Position zur Bundestagswahl
Besser, nicht teurer: Wo die AOK Handlungsbedarf für eine neue Regierung sieht
Deutschland belegt bei den Gesundheitsausgaben einen Spitzenplatz, ist bei der Versorgungsqualität aber nur Mittelmaß. Die AOK-Gemeinschaft will mit Vorschlägen für eine künftige Bundesregierung dazu beitragen, dass Bürgern künftig ein leistungsfähiges Gesundheits- und Pflegesystem zur Verfügung steht.
Veröffentlicht:Zunächst die Fakten: Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung steigen dramatisch. Für 2025 sind Ausgaben in Höhe von mindestens 345 Milliarden Euro für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und etwa 74 Milliarden Euro für die soziale Pflegeversicherung (SPV) zu erwarten.
2023 hatte die GKV rund 306 Milliarden Euro zur Finanzierung des Gesundheitswesens bereitgestellt – rund 110 Milliarden Euro mehr als 2013. Im gleichen Zeitraum sind die Ausgaben für Krankenhausbehandlung von 65 auf rund 94 Milliarden Euro gestiegen. Die Arzneimittelkosten von 30 auf rund 50 Milliarden Euro, die Ausgaben für ärztliche Behandlungen von 32 auf 47 Milliarden Euro.
Gleichzeitig erleben Patienten sowie pflegebedürftige Menschen, dass Qualität und Zugang zu Gesundheits- und Pflegeangeboten unzureichend sind. Sie müssen lange auf Arzttermine warten, Notfallambulanzen sind überlastet.
AOK will Rationierungsdebatte vermeiden
Die AOK-Gemeinschaft will eine Rationierungsdebatte vermeiden. „Wir wollen keine Leistungskürzungen für Versicherte. Wir wollen nicht weniger Ärzte, nicht weniger Pfleger. Wir wollen nicht bei Versorgungsangeboten in ländlichen oder strukturschwachen Räumen sparen“, heißt es in einem Positionspapier zur Bundestagswahl. Stattdessen seien Strukturreformen zur Steigerung der Effizienz im Gesundheitswesen nötig.
Die AOK-Ziele: Mehr qualitativ hochwertige Versorgungsangebote, mehr Unterstützung für die Versicherten im Krankheits- oder Pflegefall – und das in allen Regionen des Landes. Die Solidargemeinschaft aus Versicherten und Arbeitgebern habe einen Anspruch auf mehr Gegenleistungen für ihre hohen Beiträge. Erreichen möchte die AOK-Gemeinschaft diese Ziele auf verschiedenen Wegen. Ausführlich erläutert hat die Krankenkasse ihre Strategien in einem umfangreichen Positionspapier.
Mehr Effizienz
Die wirtschaftliche Verwendung von GKV-Beitragsgeldern müsse gestärkt werden. „Wir brauchen im Gesundheitswesen mehr Steuerungsmöglichkeiten. Begrenzte Ressourcen wie Fachkräfte und finanzielle Mittel müssen wieder gezielt eingesetzt werden – und zwar dort, wo sie den größten Nutzen und die qualitativ beste Medizin garantieren“.
Mehr Freiraum
Staatliche Vorgaben in der Gesundheitsversorgung müssten reduziert werden. Die gemeinsame Selbstverwaltung solle ohne politische Einflussnahme medizinisch evidenzbasierte Leistungen und klare Qualitäts- und Strukturvoraussetzungen im Gesundheitswesen festlegen können. Weiter heißt es: „In der kommenden Legislaturperiode muss weniger Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern stattfinden. Stattdessen sollte sich das Gesundheitssystem mehr an Patientenbedürfnissen orientieren und Versorgungssicherheit gewährleisten.“
Mehr Primärversorgung
Ein weiterer Kritikpunkt: Die Versorgungslandschaft sei fragmentiert, Versorgungsangebote zu wenig koordiniert. Viele Patienten fänden nicht den richtigen Zugang zu benötigten Versorgungsangeboten. Zudem würden GKV-Versicherte bei der Terminvergabe in Facharztpraxen gegenüber PKV-Versicherten und Selbstzahlern systematisch benachteiligt. „Mehr Primärversorgung kann nicht nur die kurative Behandlung verbessern, sondern auch präventive und soziale Bereiche stärken“, so die AOK. Man strebe gemeinsam mit den Leistungserbringern an, mehr vernetzte und abgestimmte Strukturen zu schaffen.
Mehr Stabilität
Soziale Sicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes müssten zusammengedacht wer-den. Wenn Gelder der Beitragszahlenden ineffizient verwendet würden oder die Politik planlos einzelne Leistungsanbieter fördere, verlören Beitragszahler Vertrauen in das Gesundheitssystem. Außerdem gewinne die Pflegeversicherung durch den demografischen Wandel immer mehr an Bedeutung. Trotz der steigenden Zahl von Pflegebedürftigen und dem zunehmenden Mangel an Pflegepersonal, entlaste die Pflegeversicherung auch Versicherte und Arbeitgeber, so die AOK.
Ein funktionierendes Gesundheits- und Pflegesystem ziehe Investitionen an, fördere die Ansiedlung neuer Unternehmen und treibe so das Wachstum der Volkswirtschaft voran. Wachstum wiederum ziehe Fachkräfte ins Land, die ebenfalls hochwertige medizinische Leistungen benötigten.
Mehr Interprofessionalität
Im Gesundheitssystem brauche es weniger Berufsgruppendenken, sondern mehr moderne und sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen. „Interprofessionelle Zusammenarbeit muss durch gezielte Regelungen des Gesetzgebers unterstützt werden.“ So müssten gesetzliche Rahmenbedingungen teamorientierte Versorgung komplexer Bedarfe (medizinisch, pflegerisch, sozial) in Form von teambasierten Versorgungsstrukturen bis zu sektorenunabhängigen Angebotsstrukturen ermöglichen.
Mehr Qualität bei DiGAs
Der Markt für Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) wachse stetig, konstatiert die AOK. Im November 2024 waren den Angaben zufolge 55 Anwendungen zugelassen. Doch der Nutzen sei bisher zweifelhaft, das gelte besonders für die sogenannten Erprobungs-DiGA. Die derzeitige freie Preisbildung verursache zusätzlich ein erhebliches Missverhältnis zwischen Innovation und Wirtschaftlichkeit. „Wenn Hersteller – wie bereits geschehen – Insolvenz anmelden, trägt die GKV ein hohes Ausfallrisiko“, kritisiert die Kasse.
Man brauche mehr Versorgungsqualität und mehr Wirtschaftlichkeit. „So sollten Nutzenbewertungen medizinischer Apps und digitaler Produkte denselben Anforderungen unterliegen wie die Nutzenbewertung für ärztliche Methoden, Heilmittel oder Hilfsmittel.“ DiGA ohne positiven Nutzennachweis dürften grundsätzlich nicht – auch nicht zur Erprobung – in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen werden.