Erwartungen formuliert
Vielerlei Botschaften vom Ärztetag an die „Ampel“-Verhandler
Mehr Zusammenarbeit der Sektoren, neue Ideen für die Fachkräftesicherung und eine Reform der Kliniklandschaft: Beim 125. Deutschen Ärztetag haben die Bundesländer Forderungen an die künftige Bundesregierung gestellt.
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Welche gesundheitspolitischen Veränderungen benötigt Deutschland? Auf dem Ärztetag diskutierten unter anderem NRW-Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (auf dem Bildschirm links) sowie auf dem Podium Moderator Jürgen Zurheide (v.l.), die brandenburgische Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher und BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt.
© Rolf Schulten
Berlin. Ländervertreter haben der nächsten Bundesregierung den Ausbau der sektorenübergreifenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen ins Aufgabenbuch geschrieben.
In Brandenburg liefen bereits Modellprojekte dazu – „das Paradebeispiel ist immer die Strukturmigration im Mittelbereich Templin, die schon sehr weit fortgeschritten ist“, sagte die brandenburgische Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) bei einer Diskussionsveranstaltung zum 125. Deutschen Ärztetag am Montag. Teils würden die Vorhaben über den Innovationsfonds, teils über den Krankenhausstrukturfonds gefördert, so Nonnemacher.
„Nun ist es dringend erforderlich – und das erwarte ich natürlich auch von den gleichzeitig stattfindenden Koalitionsverhandlungen –, dass wir diese Projekte auch in die Regelversorgung überführen und sie eine Abrechnungsnummer kriegen.“ Es brauche dafür eine verlässliche Finanzierung – etwa in Form von „Regionalbudgets für sektorenübergreifende Versorgung“.
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Anreize könnten sektorübergreifende Versorgung beschleunigen
Auch Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann mahnte mehr Tempo bei der Überführung bewährter Projekte aus dem Innovationsfonds in die regelhafte Patientenversorgung an. In NRW seien ambulante und stationäre Strukturen in Bewegung gekommen, indem Krankenhäuser und Bereitschaftsdienste an Mittwochnachmittagen und an Wochenenden enger miteinander kooperierten.
Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) erklärte, ihr Bundesland habe sich bereits „auf die Socken“ gemacht, ambulante und stationäre Leistungen in Gesundheitszentren stärker zu mischen. „Das geht über ein reines Ärztehaus hinaus.“ Die Sektoren zusammenzubringen, sei eine „Riesenherausforderung“, gestand Bernhard ein.
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt erinnerte daran, dass in Deutschland schon vor 25 Jahren über die Verzahnung von ambulant und stationär geredet worden sei. Damit sich wirklich etwas bewege, brauche es mehr Anreize, entsprechende „Konstrukte“ stärker zu befördern.
Länder wollen bei Krankenhausplanung weiter mitreden
Fachpolitiker von SPD, Grünen und FDP beraten derzeit in 22 Arbeitsgruppen über Inhalte eines künftigen Koalitionsvertrages für ein „Ampel-Bündnis“. Die Ergebnisse sollen am 10. November vorgestellt werden.
Ein Koalitionsvertrag müsse zwingend auch den Umbau der Krankenhauslandschaft zum Inhalt haben, forderte BÄK-Chef Reinhardt. Dazu gehöre eine bedarfsgerechte Reform der Vergütung und der Planung. All das könne die neue Bundesregierung nicht allein stemmen, betonte Reinhardt. Es brauche einen runden Tisch aller Beteiligten, der eine große Reform anstoße. Danach solle erst einmal zehn Jahre Ruhe herrschen, damit sich die Reform entfalten könne.
NRW-Gesundheitsminister Laumann unterstrich den Anspruch der Länder, Strukturfragen wie die Krankenhausplanung oder die der Ärzteniederlassungen weiter regeln zu wollen. Als Ort dafür rief Laumann das Landesgremium nach Paragraf 90a im Sozialgesetzbuch V in Erinnerung – eine Runde aus Vertretern von KVen, Krankenhäusern, der Krankenkassen sowie der jeweiligen Landesregierung.
Das Gremium habe in NRW Impulse für die sektorenübergreifende Zusammenarbeit geliefert, etwa zur besseren heimärztlichen Versorgung. Zentral von Berlin aus gehe so etwas nicht.
Kritik am Gemeinsamen Bundesausschuss
Zur Krankenhausplanung merkte Laumann an, NRW führe diese derzeit „weg vom Bett“ hin zu einer stärkeren Orientierung an Bedarf und Qualität. Skeptisch zeigte sich der CDU-Politiker, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) über seine Qualitätsvorgaben zunehmend bestimme, wie sich die Strukturen entwickelten.
Ins gleiche Horn stieß Grünen-Politikerin Nonnemacher. Die Auflagen des GBA nähmen den Akteuren vor Ort die Luft zum Atmen. „Versorgung muss auch in der Fläche stattfinden können.“ Als Gefahr für die flächendeckende Versorgung machte sie auch den sich zuspitzenden Fachkräftemangel in Pflege und Medizin aus. Diesen beobachte sie „mit größter Sorge“. Die Kunst liege darin, „personelle Ressourcen so optimal wie möglich zu nutzen“.
Laumann rechnete vor, dass in NRW bis zu zwölf Bewerber auf einen Studienplatz in der Humanmedizin kämen. „Wenn wir mehr Studienplätze hätten, dann hätten wir auch mehr Ärzte.“ Ohne die Anwerbung von Ärzten und Pflegekräften aus dem Ausland werde es wohl nicht gehen. In der Pflege sei die Tarifbindung ein wichtiger Hebel, um mehr Menschen in den Beruf zu holen.
Nonnemacher mahnte, außer der Akquise junger Pflegekräfte und Mediziner sei die „Frage der Verteilung ebenso wichtig“. Es bringe ja nichts, Nachwuchs zu gewinnen, der sich dann bevorzugt in Städten oder lukrativen Ecken niederlasse.