Nachwuchssorge

Viel Arbeit, wenig Geld, hoher Altersdurchschnitt — der ÖGD muss attraktiver werden

Der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) hat massive Nachwuchsprobleme. Über eine bessere Bezahlung wollen beispielsweise Hamburg und jetzt auch Berlin mehr Ärzte für den ÖGD gewinnen. Mehr Geld allein wird aber wohl nicht reichen.

Julia FrischVon Julia Frisch Veröffentlicht:

Ärztemangel gibt es nicht nur auf dem Land, sondern auch im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Eine Pensions- und Rentenwelle rollt auf ihn zu. In Berlin werden allein an führenden Stellen fünf von zwölf Amtsärzten in den nächsten drei Jahren in Rente gehen, sagt Dr. Claudia Kaufhold vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes und bis 2015 selbst Amtsärztin in Berlin.

Die Zahl der offenen Stellen im Berliner ÖGD ist freilich noch viel höher. 346 Arztstellen sind laut Claudia Kaufhold im Stellenplan vorgesehen, davon seien Ende 2016 48 vakant gewesen. Im Oktober 2017 belief sich die Zahl der offenen Stellen schon auf 55, das teilte die Gesundheitssenatsverwaltung auf eine Abgeordneten-Anfrage hin mit.

Kaum Resonanz auf Stellenanzeigen

Die Folgen: Schuleingangsuntersuchungen können nicht mehr rechtzeitig vorgenommen werden. Und, so Kaufhold, nur in einem Teil der rund 100 Kliniken konnten Begehungen zwecks Hygieneüberwachung stattfinden. Ebenso wurden ihren Angaben zufolge im vergangenen Jahr nur in 84 von 1800 Praxen für ambulante OPs Begehungen vorgenommen.

Mit altersbedingtem Personalschwund sieht sich auch Hamburg konfrontiert. 241 Ärzte arbeiten hier im Öffentlichen Gesundheitsdienst. "Bis 2024 werden 73 Prozent der 2016 (…) beschäftigten Ärztinnen und Ärzte altersbedingt ausscheiden", heißt es im Personalbericht des Senats für das Jahr 2017.

Wie in Berlin finden auch in Hamburg Stellenausschreibungen für den ÖGD bei Ärzten kaum Resonanz. In der Hansestadt melden sich auf die Jobangebote im Schnitt nur drei Bewerber. Nur die Hälfte der Stellen kann laut Personalbericht überhaupt besetzt werden.

"Die Lösung liegt auf der Hand", zumindest für Berlin, sagt Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes (MB). "Die angestellten Ärzte im ÖGD dürfen nicht wie normale Verwaltungsangestellte bezahlt werden, für sie müsste ein arztspezifischer Tarif geschaffen werden, der die Entlohnung an das Klinikniveau angleicht."

Der Lohnunterschied zu Klinikärzten könne derzeit je nach Eingruppierung zwischen 1000 und 2000 Euro betragen. Da müsse man sich trotz aller laufenden Bemühungen, den ÖGD gerade bei jungen Ärzten und Medizinstudenten ins Bewusstsein zu rücken, nicht wundern, dass man keinen Nachwuchs findet, sagt Dr. Peter Bobbert, Vorsitzender des MB-Landesverbands Berlin-Brandenburg. Oder dass sich über 60-jährige Kollegen bewerben, wie Claudia Kaufhold festgestellt hat. "Aber dann haben wir das Problem in ein paar Jahren wieder."

Auf den dringenden Appell des MB nach einer arztspezifischen Bezahlung reagierte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat rasch. Sie kündigte an, bis Ende Februar eine Handreichung für die Bezirke erarbeiten zu wollen, "wie diese eine grundsätzlich mögliche außertarifliche Bezahlung handhaben können". Diese solle sich "am Tarifvertrag für Ärzte an öffentlichen Krankenhäusern orientieren, um eine gerechte Bezahlung zu erreichen", heißt es in einer Stellungnahme.

Den Schritt zu einem Ärztetarif hat Hamburg bereits vollzogen. Seit 2016 gibt es für den ÖGD die Möglichkeit, Sonderarbeitsverträge zu schließen, bei denen die Bezahlung in Anlehnung an die Entgeltregelungen für die Unikliniken erfolgt. Ob ein Vertrag mit Ärztetarif abgeschlossen wird, "ist eine Einzelfallentscheidung des Bedarfsträgers", erklärt Kristin Hecker vom städtischen Personalmanagement. Dabei spiele etwa eine Rolle, ob die Stelle schon erfolglos ausgeschrieben wurde.

Kein schlechtes Image, sondern gar kein Image

Mittlerweile sieht in Hamburg das "Gros der Stellenausschreibungen" eine Vergütung nach dem Ärztetarif vor, wie der Personalbericht 2017 feststellt. Ein spürbarer Ansturm von Ärzten auf die Jobangebote ist nur ein Jahr nach Einführung des Tarifs noch nicht zu spüren.

Kristin Hecker und ihre Kollegen, die über eine Fachkräftestrategie junge, aber auch erfahrene Ärzte in den ÖGD bringen wollen, sind dennoch von der langfristigen Wirkung des Ärztetarifs überzeugt. Das sei ein wichtiger Schritt, um den ÖGD attraktiver zu machen.

Darüber hinaus sei es aber auch wichtig, den ÖGD bei Ärzten wieder bekannter zu machen. "Er hat kein schlechtes Image, er hat überhaupt kein Image", sagt Hecker. Deswegen will Hamburg eine Imagekampagne starten, die große Bandbreite auch an kurativen Einsatzmöglichkeiten, die vielseitigen Arbeitsfelder und Weiterbildungsmöglichkeiten hervorheben und auch in sozialen Medien präsenter sein. Mehr Geld allein reiche momentan nicht. "Das ist ein Zusammenspiel vieler Dinge", sagt Kristin Hecker.

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Kommentare
Andreas Kaunzner 19.02.201800:01 Uhr

„Ohne Artisten fällt die Vorstellung aus“ - Die Handlungsfähigkeit des ÖGD in Zukunft ist gefährdet.

Werte Kollegin Leber,

das Problem stellt weniger die Situation der jetzt im ÖGD tätigen Kolleginnen und Kollegen dar. Schwierig wird es hier den ÖGD mit seinen vielfältigen Aufgaben wie Infektionsschutz oder auch die von Ihnen genannte Schuleingangsuntersuchungen und Vielem mehr auch weiterhin handlungsfähig zu halten. Hier sind jetzt schon Grenzen überschritten.
Und durch die Altersstruktur der aktuell noch Handelnden werden in den nächsten Jahren etwa 1/3 wegfallen.
Die „Feuerwehr“ wird nicht mehr reagieren können. Ohne Tuberkulosefürsorge steigen Inzidenzen rasch - diese Beispiele gab es schon. Oder als anderes Beispiel: würden Sie sich in einem OP ohne Anästhesisten operieren lassen?

Das von Ihnen so bezeichnete „Stöhnen“ ist nur der vielleicht zu leise Schrei nach einer Zukunft - nicht primär für den ÖGD - mit einer sicheren Versorgung der Bürger in einem Medizinberich den kaum einer wahrnimmt solange er noch irgendwie funktioniert.

Anne C. Leber 07.02.201809:39 Uhr

Leserzuschrift von Barbara Tielkes

Vielen Dank für Ihren Leitartikel. Aus eigener Erfahrung möchte ich folgendes beitragen: Ich bin Internistin, Rheumatologin und MPH. Nach über zehn Jahren Krankenhaustätigkeit, Familie und drei Kindern wollte ich aus bekannten Gründen das Krankenhaus verlassen.
2005 bewarb ich mich um eine Teilzeitstelle beim ÖGD, in der schwerpunktmäßig Schuleingangsuntersuchungen gemacht werden sollten. Bei der ersten Ausschreibung war ich Nummer 2. Eine Kinderärztin wurde eingestellt (für mich fachlich nachvollziehbar). Einige Wochen später gab es wieder eine gleichartige Stellenausschreibung. Ich meldete mich, meine Unterlagen waren ja noch vor Ort. Wieder belegte ich Rang 2. Dieses Mal trat die erste Wahl die Stelle nicht an. Mir wurde die Stelle angeboten: Zum Zeitpunkt der Einschulungen müsse man sehr viele Überstunden machen, die irgendwann in Freizeit abgegolten würden. Als Fachärztin könne ich nicht eingruppiert werden (nur Kinderärzte, ich sei ja Internistin). Der Vertrag sei auf zwei Jahre befristet. Zu dem Zeitpunkt war ich 38 Jahre alt. Ich habe die Stelle nicht angenommen. Seit mehr als zwölf Jahren betreibe ich eine Hausarztpraxis und habe naturgemäß sehr viel zu tun. Nur das Stöhnen des ÖGDs kann ich nicht verstehen.

Barbara Tielkes

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