Umwelt und Gesundheit
Klimakrise: Ärzte müssen sich positionieren!
Noch lässt sich der Klimawandel abmildern. Aber, „die Hütte brennt“, daher braucht es nun mehr Tempo, mahnen Mediziner. Der Ärztetag könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. „Die Situation ist wirklich bedrohlich“, sagt der Arzt und Klimaschützer Dr. Martin Herrmann. Die Klimakrise und die damit verknüpfte planetare Gesundheitskrise kommen nicht irgendwann in der Zukunft, „sie sind jetzt schon da“, so der Vorsitzende der Initiative KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V..
Die Daten des gerade erst veröffentlichten „Lancet Countdown 2021 zu Klimawandel und Gesundheit“ sprechen eine eindeutige Sprache: So wurden 2020 – im Vergleich zum Jahresdurchschnitt zwischen 1986 und 2005 – 3,1 Milliarden zusätzliche Personentage mit Belastungen durch Hitzewellen bei über 65-Jährigen verzeichnet. Ein neuer Höchststand, heißt es.
Für Hitzewellen, wie sie in diesem Sommer Südeuropa und Kanada durchlebt haben, sei die Bundesrepublik nicht ausreichend gerüstet, stellte Professorin Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie des Helmholtz Zentrum München, in einer Mitteilung zum Lancet Countdown Policy Brief für Deutschland klar. „Der Aufbau einer langfristigen Hitzeresilienz in Städten, Kommunen und Gesundheitseinrichtungen startet momentan sehr langsam“, kritisierte sie.
Es fehle an Vorstellungskraft
Dabei liegt es nicht am mangelnden Bewusstsein für das Thema und die Dringlichkeit. „Es gibt aber eine große Kluft zwischen dem Verständnis, dass das ein großes Thema ist und jenem, wie wir nun handeln können“, erläutert Herrmann.
Oft fehle es an der Vorstellungskraft für die notwendigen Transformationsprozesse und dafür, dass wir noch etwas bewegen können. „Aus dieser Lähmung müssen wir raus“, mahnt er. Die Umweltmedizinerin Professorin Claudia Traidl-Hoffmann pflichtet ihm bei: „Wir müssen jetzt von ganz oben bis ganz unten alle an einem Strang ziehen.“
„ÄrzteTag“-Podcast
KLUG-Vorsitzender zum Klimawandel: „Die Hütte brennt!“
Der Gesundheitssektor ist hier gleich mehrfach gefragt. „Die Gesundheit ist ein wichtiges Narrativ, um Menschen dazu zu bewegen, etwas für mehr Klimaschutz zu tun“, sagt die Direktorin der Umweltmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg und Leiterin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München.
Also mehr Aufklärung. Gleichzeitig muss die Medizin lernen, dass klima- und umweltmedizinische Inhalte alle Fachbereiche etwas angehen. „Sie gehören in jede Fortbildung und auf jeden Fachkongress“, fordert Herrmann.
Appell zur humboldtschen Sichtweise
Traidl-Hoffmann wünscht sich zudem, dass auch medizinische Fakultäten mehr in das Thema investieren: „Teilweise wissen die Studenten mehr als die Lehrenden.“ Die humboldtsche Sichtweise, dass alles mit allem zusammenhängt, müsse aber auch stärker in der Forschung gelebt werden. Klinische Studien müssten künftig etwa auch berücksichtigen, wie ein Medikament bei unterschiedlichen Umwelteinflüssen wirken kann.
Andererseits ist der Gesundheitssektor selbst Treiber von Emissionen und Produzent von Abfall. Es gäbe bereits viele Initiativen für mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, berichtet Herrmann, etwa von einzelnen Kliniken und Praxen. Doch hier geht noch mehr. „Dann müssen wir aber auch mit dem Gesetzgeber sprechen, dass die gesetzlichen Vorgaben so angepasst werden, dass Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor nicht bestraft, sondern gefördert wird.“
Ein positives Beispiel ist für Herrmann der britische Gesundheitsdienst National Health Service (NHS). „Die haben schon vor fünf, sechs Jahren angefangen, sich mit dem Thema Klimaneutralität zu beschäftigen. Seit letztem Jahr gibt es das offizielle Ziel, dass der NHS bis 2040 komplett klimaneutral werden will.“
Der Deutsche Ärztetag könne nun ein Aufbruchsignal geben, sind sich Herrmann und Traidl-Hoffmann einig – in die Ärzteschaft hinein, aber auch in Richtung Politik. Denn noch laufen die Koalitionsverhandlungen. Der Gesundheitssektor könne viel bewegen in Sachen Klimaschutz, aber dazu brauche es „viele Mitspieler“, appelliert Herrmann.