmäßig auch bei depressiven Erkrankungen auftreten. Deshalb ist der Begriff Burnout irreführend. Für mich stellt er eher eine modisch gewordene Ausweichdiagnose dar.

Erschöpfungsgefühle, Überarbeitung oder die schwere Erkrankung Depression werden alle in einen Topf gesteckt. Meist wird dahinter eine Depression versteckt. Der einzige Vorteil ist, dass Burnout weniger schlimm und eher nach Leistungsträger klingt als die Diagnose Depression und unter diesem Label mehr depressiv Erkrankte sich trauen, sich Hilfe zu holen.

Und wodurch unterscheidet sich ein Burnout von einer Depression?

Hegerl: Bei vielen Menschen, die wegen Burnout eine Auszeit nehmen, liegen schlicht die Symptome einer depressiven Erkrankung vor. Dazu zählen tiefsitzende Freudlosigkeit und Erschöpfung, gedrückte Stimmung, Schuldgefühle, Schlafstörungen, Appetitstörungen, Hoffnungslosigkeit und Suizidalität. Man sollte dann von Depression sprechen und nicht den schwammigen Begriff Burnout verwenden. Diese Menschen fühlen sich in diesem Zustand immer erschöpft und völlig überfordert, ohne dass deswegen die Arbeit die Ursache der Erkrankung ist.

Liegt dagegen lediglich eine Erschöpfung bei chronischer Überlastung vor, dann hilft in der Regel ein Urlaub und kürzer zu treten. Versteckt sich aber wie oft eine nicht erkannte Depression hinter der Bezeichnung Burnout, kann das sogar gefährlich werden. Beispielsweise ist bei einer Depression langer Schlaf eher depressionsfördernd und Schlafentzug ein etabliertes Behandlungsverfahren. Auch ist dringend davon abzuraten, mit einer depressiven Erkrankung in den Urlaub zu fahren. Denn die Depression reist mit, und die Erkrankung wird in der fremden Umgebung als noch unerträglicher erlebt.

Gibt es heutzutage mehr an Depression erkrankte Menschen?

Hegerl: Depressionen kommen häufig vor, fast acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung leiden daran. Das war aber auch früher so, nur wurde weniger darüber gesprochen.

Depression ist eine schwere, meist in Wochen und Monate anhaltenden Krankheitsphasen auftretende Erkrankung. Die Schwere erkennt man schon daran, dass die Lebenserwartung im Schnitt um zehn Jahre verkürzt ist. Die Zunahme der Depressionsdiagnosen in den Statistiken der Rentenversicherungsträger und der Krankenkassen ist darauf zurückzuführen, dass sich heute erstens mehr Menschen Hilfe holen als früher, zweitens Ärzte Depressionen besser erkennen und drittens Depressionen besser benennen und nicht so häufig hinter Ausweichdiagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Fibromyalgie oder chronischem Kopfschmerz verstecken.

Welche Gruppen sind besonders betroffen?

Hegerl: Depressionen können jeden treffen. Auch Menschen mit einem erfüllenden Beruf und glücklicher Partnerschaft können erkranken, wenn eine entsprechende Veranlagung vorliegt. Diese Veranlagung kann genetisch bedingt oder durch Traumatisierungen und Missbrauchserfahrungen in der frühen Kindheit erworben sein. Frauen erkranken doppelt so häufig wie Männer. Das ist in allen Kulturen so und hat viel mit den biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu tun. Eine Rolle spielt auch, dass Frauen eher darüber berichten und sich häufiger Hilfe holen, doch das erklärt die großen Häufigkeitsunterschiede nicht.

Wie kann den Erkrankten geholfen werden?

Hegerl: Hinter Erschöpfungszuständen können viele unterschiedliche Erkrankungen wie z.B. Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Infektionen stecken. Wenn sich hinter dem Begriff Burnout aber eine Depression versteckt, ist eine konsequente Behandlung mit Antidepressiva und/oder Psychotherapie entscheidend. Zudem gibt es eine Reihe internetbasierter Programme für depressive Menschen. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe bietet mit dem iFightDepression-Tool ein Selbstmanagement-Programm für Menschen mit leichteren Depressionsformen an.

Bei der Nutzung des kostenfreien Programms werden Patienten von ihrem behandelnden Arzt oder Therapeuten betreut. Hausärzte, Fachärzte oder Psychotherapeuten können dafür, ebenfalls kostenfrei, am iFightDepression Online-Training teilnehmen. Dabei lernen sie unter anderem, wie sie das Tool in ihre tägliche Arbeit einbinden und ihren Patienten zur Verfügung stellen können. Für das Online-Training, das einen Zeitaufwand von circa 40 Minuten erfordert, erhalten Ärzte zwei CME-Punkte.

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